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20.11.2007, 19:27
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Dom
Zunächst: Graham hat ein Buch über Improvisation geschrieben: „Play unsafe“. Dort beschreibt er die hier erklärten Dinge etwas ausführlicher. Das hatte dummerweise zur Folge, dass Graham ca. 2/3 seiner Blog-Artikel wieder gelöscht hat, so dass ich Teil 3 zum Teil aus dem Kopf reproduzieren muss und Teil 4 heißt jetzt „Playing with others“. Ich werde diese Reihe demnächst damit abschließen.

Jetzt aber zu Teil 3 von Catch your Hare. Nachdem es im ersten Teil um Statuswechsel und im zweiten um Spontanität ging, geht es jetzt um das Improvisieren von Geschichten. Das Schöne an diesem Teil sind die konkreten Techniken, die vorgestellt werden. Ich werde sie jetzt einfach mal einzeln durchgehen.

1. Einbringen und Wiederverwenden

Als Geschichtenerzähler kann man Elemente einbringen, von denen man selber noch nicht so genau weiß, was es ist. Beispiele sind ein Schlüssel der auf kein Schloss passt, ein geheimnisvoller Rat oder sonstwas. Später kann man auf diese Dinge wieder zurückgreifen und sie auflösen. Dabei sollte man die Sachen in umgekehrter Reihenfolge auflösen, wie sie eingeführt wurden.

Zitat von Beispiel von Graham:

For example, this story…

1. When you leave home, your father gives you a silver key.
2. The man in the tavern warns you not to look at the dragon.
3. There are mysterious words written on the city wall.
4. The silver key opens the dragon’s lair.
5. You don’t look at the dragon as you kill it.
6. The mysterious words open the chest the dragon guarded.

…is OK. But this is better:

1. When you leave home, your father gives you a silver key.
2. The man in the tavern warns you not to look at the dragon.
3. There are mysterious words written on the city wall.
4. The mysterious words open the dragon’s lair.
5. You don’t look at the dragon as you kill it.
6. The silver key opens the chest the dragon guarded.

Darüberhinaus kann auf ein einmal eingeführtes Faktum mehrmals zurückgegriffen werden. Wichtig ist die „Rule of 3“, d.h. man führt es ein, dann wird nochmals drauf eingegangen aber es versagt und dann klappt es. Um bei dem Beispiel von oben zu bleiben:

Beispiel:

- Du bekommst von deinem Vater den silbernen Schlüssel
- Du erkundigst dich nach der Bedeutung des Schlüssels, kriegst aber nix raus
- Dann, beim Drachen, probierst du ihn aus und er passt

2. Routinen unterbrechen

Eine wichtige Technik um Tempo in die Geschichte zu bringen ist das Unterbrechnen von Routinen. Eine Routine ist eine langweilige Sache, die eine Weile anhält und durch etwas anderes, z.B. eine andere Routine oder was spannendes, unterbrochen wird.

Beispiel:

* Wir saufen in der Taverne … als ein merkwürdiger Fremder zu uns kommt
* Wir jagen in der Wildnis … als wir das lauteste Gebrüll hören, das wir jemals gehört haben
* Ich repariere meine Rüstung … als ich merke, dass sie sich nicht verformt, wenn ich sie mit meinem Hammer treffe

Wie schon angedeutet, können Routinen auch von Routinen unterbrochen werden bzw. die Unterbrechnungen haben andere Routinen zur Folge:

Beispiel:

* Wir jagen in der Wildnis … als wir das lauteste Gebrüll hören, das wir jemals gehört haben
* Wir gehen dem lauten Gebrüll nach … aber ein seltsames Kraftfeld hält uns zurück
* Wir suchen einen Weg, um das Kraftfeld zu umgehen … als ein Schamane auf uns zukommt
* Wir reden mit dem Schamanen … während er plötzlich beginnt, sich in etwas anderes zu transformieren

Die Frage ist: Wann soll man eine Routine unterbrechen? Die Antwort laut Graham: Du kennst den richtigen Zeitpunkt. Jedem ist intuitiv klar, wann eine Routine unterbrochen werden muss.

3. Plattformen bauen und einreißen

Sehr ähnlich zu den Routinen, aber etwas feiner aufgelöst und es zielt mehr auf Dramatik ab. Die Plattform ist eine Plattform der Ruhe, die Unterbrechung kommt plötzlich und bietet sofort was spannendes.

Beispiel:

* Ich sitze am Tresen, als der Wirt mich plötzlich anschreit
* Die Charaktere erreichen ein idyllisches Dorf, da kommt ein Lindwurm und raubt im Vorbeiflug einen kleinen Jungen
* Während einer Wanderung bricht ein Charakter plötzlich in den Boden ein und verschwindet

4. Creating Mysteries

Hierzu kann ich nix schreiben; ich habe den Eintrag leider nicht gelesen.

