Ein interessantes Thema, für mich eigentlich längst abgeschlossen. Und trotzdem scheint es noch einiges an Diskussions-Bedarf zu geben. Worum geht's? Es geht darum, dass ein Spieler seinen Charakter „gruppenfeindlich“ ausspielt und dann — darauf angesprochen — eben jenen Satz von sich gibt, um das Verhalten des Charakters zu entschuldigen.
Das das kein neuer Hut ist, sieht man schon daran, dass Tyll und Katharina darauf bereits vor Jahren eingegangen sind (Texte von Mai 2004). Die neueren Diskussionen sind von Frank angeregt, im GroFaFo von Jörg aufgegriffen und dann vorgestern wiederum von Frank in seinem neuen Blog weitergeführt worden (alle August 2007). Das Interessante ist, dass auch Franks Method-Acting-Falle bereits im Wolkenturm beschrieben wird — nur eben nicht mit der modernen Begrifflichkeit und den (halbwegs) exakten Definitionen.
Damit niemand alle diese Texte lesen muss, hier eine (von mir persönlich gefärbte) Zusammenfassung. Es gibt Spieler, die gerne ihren Charakter ausspielen. Sie betrachten es als einzig wahres Rollenspiel, die Persönlichkeit des Charakters bei der Charaktererschaffung festzulegen, sich dann während des Spieles in diesen hineinzuversetzen und dann alleine aufgrund des Charakterwissens und der fiktiven Persönlichkeit Entscheidungen zu fällen. Diese Art von Spiel geht häufig von sogenannten Charakterdarstellern (nach Laws „Method Actor") aus. Sie erklären, dass es sich ja um Rollenspiel handelt, d.h. das Darstellen der Rolle ist das höchste Ziel. Da vom Wort her diese Erklärung einleuchtend ist, haben viele Rollenspieler diesen Standpunkt übernommen, auch wenn ihnen eigentlich nicht unbedingt die Darstellung ihrer Charaktere persönlich besonders wichtig ist. Aber die Darstellung des Charakters, das Hineinversetzen in die Rolle, Trennung von Charakter- und Spielerwissen und konsequentes Ausspielen des Charakters werden oft als gutes Rollenspiel gepredigt.
Gegen das Ausspielen einer Rolle ist ja auch nichts einzuwenden, eigentlich. Jedoch stößt man da schnell an Grenzen: Ein Zuckerbäcker, der Angst vor der gefährlichen Welt außerhalb der schützenden Stadtmauern hat, wird sich, konsequent ausgespielt, nicht freiwillig an einer Entdeckungsreise beteiligen. Der Spieler erwartet dann, dass der Spielleiter sich für diesen Charakter einen triftigen Grund ausdenkt oder der Charakter bleibt in der Stadt. Bei einem Charakter mag das vielleicht noch gehen, bei mehreren erweist sich das aber als unlösbares Problem. Im Wolkenturm ist daher zu lesen:
Zitat von Katharina und Tyll:
Kein gutes Zusammenwirken von SpielerInnen und Meister findet dann statt, wenn der Meister um ein gutes Zusammenspiel aus Dramaturgie und Welt kämpft, die SpielerInnen aber seine Bemühungen immer wieder erschweren oder zunichte machen, indem sie einfach ihre Figuren entsprechend dem Konzept des „guten Charakterspiels“ stur konsequent so spielen, wie sie das für richtig halten — ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, den Spielleiter bei seinen Bemühungen dadurch zu unterstützen, dass sie selber dramaturgische Erwägungen ins eigene Spiel mit einbeziehen. Nicht nur der Spielleiter hat die Verantwortung, ein spannendes Abenteuer zu meistern — auch die SpielerInnen haben eine Verantwortung! Nämlich mindestens für ein Zusammenspiel der Gruppe, das den Meister in seinen Bemühungen unterstützt und nicht hintergeht.
Ein anderes Problem betrifft nicht das Zusammenspiel von Charakterdarsteller und SL, sondern von Charakterdarsteller und anderen Charakterspielern:
Zitat von Frank:
Ich habe schon mehr als einmal erlebt, wie ein Spieler bewusst die gruppenfeindliche Handlung wählte, um nicht in den Verdacht zu geraten, er hätte sich bei der Entscheidung irgendwie von „Spielerwissen“ beeinflussen lassen.
