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28.2.2009, 22:58
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Ulrich
vorwort

Wie im Spielleiten Forum angekündigt, bin ich mal auf die Suche nach aufs Rollenspiel übertragbaren Konzepten gegangen. Hier ist nun ein Beispiel.

Viel Spass damit. Ich hoffe Ihr könnt damit etwas anfangen.

Ulrich

Rollenspiel — Lehren aus der Gruppenarbeit

Im Leitfaden für Spielleiter ist mir der mehrmalige Hinweis aufgefallen, dass Probleme innerhalb der Spielgruppe nicht notwendigerweise auf das Versagen des Spielleiter oder seiner technischen Mängel in der Spielführung zurückzuführen sind, sondern mit Problemen der Gruppendynamik zu tun haben. Als Gruppenleiter begriffen hat der Spielleiter aber natürlich die Möglichkeit, die Dynamik der Gruppe zu steuern.

Notwendig dafür ist ein Bewusstsein für Gruppenprozesse. Ich stelle hier eine Charakterisierung von modi operandi einer Rollenspielgruppe vor, die auf der Arbeit von Heron (The complete facilitator’s Handbook, 197X) basiert.

Die Rolle des Spielleiters — wie ja bekannt.
In Spielleiter hat als Gruppenleiter die Aufgabe, die Spieler zum erfolgreichen Zusammenspiel zu ermächtigen. Als ein Katalysator schafft er Bedingungen dafür, dass die Gruppe zu sich selbst finden kann. Dass also alle Spieler ihre Charaktere entfalten können. Sprich, das es ein schönes Spiel wird.

Drei Kategorien der Spielleiter-Spieler Interaktion.
Eine Gruppe kann sich in verschiedenen Zuständen befinden, die durch die Interaktion zwischen Spielleiter und den Spielern charakterisiert ist. Die drei Hauptformen nennt Heron hierarchisch, kooperativ und autonom. Der Spielleiter hat hier die Möglichkeit und Aufgabe, den Übergang zwischen diesen zu steuern. Andererseits muss er auch darauf achten, wo seine Spielergruppe gerade operiert und ob seine und die Vorstellungen der Spieler zusammenpassen.

Der hierarchische Stil. Hier hält der Spielleiter das Heft fest in der Hand. Er stellt den Spielern konkrete, eng umschriebene Aufgaben. Diese Stil dominiert etwa bei Kämpfen oder beim Abnehmen von Eigenschaftsproben. Der Einfluss der Spieler auf das Geschehen ist minimal. Der Spielleiter grenzt den Entscheidungsspielraum der Spieler klar ein.

Unerfahrenen oder unselbständigen Spieler hilft dieser Stil, ins Spiel zu kommen, und gibt dem Spielleiter Kontrolle über das Spiel. Allerdings erzeugt er auch Passivität bei den Spielern, die auf den nächsten Input des Spielleiters warten. Die Hauptverantwortung für die Spieldynamik liegt hier beim Spielleiter, denn er muss alle Impulse bringen und das Spiel vorantreiben, was auf die Dauer ermüden kann.

Der kooperative Stil. Hier ist der Spielleiter erster unter gleichen. Ihm obliegt zwar die Koordination, allerdings agiert er mehr als Schiedsrichter ‘Referee’, weniger als ‘Storyteller’. Neben dem Spielleiter geben nun auch die Spieler eigene Impulse, und treiben das Spiel damit in unerwartete Richtungen, die nicht notwendigerweise vom Spielleiter angelegt wurden. Dennoch behält der Spielleiter als Regisseur die Oberhand über das Geschehen, und erlaubt sich, das Spiel in die von ihm gewünschte Richtung zu drücken.

Die meisten Runden halten sich wohl die meiste Zeit im kooperativen Bereich auf. Der Spielleiter hat zwar Vormachtstellung, jedoch können die Spieler das Spiel mitbestimmen. Mit zunehmender Eigenständigkeit der Spieler nähert sich das Spiel jedoch einem weiteren Stil, dem ein eigener Name gegeben ist.

