Irgendwie lässt uns das Thema ja nicht los. Railroading, das Schimpf- und Unwort der Rollenspieler. Manch einer findet Railroading gut, andere blöd. Und meistens weiß keiner so recht, was überhaupt damit gemeint ist. Die Folge: Die Diskutanten streiten aneinander vorbei. Zuletzt bemerkte ich dies beim herzlichen Rollenspiel und dort vor allem in den Kommentaren.
Daher möchte ich hier erst einmal sagen, was ich (diesmal) unter Railroading verstehe: Die Spielleiterin hat eine Situation im Kopf und versucht mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, die Handlung der Spielerfiguren so zu beeinflussen, dass die Situation auch eintritt. (Das ist etwas anderes, als die Forge-Definition sagt — aber es ist das, von dem ich das Gefühl habe, dass die meisten Leute im deutschsprachigen Raum genau dies erst einmal unter Railroading verstehen.)
Im weitesten Sinne railroaded daher jede Spielleiterin ständig. Die Spielleiterin gibt Situationen vor, lässt Spielleiterfiguren handeln und erschafft Umgebungen. Und zwar mit dem Ziel, dass die Spieler darauf reagieren und das Spiel für alle interessant wird. Fasst man also die Situation im Kopf ganz weit (z.B. „interessantes Spiel") betreibt jede Spielleiterin ständig Railroading.
Okay, so weit mag vielleicht nicht jeder mitgehen. Werden wir etwas konkreter: Die Situation, die die Spielleiterin im Kopf hat, ist „Showdown in der Räuberhöhle“, wie auch immer dieser Showdown aussehen mag. Die Spielleiterin streut Hinweise, die Spieler wollen den Kriminalfall lösen. Am Ende kommt es in der Räuberhöhle zum Kampf, nachdem die Beweise gegen die Räuber sprechen und die Spielerfiguren etwas ungeschickt aufgefallen sind. War das vielleicht Railroading? Wäre das Spiel anders verlaufen, wenn die Spielleiterin die Situation nicht im Kopf gehabt hätte? Man weiß es nicht. Aber so richtig nach Railroading klingt das auch nicht — jedenfalls nicht, ohne näheres über das Spiel zu wissen.
Wahrscheinlich fehlt in der Definition einfach noch ein wichtiger Bestandteil: Nämlich dass die Spieler merken, dass die Spielleiterin sie in eine bestimmte Richtung drängen will. Die Spieler müssen die harten Schienen spüren. Wenn sie das Lenkrad herumreißen, ändert der Wagen die Richtung nicht. Die Leine muss ihnen die Luft abschnüren, wenn sie versuchen, sich frei zu bewegen. Sonst ist es kein Railroading.
Versuchen wir eine neue Definition, um dieses Gefühl ergänzt: Die Spielleiterin hat eine Situation im Kopf und versucht mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, die Handlung der Spielerfiguren so zu beeinflussen, dass die Situation auch eintritt. Die Spieler fühlen sich dadurch in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Aber macht diese Ergänzung die Sache jetzt nicht wirklich einfacher, Railroading zu erkennen? Mir fällt da ein Blogpost von 1of3 zu ein: Es gibt Helden, und es gibt Abenteurer. Abenteurer sind die Profis, die ausziehen, um Abenteuer zu erleben. Helden dagegen werden in die abenteuerlichen Situationen gedrängt, weil ihnen etwas (meist negatives, ihre direkte Peer-Group betreffendes) zugestoßen ist. Die Spielleiterin hat ja im Normalfall ein Abenteuer vorbereitet und erwartet, dass die Spieler sich drauf stürzen. Das heißt, die Spieler werden gedrängt, Abenteurer oder zumindest Helden zu spielen und dürfen sich nicht gegen das Abenteuer entscheiden. Den Anschlag am schwarzen Brett „Abenteurer gesucht“ darf man im Normalfall nicht einfach ignorieren und sagen „Ich geh lieber wieder ins Bett.“
Okay, hier kann man aber sagen: Das ist ja selbst gewählt. Egal ob Held oder Abenteurer, die eigene Spielerfigur schränkt die möglichen Spielentscheidungen ein, nicht die Spielleiterin. Die Spielleiterin wirft nur mit einer Situation um sich und weiß, dass die Spielerfiguren darauf reagieren müssen. Andernfalls ist der Spieler wahrscheinlich ein Spielverderber, der nicht rollengerecht spielt. Oder der Spieler hat sich eine Spielerfigur ausgedacht, die nicht auf die Situation reagiert. Letzteres kann wieder unterschiedliche Ursachen haben: Die Spielleiterin hat vielleicht die Spielerfigur falsch eingeschätzt, oder der Spieler wusste nicht, welche Art von Spielerfigur für das Spiel benötigt wird. Die Spieler inklusive der Spielleiterin sollten sich daher vor dem Spiel unbedingt darauf verständigen, was für ein Spiel gespielt werden soll und welche Spielerfiguren benötigt werden. Das ist genau der Grund, warum Spielleiterinnen unpassende Spielerfiguren nicht zu einem Spiel zulassen sollten: Sie vermeiden damit Railroading und somit das Gefühl für die Spieler, dass die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.
SInd jetzt railroadende Spielleiterinnen faul, wie Jan im herzlichen Rollenspiel schreibt, weil sie nicht genug vorbereitet haben oder gelernt haben, wie man flexibel mit unvorhergesehenen Situationen umgeht? Nicht zwangsläufig, kann aber sein. Haben sie einen eingeschränkten Werkzeugkasten? Auch nicht unbedingt, ist aber natürlich möglich. Was nämlich meiner Erfahrung nach oft fehlt und dann zu Railroading führt, ist eine Verständigung darüber, welches Spiel überhaupt gespielt werden soll. Wenn nicht die Art von Spielerfiguren im Spiel vorkommen, für die das Spiel vorgesehen ist, kann die Spielleiterin nicht anders als entweder ein komplett anderes Spiel zu spielen oder die Spielerfiguren in die Situation zu drängen, die zum (eventuell ausführlich vorbereiteten) Spiel passen. Je weniger vorbereitet ist, oder je flexibler die Vorbereitung ausgefallen ist, umso größer ist das Spektrum der passenden Spielerfiguren. Das Rollenspiel(-system) gibt ja oft schon einen recht zuverlässigen Hinweis auf die Art der Spielerfiguren, die gefragt ist. Muss aber nicht — insbesondere bei bei-uns-kannst-du-alles-spielen-Rollenspielen wie z.B. DSA.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(PS: Ein anderer beliebter Grund für Railroading ist übrigens die Abhängigkeit der Spielleiterin von einer bestimmten Situation in der Zukunft. Das würde aber hier den Rahmen sprengen.)