Hier sind – glaube ich – drei Fragen vermischt, die mit einem Fertigkeitssystem zusammenhängen.
1. Die Differenzierung der Charaktere läuft nicht nur über Werte, d.h. ich kann auch in einem System wie
SEUCOR unterschiedliche Charaktere darstellen, und das ganz ohne ein Werte-System, Fertigkeiten, Talente, Traits oder sonstwas.
2. Die Differenzierung der Klassen ist davon getrennt zu sehen. Dafür braucht das Spiel erst einmal ein Klassensystem. Berühmte Beispiele für Klassensysteme ohne Fertigkeitssysteme sind sicherlich oD&D und DSA1. Hier wird die Differenzierung über besondere Fähigkeiten, die niemand anders hat, geregelt: Zwerge können intuitiv Gangsysteme erkennen, Krieger dürfen große Schwerter und dicke Rüstungen tragen und Magier können Zaubern. Ich denke schon, dass da signifikante Unterschiede zwischen den Klassen erkennbar sind.
Und dafür sind ja auch die Klassen da: Um einen gewissen Nischenschutz zu gewähren. Dazu hat eine Klasse eben Besonderheiten, die sie von anderen Klassen abgrenzt.
3. Früher, in den goldenen Rollenspielzeiten, haben die Leute ja auch Waldläufer gespielt. Und dann hat die Spielleiterin eben gesagt: Du bist Waldläufer und findest die Spuren, wenn du mit W20 höchstens Weisheit würfelst. Und der Rest der Gruppe hat keine Ahnung und findet sie höchstens bei einer 1 auf W20. Das ist die Richtung, die der Norbert mit seinen Regeln „
Abenteuer!“ predigt. Es gibt so etwas wie Fertigkeitsregeln nicht direkt, die Spieler (und vor allem die Spielleiterin) entscheidet nach gesundem Menschenverstand, legen Boni und Mali fest. Regeln in dieselbe Richtung gibt es übrigens auch bei AD&D2E: Wenn man nicht mit den (optionalen) Fertigkeitsregeln spielen möchte, kann man sein Vorkenntnisse grob festlegen (z.B: „Jäger"). Anhand dessen entscheidet dann die Spielleiterin, ob die Spielerfigur etwas kann oder nicht und kann bei Bedarf auch Attributsproben verlangen oder verweigern.
Zusammenfassend: Man braucht keine Fertigkeitsregeln. Weder, um unterschiedliche Charaktere darzustellen, noch um Klassen zu trennen und auch nicht, um zu entscheiden, was eine Spielerfigur kann oder nicht.
Das oben beschriebene konkrete Problem mit dem Waldläufer und dem Kleriker entsteht weder durch das Fehlen von Fertigkeitsregeln, noch sind detaillierte Fertigkeitsregeln dafür die einzige Lösung. Es handelt sich um das Problem, dass die Werte auf dem Papier nicht die gefühlten Fähigkeiten der Spielerfigur widerspiegeln: Der Kleriker sollte einfach nicht so gut Fährtenlesen können wie der Waldläufer. Das ist mMn ein inhärentes Problem des Systems (im Beispiel: DnDNext) und nicht des fehlenden oder benötigten Fertigkeitssystems.
BTW: Solange sich die Fähigkeiten nur graduell unterscheiden und (klassischerweise) durch einen Würfelwurf entschieden werden (geschafft vs. nicht geschafft), so kann es zwar auf dem Papier gefühlt richtig sein, in der konkreten Situation allerdings total lächerlich. Man erinnere sich nur an die Stärkeprobe in „The Gamers“ (
Lift with the legs, Rogar, not the back).