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18.5.2008, 12:07
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Dom
So, heute geht es um zwei Themen, die eng miteinander zu tun haben und dennoch völlig getrennt sind: Tilten und Pier Steigern und Fertigkeiten. Darüber stand letztens was in KingSpoom's RPG Design & Theory Junkyard geschrieben. Davon angeregt möchte dazu mal meine eigenen Gedanken loswerden. Vielleicht redet ja jemand mit mir darüber ;)

Achja, wenn ich im folgenden von großen Systemen rede, meine ich damit solche mit Grundregelwerk und einem Haufen Module: Weltbeschreibungen, Abenteuer, Splatbooks usw. Am bekanntesten sind wohl DSA und D&D, aber auch Shadowrun, Degenesis und Spherechild gehören in dieselbe Liga.
Zunächst zu Fertigkeiten. Fähigkeiten, Talente oder wie auch immer. Man hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten: a) mit Fertigkeitenliste, b) ohne Fertigkeitenliste. Praktisch alle großen Systeme haben eine Fertigkeitenliste. Aber es gibt auch einen Haufen kleiner Systeme, die zeigen, dass es auch ohne geht. Aber wenn es die großen Systeme alle haben, muss es doch unschlagbare Vorteile geben, oder?

Mal überlegen und beim Junkyard abschreiben.
a) Fertigkeitenlisten geben den Spielern Hilfen bei der Charaktererschaffung. Dadurch geht es schneller, weil man sich nicht selber was ausdenken muss sondern nachschauen kann.
b) Sie lenken den Spielfokus in die gewünschte Richtung. Wenn es „Meuchelmorden“ gibt, wird es wohl auch Meuchelmörder als Charaktere geben.
c) Genauso wird man mit vorgegeben Fertigkeitslisten auch Nischenschutz betrieben, weil sich die Gruppe überlegt, insgesamt die vorgegebene Bandbreite abzudecken.
d) Der Fokus des Spiels kann gelenkt werden. Wenn es eine große Bandbreite in Kampf-Fertigkeiten gibt, mit Spezialisierungen usw., so beschäftigen sich die Spieler auch leicht mit diesem Thema.
e) Es gibt eine gemeinsame Basis, d.h. Autoren von Modulen können sich auf die Liste beziehen und bestimmte Fertigkeiten nutzen.
f) Zuletzt geben sie auch Anregungen für Charakterideen: „Wow, cool, Töpfern. Auf die Idee wäre ich ja nie gekommen.“

Aber es gibt auch Vorteile von Spielen ohne eine Fertigkeitsliste.
g) Spieler werden nicht in der Wahl ihrer Charaktrere eingeschränkt.
h) Spieler können einfacher Flaggen hissen und zeigen, was sie vom Spiel erwarten.
i) Der Spielfokus ist frei wählbar.
j) Das Regelbuch ist kürzer.

Ich glaube ja, dass vor allem e) und b) den Ausschlag dafür geben, dass Rollenspiele wie D&D, DSA usw. fest vorgegebene Fertigkeitslisten gibt. Dagegen sprechen i) und j) aus der Sicht von kleinen Rollenspielen vor allem gegen feste Fertigkeitslisten.

Interessant finde ich darüber hinaus noch folgende Frage: Gibt es Beschreibungen, was man mit den Fertigkeiten anfangen kann?

Klar, dabei denkt zunächst jeder an eine feste Fertigkeitsliste. Gibt es Beschreibungen zu den Fertigkeiten, so spricht auch das für a)-f); gibt es keine Beschreibung, so geht das in Richtung g)-j). Gemeinsame, klare Basis aller Spieler des Systems gegen Flexibilität und Verhandlungen am Spieltisch. Außerdem kommen durch ausgefeilte Beschreibungen oft spezielle Regeln ins Spiel, die dann am Spieltisch den Spielfluss bremsen.

