Vorgeplänkel
Wie versprochen, hier die Formalisierung und noch ein bisschen Diskussionsvorlage. (Insbesondere Thimorn ist eingeladen zu ergänzen und zu korrigieren. )Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Begriff Wahrscheinlichkeit zu definieren. Ich möchte mich nicht so richtig einer davon anschließen (und wenn, dann eher dem frequentistischen Begriff), sondern eher beide Erklärungen gleichwertig nebeneinander stehen lassen. Die beiden Begriffe hatten wir beim letzten Mal in der Diskussion schon. Aus mathematischer Sicht ist das schöne, dass man mit beiden Erklärungen auf dieselben Rechenregeln kommt, so dass wir uns gar nicht entscheiden müssen, sondern die gleichen Rechenregeln auf zwei (sehr ähnliche) Phänomene anwenden können, die man beide intuitiv als „Wahrscheinlichkeit“ auffassen kann.
Beiden Definitionen gemein ist, dass es sich bei Wahrscheinlichkeit um eine Maßzahl handelt. Und zwar misst man die Sicherheit, mit der ein bestimmtes Ereignis eintritt.
Ereignisse
Zunächst einmal: Was ist ein Ereignis? Dabei handelt es sich um ein beobachtbares Geschehen. Also ein Geschehen, von dem wir auf irgendeine Art und Weise entscheiden können, ob es eingetreten ist oder nicht. Und dabei darf es kein „es ist so halb eingetreten“ geben. Wir müssen – sofern das Ereignis eingetreten ist – klar entscheiden können: „Ja, es ist eingetreten.“ Und wir müssen das Ereignis von anderen (möglicherweise sehr ähnlichen) Ereignissen klar abgrenzen können. Also, wenn wir irgendwas beobachten, müssen wir auch sagen können: „Nein, das war es nicht.“Betrachten wir ein Beispiel. Ich als SL sage: „Mach 'ne Stärkeprobe, ob du den Stein aufheben kannst.“ Die Regeln sagen aus: Eine Stärkeprobe gelingt dann, wenn der W20 höchstens den Wert zeigt, der auf dem Charakterbogen vermerkt ist. Ich gehe also davon aus, dass der Spieler einen W20 nimmt, würfelt und den Wert mit dem Stärkewert seiner Spielfigur vergleicht. Wir können damit entscheiden, ob das Ereignis „Stärkeprobe gelungen“ eingetreten ist oder nicht.
Überlegen wir jetzt mal, was in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit für die gelungene Probe bedeutet. Da sie lediglich misst, wie sicher ein Ereignis eintritt, machen wir also nur eine Aussage darüber, wie sicher die Probe gelungen ist. Wir können gar keine Aussage darüber machen, was der W20 genau zeigt, wie gut die Probe gelungen ist oder wie es sich anfühlt, wenn eine Ziege unter den Fußsohlen leckt.
„Das ist doch alles albern, warum reitest du so darauf rum?“ wird nun so mancher fragen. Ich möchte ein Gefühl dafür geben, was überhaupt passiert, bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Was letztendlich für „primitive Dinge“ man betrachtet. Und wie schnell die Grenzen dessen, was man betrachtet, erreicht sind. Und – was auch wichtig ist – wovon man überhaupt Wahrscheinlichkeiten ausrechnen kann. Denn so etwas wie „Sag doch mal, wie verhält sich das denn mit den Wahrscheinlichkeiten beim Würfeln mit 3W6 gegenüber W20?“ ist eine Frage, die man nicht beantworten kann, ohne weitere Informationen zu bekommen, welche Ereignisse überhaupt gemeint sind.
