In letzter Zeit habe ich an einigen Stellen was darüber gelesen, dass es klassische und moderne Abenteuer gibt. „Abenteuer“ meint hier Kauf-Abenteuer-Bücher, vor allem für DSA (aber auch für andere RPG-Systeme). Mit „klassisch“ ist gemeint, dass das Abenteuer vom Autor als Geschichte erzählt wird. Im Gegensatz dazu bedeutet „modern“, dass der Abenteuer-Autor keine feste Geschichte vorgesehen hat, sondern dass es mehrere Alternativen gibt, Entscheidungsstellen, offene Abschnitte.
Da ich nicht denke, dass eines davon klassisch und das andere modern ist (ich kenne ganz neue, klassische Abenteuer und auch alte moderne), möchte ich lieber von linear und nichtlinear sprechen. Linear erinnert mich als Mathematiker immer an sowas wie Geraden durch den Nullpunkt, ist hier aber anders gemeint. Das Wörtchen bedeutet: Der Autor gibt einen Weg vor, nach Situation A kommt B, dann C, D usw., bis das Ende erreicht ist. Abweichende Wege (z.B. von A direkt nach D oder von G zurück zu E) sind nicht vorgesehen.
Nichtlineare Abenteuer sind logischerweise solche, bei denen das Obige nicht gilt. Wobei ich auch Abenteuer, die sich nur wenig von rein linearen Abenteuern unterscheiden, immer noch zu den linearen Abenteuern zählen möchte. Was genau „nur wenig“ heißt, möchte ich gar nicht so genau festlegen.
Festzustellen ist auf jeden Fall, dass ein Abenteuer, nachdem es eine Gruppe gespielt hat, im Rückblick immer linear aussieht. Etwas ausführlicher kann man das in Florian Bergers SL-Büchlein nachlesen. Denn schriebe man die Erlebnisse während des Spieles auf, so entstände eine Geschichte. Nachzulesen in hunderten von Spielberichten (z.B. hier oder auch im Tanelorn). Ein nichtlineares Abenteuer macht also aus, dass sich die erlebten Geschichten von verschiedenen Gruppen wesentlich unterscheiden, obwohl sie sich ans Skript gehalten haben.
Letzteres ist wichtig, denn wenn ich mich nicht ans Skript halte, können und werden natürlich unterschiedliche Geschichten entstehen. Wenn man sich über Abenteuerbücher unterhält, müssen wir also davon ausgehen, dass sich die Spieler an die Vorlage halten. Das betone ich deswegen so, weil sich Keidi letztens als Freund linearer Abenteuer geoutet hat und in einem Interview sagte: „Ich will Geschichten erzählen und nicht nur den Hintergrund für andere Geschichten liefern, aber ich nehme es niemandem übel, wenn er aus meinen Ideen was Eigenes macht.“ Er geht also als Autor davon aus, dass sich die Spieler nicht an seine Anweisungen halten und etwas eigenes daraus machen. Aber da man in diesem Fall nicht vom Abenteuer auf das schließen kann, was gespielt wird, kann man natürlich nichts darüber sagen, wie linear oder nichtlinear das Abenteuer ist.
So, nachdem die Begriffe geklärt sind, überlegen wir doch mal, wie lineare oder nichtlineare Abenteuer aussehen. Das „linear“ hat Keideran ja schon in seiner Aussage umrissen: Der Autor erzählt eine Geschichte, die als Vorlage für ein Abenteuer dient. Hält man sich an die Vorgabe, kann nichts anderes dabei herauskommen, als diese eine Geschichte. In der Praxis bestehen lineare Abenteuer meist aus einer Aneinanderreihung von Situationen, die in einer festgelegten Reihenfolge durchlaufen werden. Nichtlineare Abenteuer dagegen bestehen aus der Beschreibung von Ereignissen, Orten und Charakteren, die der Spielleiter auf die Spielfiguren „loslässt“. Eventuell gibt es dabei lineare Stücke und festgelegte Übergänge zwischen größeren Abschnitten, wodurch das Abenteuer dann wieder etwas mehr in eine vorgegebene Geschichte übergeht.