Interessant finde ich aber die Möglichkeit, von den Spielern zu verlangen, ihre selbst ausgedachten Fertigkeiten näher zu definieren. Keine Ahnung, ob das gut klappt, ich kenne das von keinem Spiel. Vorteil wäre, dass es im Spiel dann seltener Diskussionen über die Anwendbarkeit gibt, da die Fertigkeit ja definiert und beschrieben ist. Auch hier kann natürlich durch zusätzliche Regeln das ganze System verkompliziert werden. Und die Charaktererschaffung wird gebremst, da jeder Spieler die Fertigkeiten nicht nur wählen, sondern auch definieren muss. Aber ansonsten schlagen selbst beschriebene Fertigkeiten nochmals in Richtung g)-j).
Im Spiel selbst werden Fertigkeiten häufig verbessert. Entweder „fließend“ in kleinen Schritten, etwa durch den Zukauf von einzelnen Punkten. Oder im Wortsinn stufenweise nach einer bestimmten Spielzeit. Aber bei praktisch allen Spielen mit einer mechanischen Entwicklung handelt es sich um eine Verbesserung des Charakters. Auch bei Spielen wie Dogs in the Vineyard: Hier können zwar auch schlechte Eigenschaften dazu kommen, dennoch sind es mechanische Verbesserungen, weil man Würfel dazu bekommt, die man im Konflikt für sich einsetzen kann.

Aber wozu dient die Steigerei überhaupt? Auch hier kann man wieder sehen, dass alle großen Systeme damit aufwarten – viele kleine aber auch (sogar The Pool und Risus). Aus Designersicht dient Steigerung dazu, das Spiel interessant zu halten. Neue Optionen eröffnen sich, der SL kann bzw. muss die Inhalte variieren, der Spieler bekommt neue mechanische Möglichkeiten. Aber auch im Spiel ändert sich was: Der Charakter lernt etwas hinzu und kann z.B. seinen Erzfeind überflügeln. Letztendlich kommen nur kurze Spiele ohne Steigerung aus. Insbesondere die großen Systeme wollen die Spieler natürlich langfristig binden und haben daher eine flache Steigerungskurve, so dass die Spieler lange mit einem Charakter beschäftigt sind. Das geht meist mit ausführlichen mechanischen Charaktererschaffungen einher.

Schwierigkeiten bei der Steigerung sind auch hinreichend bekannt: Das Spielgleichgewicht geht leicht verloren. Hat man als Designer das Gleichgewicht bei frisch erschaffenen Charakteren noch relativ gut im Griff, wackelt das nach ein paar Steigerungen gehörig. Und das umso mehr, je größer die Freiheiten bei der Steigerung sind. Hier sieht man den Vorteil von der Stufen-Steigerung: Es gibt meist strenge Vorgaben, was wie gesteigert werden kann. Hier kann ein Designer relativ gut steuern, so dass auch in höheren Levels das Balancing nicht verloren geht. Dass das aber selbst beim Primus D&D nicht der Fall ist, kann man gerade wieder in einem Thread im Tanelorn nachlesen. (Warum Balancing nicht total überschätzt wird, schreibe ich noch mal was zu.)

Und hier sind wir schon wieder am Berühr- und Überlappungspunkt vorbeigeschlittert, denn Alkohol und Sex haben doch was miteinander zu tun. Also, stellen wir uns die Frage: Wie wirkt sich die unterschiedliche Struktur der Fertigkeiten auf die Steigerung aus?

Vorgegebene Fertigkeiten erlauben dem Designer, bei der Steigerung eine recht gute Kontrolle. Insbesondere, wenn es zu jeder Fertigkeit ausführliche Beschreibungen und Sonderregelungen gibt. Denn dann ist es möglich, an jeder Stelle regelnd einzugreifen. In Kombination mit Stufenaufstieg und entsprechenden Regelungen kann man relativ gut abschätzen, was ein Charakter kann und was nicht. Bei frei wählbaren Fertigkeiten ist das natürlich nicht möglich. Da ich nicht weiß, was sich der Spieler ausdenkt, gerät das Ganze leicht aus dem Gleichgewicht – oder endet im Powertelling. Das heißt, das System erlaubt den Spielern, ihre Fertigkeiten an allen möglichen Stellen einzubringen, wenn sie es glaubhaft rüberbringen. DitV ist dafür so ein Kandidat. Das Balancing ist gegeben, weil die Regeln alles irgendwie gleich machen; egal ob mein Hund nun Backen oder Schießen kann. Aber man muss die Dinge einbringen. Und das führt zur absurden Idee, einen Backofen mit Schießpulver zu erhitzen.

Interessant ist jetzt wieder die Frage, wie es in einem System ist, bei dem die Spieler ihren frei wählbaren Fertigkeiten explizite Beschreibungen zur Anwendung geben müssen. Kann man dann sowas wie ein Stufensystem und Balancing aufrecht erhalten? Irgendwie führt das zu einem Meta-RPG :)
18.5.2008, 19:36
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Kronosjian
Dom so lange Beiträge fördern nicht gerade das schnelle direkte Posten, aber nun gut ich will mal noch etwas ergänzen und meinen eigenen Senf dazu beitragen.