Wahrscheinlichkeiten
Kommen wir nun endlich zu den Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit ist ein Maß für die Sicherheit des Eintritts eines Ereignisses. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit ein beschränktes Maß; anders als z.B. Entfernungen gibt es eine maximale Wahrscheinlichkeit, nämlich die absolute Sicherheit (absolute Sicherheit = 1 = 100 %). Zudem ist die Wahrscheinlichkeit (wie alle Maße) niemals negativ und sigma-additiv.Niemals negativ kapiert man ja noch. Aber Sigma-additiv? Was ist das denn? Das droht leider, ziemlich formal zu werden. Aber ich versuche das zu vermeiden. Erstmal: Was ist additiv? Addition kennen wir, das ist das Plusrechnen. Und wenn etwas additiv ist, dann darf man es zusammenzählen. Also: Wenn ich von hier zum Klo zwanzig Schritte gehen muss, und dann von da zum Bierkeller siebzig Schritte, dann bin ich insgesamt neunzig Schritte gegangen. Ich darf die Strecken also zusammenzählen. (allerdings nur, wenn sie sich nicht überlappen. Das kommt weiter unten noch einmal etwas genauer.) Das mit dem Sigma ist eine Einschränkung, die sich auf besonders große unendliche Summen bezieht: Wenn wir überabzählbare viele Teile addieren wollen, geht das im allgemeinen nicht mehr. Das interessiert uns aber nicht: Wir werden es damit nicht zu tun haben. Bei uns gilt: Solange sich die Ereignisse nicht „überlappen“, dürfen wir Wahrscheinlichkeiten zusammenzählen.
Spoiler zu "Unendlichkeit": (anzeigen)
Unendlich ist ja schon ein verrückter Begriff, aber die Mathematiker haben tatsächlich mehrere Arten von unendlich. Um genau zu sein, sogar unendlich viele Unendlichkeits-Begriffe. Die wichtigsten davon sind aber „abzählbar unendlich“ (das ist das kleinste Unendlich) und „überabzählbar unendlich“ (das sind alle weiteren Unendlichs). Mehr möchte ich hier dazu aber nicht sagen. Das Thema wäre locker groß genug, um einen weiteren Artikel zu schreiben.
Zum „Überlappen“. Was soll das bedeuten? Ich versuchs mal ganz einfach mit einem Beispiel: Ein Ereignis könnte sein, „Ich würfele mit einem W6 eine gerade Zahl.“ Ein anderes Ereignis: „Ich würfele mit einem W6 höchstens eine 3.“ Da die Zahl 2 in beiden Ereignissen vorkommt, dürfen die Wahrscheinlichkeiten für diese Ereignisse nicht einfach addiert werden. Wenn Ereignisse sich nicht überlappen, so nennt man sie disjunkt.Führen wir noch eine Abkürzung ein: P. P soll für „Probability“ stehen, also „Wahrscheinlichkeit“. Und wenn ich schreibe: „P(Ereignis)“ dann bezeichnet das die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses. Also z.B. P(W20=5) beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass ein gewürfelter W20 eine 5 zeigt.
Fassen wir das Ganze noch einmal zusammen:
* P(Ereignis) = 1
Das Ereignis tritt sicher ein. Dies ist die maximale Wahrscheinlichkeit; eine größere Wahrscheinlichkeit gibt es nicht.
* P(Ereignis) = 0
Das Ereignis tritt sicher nicht ein. Dies ist die minimale Wahrscheinlichkeit; negative Wahrscheinlichkeiten gibt es nicht.
* P(Ereignis1 + Ereignis2) = P(Ereignis1) + P(Ereignis2)
Dabei dürfen sich die Ereignisse nicht überlappen. Und das gilt auch für unendlich viele Ereignisse (aber dazu müssen uns erst einmal unendlich viele Ereignisse einfallen, die sich nicht überlappen).
Damit ist mathematisch ziemlich genau festgelegt, was Wahrscheinlichkeit ist: Eine Maßzahl für Ereignisse. Und die Rechnerei damit ist tollerweise kompatibel sowohl mit dem bayesschen als auch mit dem frequentistischen Wahrscheinlichkeitsbegriff und stimmt somit mit unserer (sagen wir zumindest mit meiner) intuitiven Vorstellung von Wahrscheinlichkeit überein.
Beim nächsten Mal werden wir dann noch einmal zu den Ereignissen zurückkehren und genauer betrachten, was überlappende Ereignisse sind. Außerdem kann man damit dann rechnen üben. Und wir müssen unbedingt formaler werden, denn das vereinfacht das darüber reden.