Der autonome Stil. Die Spielergruppe agiert selbständig und benötigt keine Anleitung durch den Spielleiter. Der Spielleiter hat zwar immer noch das Setting vorbereitet, jedoch liefert er sich den Initiativen der Spieler aus, was ihn zu häufiger Improvisation zwingt, also Zen-Spielleitung (siehe im Leitfaden für Spielleiter). Der Spielleiter kümmert sich lediglich um die Spielwelt und lässt die Spieler kommen.

Dieser Stil verlangt ein hohes Verantwortungsgefühl der Spieler gegenüber dem Spiel. Sie haben grosse Freiheit das Spiel zu bestimmen. Allerdings wird der Spielleiter sie unter Umständen hängen lassen, wenn sie nicht mehr weiter wissen.

Nicht alles schwarz und weiß.
Wie immer bei solchen Typisierungen geht die Klarheit auf kosten der Nuanciertheit. Selbstredend lassen sich während einer Spielsitzung verschieden Formen oder Mischformen der genannten Stile erkennen, zwischen denen ständig gewechselt wird. Üblicherweise werden solche Stilwechsel ohne grosses Aufheben vollzogen, wie es der Situation entspricht. Häufig kommt es aber zu Problemen, weil die Gruppe sich in einem anderen Stadium befindet, als sich Spielleiter oder einzelne Spieler wünschen — und häufig ist der genaue Grund der jeweiligen Missstimmung nicht klar. Die eingeführten Begriffe sollen es erleichtern, sich über diese Verhedderungen Klarheit zu verschaffen, und die jeweiligen Erwartungshaltungen abzustimmen.

Missverständnisse über die Interaktionsstil.
Zu Missstimmungen kann es kommen, wenn unterschiedliche Erwartungen über den Spielstil bestehen. Zwei Beispiele.

A) Spielleiter agiert hierarchisch. Spieler erwarten kooperatives Spiel. Hier ärgert sich der Spielleiter darüber, dass die Spieler ständig ‘dumme’ Ideen haben und versuchen, dass Spiel an sich zu reissen. ‘Nein, dass könnt Ihr jetzt nicht machen!’ Die Spieler ihrerseits fühlen sich bevormundet und sind frustriert, dass Ihre Ideen nicht aufgegriffen werden. Sie werden entweder passiv oder rebellisch und versuchen das Spiel des Meisters zu attackieren.

B) Umgekehrt: Spielleiter will einen kooperativen Stil, die Spieler allerdings erwarten eine hierarchische Spielführung. Hier erwartet die Spielleiter Initiativen von den Spielern, auf die Sie nicht vorbereitet sind. ‘Jetzt seid Ihr mal dran, ich sage jetzt nichts dazu!’. Die Spieler sind verunsichert, da sie das Gefühl haben, der Spielleiter lässt sie im Stich oder gibt ihnen nicht ausreichende Informationen, auf die sie eigenen Handlungen stützen könnten. Der Spielleiter wiederum klagt über die Passivität der Spieler.

Generell tritt Fall A ein, wenn der Spieleiter mehr Kontrolle hält, als den Spielern recht ist, und Fall B im umgekehrten Falle. Die Stile lassen sich hier offensichtlich nach Dominanz des Spielleiter hierarchisch ordnen — hierarchisch, kooperative, autonom.

Ursachen für solche Missverständnisse können auf nicht kommunizierte unterschiedliche Vorlieben der Spieler zurückgehen, oder auf unerwartete Stilwechsel seitens des Spielleiters. Schwieriger wird es auch, wenn der Stil, den der Spielleiter zu führen glaubt sich von dem unterscheidet den die Spieler wahrnehmen. Ein Spieleiter mag zum Beispiel glauben, er lasse den Spielern die Initiative — tatsächlich aber verliert er schnell die Geduld, wenn die Spieler stecken bleiben und übernimmt doch wieder das Heft. Ein solcher Spieleiter ist wahrscheinlich der Meinung der leite eine kooperative oder gar autonome Runde. Die Spieler allerdings werden anderer Meinung sein.

Probleme der einzelnen Spielformen.
Jeder der Interaktionsformen ist charakterisiert durch unterschiedliche Freiheiten und Verantwortungsbereiche von Spielern und Spielleiter für das Spiel.