Zitat von Dom:

Interessant finde ich aber die Möglichkeit, von den Spielern zu verlangen, ihre selbst ausgedachten Fertigkeiten näher zu definieren. Keine Ahnung, ob das gut klappt, ich kenne das von keinem Spiel. Vorteil wäre, dass es im Spiel dann seltener Diskussionen über die Anwendbarkeit gibt, da die Fertigkeit ja definiert und beschrieben ist.
Warum sollte es denn dabei weniger Diskussion über die Anwendbarkeit geben. Ich schaue mir nur die entsprechenden Fertigkeiten samt Beschreibungen in DSA an und bemerke, dass es trotz Definition und Beschreibung dennoch regelmäßig über die Anwendbarkeit Diskussionen gibt. Ob also eine Fertigkeit in der Situation als angemessen und anwendbar angesehen wird, hängt mehr von der Spielrunden und deren Gepflogenheiten ab, als von fixen Talenten und Definitionen.

Was die freiwählbaren Fertigkeiten und das Balancing angeht könnte ich mir vorstellen, dass man sich ein System ausdenkt, das Fertigkeiten einen Machtgrad zuweist (z.B. zwischen 1- und 10), der bei der Erschaffung festgelegt und ausgehandelt wird. Dann werden hier auch schon die Grenzen abgesteckt, was prinzipiell irgendwann mal (nach x- Steigerungen) damit überhaupt möglich ist. Damit ließe sich doch ein künftiges Balancing umsetzen.
18.5.2008, 20:30
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Dom

Zitat:

Dom so lange Beiträge fördern nicht gerade das schnelle direkte Posten
Ja, ich weiß. Ich wollte aber doch die beiden Dinge zusammenbringen… und das ist mit kürzeren Beiträgen kaum zu machen.

Das Problem bei der Definition von DSA-Talenten ist die Definition. Ich zitiere mal zum Vergleich „Climbing“ aus dem D&D 3.5 SRD:

Zitat von SRD 3.5:

With a successful Climb check, you can advance up, down, or across a slope, a wall, or some other steep incline (or even a ceiling with handholds) at one-quarter your normal speed. A slope is considered to be any incline at an angle measuring less than 60 degrees; a wall is any incline at an angle measuring 60 degrees or more.

A Climb check that fails by 4 or less means that you make no progress, and one that fails by 5 or more means that you fall from whatever height you have already attained.

A climber’s kit gives you a +2 circumstance bonus on Climb checks.

The DC of the check depends on the conditions of the climb. Compare the task with those on the following table to determine an appropriate DC.

Und dann kommen noch Beispiele für Schwierigkeiten, Sonderregeln für schneller Klettern usw. Nachzulesen hier.

Bei DSA sind die Definitionen einfach nur ein bisschen Reden über das Talent – aber keine wirkliche Definition.
18.5.2008, 21:35
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Kronosjian
hm Ok ich verstehe allmählich was Du meinst, das kürzt natürlich Diskussionen bis zu einem gewissen Grad natürlich mächtig ab. Die DSA-Definitionen dienen ja auch eher die Einsatzgebiete der Talente zu definieren, wie man bspw. beim Talent „Schätzen“ gut erkennen kann (MFF S. 30). Ein Talent, dessen Name zunächst schnell Fehlinterpretationen zulässt und bei dem in der Definition eben steht, dass es sich nur um „Wert einschätzen“ handelt, nicht aber um physikalische Maße dabei geht.
19.5.2008, 14:12
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Haarald
Du hast noch vergessen, dass es Hybriden gibt, und dass die Breite einer Fertigkeit auch von System zu System unterschiedlich sein kann.
19.5.2008, 17:26
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Dom
Ja, das stimmt. Allerdings habe ich mich tatsächlich entschieden, das wegzulassen, um meinen Text nicht noch weiter zu verlängern. Gerade die „Breite“ von Fertigkeiten ist noch mal ein Thema für sich (denn da spielt auch der Fokus des Spieles rein).
19.5.2008, 19:15
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Haarald
In der Tat. Ich freue mich dann auf den Folgethread, das ist nämlich eins meiner Steckenpferde.
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