Dabei handelt es sich beispielsweise um den feigen Söldner, der seine Kameraden im Stich lässt, obwohl der Spieler weiß, dass sein Eingreifen erwartet wird, da der Angriff den Abenteuer-Aufhänger darstellt. Die anderen Charaktere gehen drauf, das Spiel ist gelaufen, aber der Spieler des Söldners sagt: „Was wollt ihr denn? Mein Charakter ist halt so!“Die große Schwierigkeit ist nicht das konsequente Ausspielen der Charaktere und das Spiel rein aus Charaktersicht, sondern der Versuch, gleichzeitig eine dramatisch gute gemachte Geschichte zu erleben. Denn dann muss der Spielleiter entweder tolle Motivationen für alle Charaktere bereithalten, so dass diese sich so verhalten, wie es von der Dramaturgie her erwartet wird (und das geht längst nicht bei allen Persönlichkeiten) oder er muss die Railroading-Keule schwingen und in die Charaktere eingreifen. Die dritte Möglichkeit, die ich sehe, ist es, von vorne herein Charaktere, die Probleme bereiten könnten, nicht zum Spiel zuzulassen. Aber ob das überhaupt möglich ist und alle Konsequenzen vorhersehbar sind wage ich zu bezweifeln. Darüberhinaus wird die Auswahl der Charakterpersönlichkeit dadurch sicherlich sehr eingeschränkt.
Dieses Problem, dass man nicht ohne Spielerwissen dramaturgisch gutes Spiel hinkriegt, bezeichnet Frank als Method Acting-Falle, in der viele Spielgruppe stecken. Ich persönlich sehe zwei mögliche Auswege aus diesem Dilemma:
1. Die Spieler einigen sich darauf, auf Spielerwissen gänzlich zu verzichten und nur ihre Charaktere mit ihren Sorgen und Bedürfnissen auszuspielen. Wenn die Charaktere zu Spielbeginn gut aufeinander abgestimmt sind (z.B. indem die Spieler sich darauf einigen, das Leben von Goblins in Festum darzustellen), dann kann das Spiel auch interessant werden. Allerdings gibts dann natürlich nicht sowas wie eine Heldengruppe, die gemeinsam Abenteuer erlebt. Ohne Abstimmung der Charaktere werden die Spieler wahrscheinlich nebeneinander her spielen — aber auch mit Abstimmung halte ich diese Spielart für schwierig, wenn auch nciht für unmöglich.
2. Die Spieler einigen sich darauf, während des Spieles nicht auf die Sicht von außen zu verzichten.
Zitat von Katharina und Tyll:
SpielerInnen sollten sich immer wieder klarmachen, dass die Gedanken, Einstellungen, Handlungen und Entwicklungen einer Figur auf Spielerentscheidungen zurückgehen.
Der Blick auf's Ganze darf nicht verloren gehen, um den anderen Spielern ihren Spaß nicht zu rauben. Sicher, bevor sich ein Charakter völlig verbiegt, sollten die Spieler darüber vielleicht noch einmal gemeinsam Reden und vielleicht eine andere Lösung finden. Sich dann jedoch ohne Absprache gegen offensichtliche Dramaturgie zu entscheiden und den Charakter durchzusetzen sich sicherlich kein guter Stil.Insgesamt kann man festhalten: Ohne Meta-Gaming, ohne das Sprechen über die Charaktere, ohne Gedanken der SpielerInnen über das Spiel gehts nicht. Entweder die Gruppe versucht, das Ganze vor dem Spiel zu Regeln oder während des Spiels (oder beides, was nach meiner Ansicht am Besten ist). Wenn man es nur vorher regelt, können die Spieler während des Spiels nicht auf Dramaturgie achten, so dass dann ein reines Charakterspiel zustande kommt und sich das Spiel nur um die Bedürfnisse und Situationen der Charaktere dreht. Wenn man dagegen die Charaktere als Hauptfiguren einer Geschichte erleben möchte ist es wichtig, dass die Spieler Entscheidungen aus der Gesamtsicht heraus fällen und nicht sagen „Mein Charakter ist halt so!“
EDIT: Schlechtschreibung