5. Justification

Dies ist eine Technik, die im Rollenspiel von allen Spielern problemlos angewendet werden kann. Ein Spieler erwähnt etwas, was er zunächst nicht näher erklärt, aber später dann auflöst. Beispiele sind eine geheimnisvolle Tätowierung, ein Erbstück, ein oft zitierter Satz o.ä.

Hier ist zu bemerken, dass die Mitspieler erwarten, dass man es später aufklärt und sich sozusagen für die Einführung rechtfertigt. Wichtig ist hier, dass das Faktum nicht sofort erklärt wird, sondern zu einem späteren Zeitpunkt. Aber dann sollte es auch tatsächlich geklärt werden.

6. Get to the action

Oft ist es klar, worum sich ein Spiel dreht:

Beispiele:

* Wir werden den bösen Herrscher töten
* Wir werden den Schatz finden
* Wir werden den Mörder enttarnen

Manchmal wird dieses Ziel sehr schnell erreicht obwohl die Geschichte länger dauern soll. Häufig wird dann das Ziel hinausgezögert:

Beispiele:

* Der Herrscher ist nicht da, wo man ihn erwartet hat
* Der Schatz ist wertlos, es gibt aber einen Hinweis auf den richtigen Schatz
* Das Gesicht des Mörders auf dem Überwachungsvideo ist nicht zu erkennen

Das ist aber nicht viel anders als das Blockieren von Ideen: Die Geschichte wird verzögert und es passiert nichts neues. Sagt man einfach „ja“ zu der „zu schnellen“ Entwicklung, so passiert doch zunächst mal folgendes:

Beispiele:

* Wir töten den Herrscher
* Wir finden den Schatz
* Wir enttarnen den Mörder

Und dann kann man auf dieser Basis weitermachen, z.B.:

Beispiele:

* Wir herrschen nun selber über das Königreich
* Der Schatz ist in Wahrheit Beute eines Raubzuges und der eigentliche Besitzer will ihn zurück
* Wir müssen den Mörder auch noch fangen

Damit geht die Geschichte weiter, interessante Dinge passieren.
So, das waren die Techniken zum dritten Teil, wobei eine Technik (Creating Mysteries) fehlt. Wenn ich das richtig gelesen habe, hat sie eine recht enge Verbindung zu Justification, denn auch da werden Mysterien geschaffen.

Insgesamt nettes Handwerkszeug, obwohl ich die Techniken für eine Beschreibung aus meiner Sicht auf drei Techniken reduzieren würde:
1. Wiedereinbringen von zunächst unerklärten Dingen
2. Plattformen/Routinen einreißen
3. „Get to the action“

20.11.2007, 19:51
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Dom
Dabei halte ich im übrigen das „Get to the action“ für eine ziemlich wichtige Aussage. Ok, es kann problematisch sein, wenn es einen strengen Metaplot gibt, der einem ein „weiterspielen“ verbietet, wenn man das „Ende“ erreicht hat. Aber hier wird mal explizit darüber geredet, das das künstliche Verlängern, das Hinauszögern, eigentlich nur ein Blockieren der Ideen der Mitspieler ist. Wird das Ende hinausgezögert, wird das nämlich oft als Gängelung durch den SL angesehen (obwohl es das eigentlich ja gar nicht ist, aber das Gefühl reicht ja).
20.11.2007, 20:08
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Purzel
Ich überlege, ob es für diese Impro-Techniken nicht eine geeignete Schreibweise gibt, etwas damit sich der SL in seinen eigenen, improvisierten Geschichten und Handlungssträngen zurechtfindet. Ich sehe die Gefahr, daß man ein wenig den Überblick verlieren kann.
Zum Beispiel: vorgedruckte SL-Blätter auf denen man ersehen kann, welche Handlungen es gibt, in welchem Zustand sie sich befinden (offen, ungeklärt, am Ende, abgeschlossen), fände ich nützlich.

Desweiteren stellt sich bei mir die Frage: wie häufig wendet man solche Techniken am besten an? Wie viel aus dem Ärmel geschüttelten Inhalt braucht man für ein komplett improvisiertes Spiel? Wie viel Impro braucht man dagegen bei vorgeplanten Plots?

Und wo und wann ist Impro eher kontraproduktiv?
20.11.2007, 20:27
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Dom
Wenn es beim Rollenspiel weniger um die Geschichte geht, ist Improvisation von Geschichten (also das, was Graham beschreibt) fehl am Platz. Nimm D&D: Da gehts primärer um ARS, die Herausforderungen können nur schwer improvisiert werden. Du brauchst dafür Improvisationstechniken für Herausforderungen statt für Geschichten; die würden dann dabei als „Abfall“ rauskommen.