Das Problem von linearen Abenteuern wird mit einem Begriff bezeichnet, der vor 2004 in Deutschland wohl noch ziemlich unbekannt war und mittlerweile inflationär gebraucht wird: Railroading. Die Spieler fühlen sich gegängelt, weil der Spielleiter sie dazu drängt, genau an der Erzählung des Abenteuers zu bleiben. Solch ein Gefühl der Machtlosigkeit ist natürlich frustrierend und sollte unbedingt vermieden werden. Daher geben viele linearen Abenteuer Hilfen für den Spielleiter, falls die Spieler ihre Figuren außerhalb der vorgegebenen Pfade lenken. Am häufigsten kommen Beschreibungen der Charaktere und Hintergründe der SL-Figuren vor (häufig im Anhang), aber auch Warnungen und Tipps an den Spielleiter in kritischen Abenteuersituationen sind üblich. Der Abenteuerautor hat sich im Idealfall Gedanken gemacht, wie ein Spielleiter die Spieler wieder zurück auf den „rechten Pfad“ lenken kann, ohne sie dorthin zu drängen.
Das Problem von nichtlinearen Abenteuern ist oft genug, dass der Spielleiter vom Autor alleine gelassen wird. Bekommt er beim linearen Abenteuer durch die Geschichte ein Gefühl dafür vermittelt, wie sich der Autor den Verlauf und die Spannungskurve vorstellt, so kann es bei reinen Beschreibungen von Charakteren, Orten und Ereignissen dazu führen, dass die Spielgruppe planlos darin herum stochert, ohne dass eine interessante Geschichte entsteht. Oft sind solche Abenteuer in Wahrheit eher Kampagnenhintergründe, aus denen der Spielleiter selbst Abenteuer machen muss — vorbereitet oder improvisiert. Gute nichtlineare Abenteuer geben stark motivierte SL-Figuren vor und zeigen einen möglichen Verlauf der Geschichte, um den Leiter nicht untergehen zu lassen.
Unabhängig von linear oder nichtlinear kann man ein Qualitätskriterium für gute Abenteuer aufstellen: Das Abenteuer muss eine möglichst gute Anleitung sein, einen interessanten Spielabend (oder mehrere) zu gestalten. Das ist sicherlich das A und O, und dessen sollten sich alle Abenteuerautoren unbedingt bewusst sein. Sie schreiben keinen Roman, sondern sie schreiben eine Hilfe, eine Anleitung für einen Spielleiter! Ob sich dann am Ende die Geschichten voneinander wesentlich unterscheiden oder nicht, ist eigentlich total egal, denn eine Gruppe wird ein Abenteuer nur einmal spielen. Es gibt sowohl für lineare als auch für nichtlineare Abenteuer Möglichkeiten, eine gute Anleitung zu sein. Dabei scheinen nichtlineare Abenteuer für den Autor einfacher, weil die Railroading-Gefahr größer ist und sich auf den direkten Spielspaß auswirkt. Ein schlechtes lineares Abenteuer lässt den SL hängen, wenn die Spieler auch nur ein Iota von der Geschichte abweichen und führt sofort zu spürbarer Gängelei. Ein schlechtes nichtlineares Abenteuer ist meist „nur“ mit einem Mehraufwand für den SL verbunden, das merken die Spieler aber nicht und das Spielerlebnis wird nicht (oder zumindest weniger) getrübt.
Tatsächlich sind meiner Meinung nach beide Arten von Abenteuern gleich schwierig zu schreiben. Denn wenn der SL durch zu viel Arbeit frustriert wird, wirkt sich das auf Dauer nicht gut für das Spiel aus. Es ist zwar nicht so direkt spürbar, wie beim Railroading, hat aber häufig eine mit der Zeit sinkende Abenteuerqualität zur Folge. Autoren und Redaktionen von Kaufabenteuern müssen also unbedingt verstehen, was ihre Aufgabe ist: Gute Abenteuer zu veröffentlichen! Weder will ich als SL einen Roman lesen und ins Schwimmen kommen, noch will ich mir alle Szenen und den Verlauf des Abenteuers selbst ausdenken oder improvisieren müssen. Ich will ein Abenteuer lesen und es spielen. Ganz einfach.