Hierarchisch. Hier hat der Spielleiter die Pflicht, nicht nur sein Abenteuer, sondern auch die Handlungsmöglichkeiten der Spieler zu verwalten. Die Spieler erwarten, von ihm eng geführt zu werden. Er kann sich nicht darauf verlassen, dass die Spieler ihn unterstützen und muss in der Lage sein ausbrechende Spieler an der kurzen Leine zu halten. Dafür hat er das Privileg, das Spiel eng nach seinen Vorstellungen zu leiten. Die Spieler auf der anderen Seite dürfen nicht damit rechnen, dass der Spielleiter jede ihrer Ideen aufgreift. Dafür haben sie einen grossen Vorteil — absolute Narrenfreiheit. Und je nach System können sie sich noch auf die Regeln stützen, um sich vor Meisterwillkür zu schützen. (Als Beispiel stelle man sich etwa die Runde aus Knights of the Dinner Table vor)

Kooperativ. Die Herausforderung für den Spielleiter besteht darin, den Spielern einerseits einen klaren Rahmen vorzugeben, andererseits bereit zu sein auf ihre Initiativen einzugehen und zu improvisieren. Auch ist er bereit einzugreifen, wenn die Spieler in eine Sackgasse geraten. Die Spieler haben mehr mehr Einfluss auf den Spielverlauf als im hierarchischen Spiel. Auf der anderen Seite ist auch mehr von ihnen verlangt, wenn sie sich auch immer noch auf eine gewisse Führung durch den Spielleiter verlassen können (‘Wenn er den Drachen schon dahin gesetzt hat, werden wir ihn wohl auch besiegen können.’). Der Gewinn der kooperativen Spielform ist das Gefühl, dass jeder am gelingen der Spielrunde mitwirkt und sich einbringen kann, während zugleich noch ein sicherer Rahmen besteht, den der Spielleiter kontrolliert.

Autonom. Der Spielleiter gibt die Initiative fast ganz an die Spieler ab. Er greift Spielerinitiativen nicht nur auf, sondern lässt sie das Spiel dominieren. Es ist ein leiten der ruhigen Hand (Zen-Leiten). Der Spielleiter konzentriert sich gänzlich auf seine Figuren und die Darstellung der Welt. Das vorantreiben der Story ist nachrangig. Spieler interagieren untereinander und wenden sich an den Spielleiter nach Bedarf. Damit liegt viel Verantwortung bei den Spielern, die das Spiel somit auch leicht scheitern lassen können (wenn es so etwas gibt). Sie können sich nicht darauf verlassen, dass der Spielleiter sie aus einer misslichen Situation aus narrativen Gründen herausholt.

Definiert das Abenteuer den Spielstil?
Jetzt ist soviel von Interaktionsstil die Rede. Ist das nicht einfach ein andere Art, die verschiedenen Abenteuertypen einzuteilen? — Nein, das Abenteuer ist nur eine Blaupause. Wichtig ist das, was am Spieltisch geschieht. Zwar hat ein Autor eines Abenteuers vermutlich einen bestimmen Stil im Kopf, ob diese jedoch tatsächlich realisiert werden, hängt in erster Linie vom Spielleiter ab.

Die Art der Interaktion zwischen Spielleiter und Spieler ist also ein Charakteristikum der Spielrunde, gesteuert durch den Spielleiter — nicht des Abenteuers. Eine Spielrunde, die hierarchisches Spiel gewohnt ist, wird nicht notwendigerweise ihren Stil ändern, nur weil ein Abenteuer dafür vorgesehen ist. Selbst wenn der Spielleiter sich aufgrund des Abenteuers umstellt heisst das noch lange nicht, dass seine Spieler mitziehen.

Rollenverständnisse in verschiedenen Spielen.
Dungeon Master, Referee, Storyteller, Keeper — Spielleiter, Meister — Rollenspielsysteme haben ihr bevorzugtes Rollenverständnis des Spielleiters durch Namenschöpfungen betont. Etwa von Dungeon Master zu Referee, um auf einen verminderten Einfluss des Spielleiters auf die Spielhandlung deutlich zu machen. Die eingeführten Begriffe verallgemeinern diesen Ansatz. Denn was die Konzentration auf die Rolle des Spielleiters leicht verblassen lässt, ist, dass sich durch eine Rollenänderung des Spielleiters auch eine Rollenänderung der Spieler ergibt. Dem wird durch den Begriff Interaktionsstil Rechnung getragen.