Zur Häufigkeit der Anwendung: Kommt drauf an, kann man wohl pauschal nicht beantworten. Wenn du was komplett improvisieren willst (evtl. mit einem Thema als „Vorbereitung"), sind die Techniken sehr nützlich und du wirst sie sicher fast dauernd anwenden. Wenn du ne vorbereitete Geschichte hast, brauchst du Improvisation wohl nur, wenn die Spieler von der vorgegebenen Geschichte abweichen.
21.11.2007, 01:46
Skyrock
Für mein Spiel ist das alles in expliziter Form (Reihenfolge etc.) reichlich verkünstelt, aber wer seine Fiktion geschliffen mag wird sicher Freude daran haben.

1 funktioniert generell gut, gerade auch bei explorativem ARS. Wenn man am Dungeonboden Pechspuren am Boden eines Raumes entdeckt und er sich später als Ritualplatz erweist an dem die Goblins mit brennenden Fackeln den Vulkangott anbeten, dann vernetzt das das Geschehen und macht es greifbarer als wenn alles unverbunden vor sich hin wurschtelt. Ferner erlaubt es Rückschlüsse zu ziehen, Theorien zu spinnen, zu überprüfen und zu verfeinern/verwerfen/bestätigen. Gerade bei investigativen Sachen trägt das zum Spaß bei. (Ich erinnere mich etwa an ein Cthulhuabenteuer wo man Meerwasserpfützen und Tangfetzen am Boden des Tatorts findet und man später rausfindet dass Deep Ones eingebrochen sind.)

3 ist besonders bei dynamischen Szenarien wichtig — man muss einen guten Bogen zwischen sicheren, ruhigen Szenen und dem Einriss dieser Sicherheit finden.

6 ist eine gute Einstellung. Man sollte seinen Spielern nicht den Sieg schenken (gerade nicht im ARS), aber wenn sie ihn sich erarbeitet haben dann sollen sie ihn auch nutzen. Es gibt keine Errungenschaften die das Spiel beenden, nur solche die es auf höheres Powerniveau hieven.

Zitat:

Du brauchst dafür Improvisationstechniken für Herausforderungen statt für Geschichten; die würden dann dabei als „Abfall“ rauskommen.
Warum „statt“? Herausforderungen und dadurch produzierte Geschichte können Hand in Hand gehen.
Die von mir schon einmal angerissene Zufallsbegegnungstabelle aus CP2020 ist dafür ein exzellentes Beispiel.

Was mich in dieser Hinsicht in jüngster Zeit gefallen hat ist die Random-NPC-Tabelle im StarCluster-System die einem NSC mit wenigen Würfelwürfen und SL-Entscheidungen Werte und eine Agenda zuweist wegen der er sich mit den SCs beschäftigt.

Wenn sie gelangweilt in der Taverne zum fröhlichen Auftraggeber rumhocken und der Kolumbianer in der dunklen Ecke sich mit wenigen Würfelwürfen als meisterlicher Pistolenschütze und Überwachungstechniker herausstellt, der sich wegen einer Spionagemission für eine Mafiafamilie für die SCs interessiert… Dann kommt der Ball definitiv ins Rollen und hat eine Menge weiterer Fäden an sich hängen ;)
21.11.2007, 18:26
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Dom

Zitat von Skyrock:

Zitat:

Du brauchst dafür Improvisationstechniken für Herausforderungen statt für Geschichten; die würden dann dabei als „Abfall“ rauskommen.
Warum „statt“? Herausforderungen und dadurch produzierte Geschichte können Hand in Hand gehen.
Die von mir schon einmal angerissene Zufallsbegegnungstabelle aus CP2020 ist dafür ein exzellentes Beispiel.

„Statt“, weil ich meine, dass wenn man reine Story-Inhalte improvisiert, zwar eine (hoffentlich) gute Geschichte herausbekommt aber, aber dabei fallen nicht unbedingt gute und passende Herausforerungen ab. Improvisiert man dagegen (hoffentlich) gute Herausforderungen, so fällt dabei eine Geschichte ab.

Vielleicht ist das „statt“ eine etwas zu harte Wortwahl … aber man braucht bei ARS auf jeden Fall mehr als einen Nebenblick auf die Herausforderung.
21.11.2007, 23:23
Skyrock
Ah, so meinst du das. Macht dann schon mehr Sinn und deckt sich mit meinen Erfahrungen — ARS kann großartige Geschichten hervorbringen, aber immer nur als Nebenprodukt und meist in der Erzeugung selbst etwas ungeschliffen.
(Als Beispiel verwende ich gerne legendäre sportliche Auseinandersetzungen wie das WM-Finale '54 oder den unerwarteten Durchmarsch der Griechen bei der EM 2004, die beim Miterleben erst einmal eine reine Ansammlung von scheinbar unverbundenen Konflikten und ihren Ausgängen sind, rückblickend, aus globalerer Betrachtung heraus und mit dem Abschleifen der weniger bedeutenden Ereignisse aber eine Geschichte mit Spannungskurven, Wendungen und Schlüsselmomenten ergeben ohne dass die Akteure gezielt auf eine solche hingearbeitet hätten.)
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