Lass uns drüber reden.
Besteht also der Verdacht, dass Unruhe in der Gruppe daran liegt, dass Uneinigkeit über den Interaktionsstil herrscht, so offenbart das Gesagte gewisse Ansatzpunkte zur Problembehebung. Welchen Stil glaubt der Spielleiter zu führen? Ist es auch das, was bei den Spielern ankommt? Häufig glaubt der Spielleiter er fördere kooperatives oder gar autonomes Spiel — was bei den Spielern aber anders ankommt — und wundert sich dementsprechend über Passivität bei den Spieler. Welchen Stil würden die Spieler bevorzugen? Sind sie vielleicht mit dem autonomen Stil überfordert und langweilen sich? Wäre es ihnen lieber, man würde sie mehr bei der Hand nehmen? Sich solche oder ähnliche Fragen zu stellen, könnte dazu beitragen, entsprechende Erwartungshaltungen zu klären.

1.3.2009, 18:31
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Dom
So, bin wieder da.

Schöner Text. Hirarchisch, Kooperativ, Autonom scheinen mir eine Einteilung in Spielstile zu bieten, die interessanterweise meinem Gefühl nach nicht orthogonal zu GNS liegt. Gerade im N-Bereich dominiert wohl der Autonome Stil, im G- und S-Spiel dominieren meiner Einschätzung nach kooperatives und hirarchisches Spiel.

Eine weitere Anmerkung:

Zitat:

Jetzt ist soviel von Interaktionsstil die Rede. Ist das nicht einfach ein andere Art, die verschiedenen Abenteuertypen einzuteilen? — Nein, das Abenteuer ist nur eine Blaupause. Wichtig ist das, was am Spieltisch geschieht. Zwar hat ein Autor eines Abenteuers vermutlich einen bestimmen Stil im Kopf, ob diese jedoch tatsächlich realisiert werden, hängt in erster Linie vom Spielleiter ab.
Hier muss man das Wort „Abenteuer“ richtig verstehen. Wenn man nämlich Abenteuer als „Buch, in dem ein Autor einen Abenteuervorschlag unterbreitet“ versteht, dann beeinflusst das Abenteuer durchaus auch, was am Spieltisch geschieht. Denn der Autor gibt im Abenteuer ja, wie der Spielleiter reagieren soll, was zu tun ist. Und wenn dann beispielsweise eine sonst eher kooperative Gruppe mit einem Abenteuer konfrontiert wird, dass nur eine einzige Lösungsmöglichkeit zulässt und der Spielleiter „gezwungen“ wird, die Gruppe dort hinzutreiben, dann wird schnell der Ruf „Railroading“ laut.

Klar, das, was am Spieltisch passiert, das Abenteuer also im anderen Sinn, ist das, was zählt.

Spoiler: (anzeigen)

Darüberhinaus würde ich Zen-Spielleitung nicht unbedingt als autonom sehen, sondern eher eine Art der Vorbereitung. Aber hierüber möchte ich mich jetzt gerade nicht streiten.
1.3.2009, 19:58
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Ulrich
Ich würde auch sagen, daß 'HKA' und 'GNS' zwei verschiedene Modelle sind, die nicht direkt vergleichbar sind, sondern verschiedene Ebenen abdecken.

Klar hat die Abenteuerstruktur (also die in dem Buch, in dem ein Autor… etc.) Einfluss auf die vorherrschenden Interaktionsform. Ich wollte allerdings betonen, dass HKA Arten von Gruppendynamik beschreiben.

Zen. Ok, Streit um Worte. Da hatte ich das Zen-Leiten anders aufgefasst, eben auch als eine bestimmte Art am Spieltisch zu leiten. Aber daran hänge ich micht nicht auf — ich hatte die Bemerkung nur zu illustrativen Zwecken eingefügt.
1.3.2009, 20:11
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Dom

Zitat:

Ich würde auch sagen, daß 'HKA' und 'GNS' zwei verschiedene Modelle sind, die nicht direkt vergleichbar sind, sondern verschiedene Ebenen abdecken.
Jupp, würde ich auch sagen. Aber eben doch nicht völlig unabhängig, zumindest nicht nach meinem Gefühl.
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