Das Thema der heutigen Sendung lautet: Klassen und Stufen. Zwei untrennbar miteinander verbundene Konzepte? Nein. Klassen und Stufen sind zwei völlig voneinander getrennte Dinge. Man kann Rollenspiele mit Klassen und Stufen machen, man kann Rollenspiele mit Klassen ohne Stufen machen, man kann Rollenspiele mit Stufen ohne Klassen machen und man kann Rollenspiele ohne Klassen und Stufen machen. Also: Voll unabhängig. Aber, dank D&D, sind in den Köpfen Stufen und Klassen eng miteinader verbunden.
Zunächst: Was machen Klassen und Stufen überhaupt aus?
Klasse: Eine Klasse definiert eine Menge an Fähigkeiten und zugehörigen Regeln; jeder Spieler muss sich in einem Klassensystem zu bestimmten Zeitpunkten für eine Klasse entscheiden. Dann wird die Charakterverbesserung nach den Regeln dieser Klasse vorgenommen, nicht nach anderen.
Üblicherweise wählt man eine Klasse entweder zu Beginn des Spiels (z.B. entscheidet man sich bei DSA4 zu Spielbeginn für eine der Klassen „Vollzauberer“, „Halbzauberer“, „Viertelzauberer“ und „nicht magiebegabt“; diese Wahl lässt sich im Laufe des Spieles nicht ändern). Oder man wählt eine Klasse in bestimmten Abständen immer wieder neu (z.B. entscheidet man sich bei D&D bei jedem Stufenanstieg, in welcher Klasse man aufsteigen will).
Stufe: Eine Stufenaufstieg ist ein Ereignis, dass zu definierten Zeitpunkten während des Spiels auftritt. Durch eine Stufe werden bestimmte Fähigkeiten freigeschaltet und stehen dem Spieler zur Auswahl.
So kann man bei Earthdawn neue Fähigkeiten wählen, wenn man einen Kreis aufgestiegen ist. Oder man bekommt +1 auf Angriff, wenn ein Krieger bei D&D eine Stufe aufsteigt. Oder, oder, oder.
Dass es für beide Bereiche – Klasse und Stufe – unterschiedliche Ausführungen gibt, sollte mittlerweile jedem klar sein. Und dass man damit als Designer unterschiedliche Ziele erreichen kann, sollte auch klar sein. Aber wozu dienen nun Klassen und Stufen?
Klassen werden genutzt, um
a) die Regelvielfalt, die eine Person überblicken muss, zu reduzieren,
b) die Menge an Entscheidungen, die ein Spieler treffen muss, zu reduzieren und
c) Nischenschutz für Spielfiguren zu gewähren.
Stufen werden genutzt, um
a) die Anzahl der Werte zu reduzieren, die ein Spieler verwalten muss,
b) eine schnelle Abschätzung der Mächtigkeit eines Charakters zu gewährleisten und
c) die Geschwindigkeit des Anstiegs von Fähigkeiten zu regeln.
Beides, Stufen und Klassen, können also als Spielvereinfachungsregeln genutzt werden, weswegen sie auch oft als unrealistisch bezeichnet werden. Nimmt man das beliebte Spiel Dungeons&Dragons als prototypisches Beispiel für Klassen und Stufen, so kommt einem dieser Gedanke auch leicht. Dabei übersieht man aber mindestens genauso leicht zwei entscheidende Funktionen abseits der Vereinfachung: Nischenschutz und Anstiegsgeschwindigkeit.
In Rollenspielen ohne Klassen und Stufen muss man sich entweder eine andere Möglichkeit für Nischenschutz und Regelung der Anstiegsgeschwindigkeit ausdenken oder man lässt das einfach weg und überlässt diese Regelung dem sozialen Gefüge der Spieler. Das bedeutet, dass sich die Spieler darauf einigen müssen, wie schnell die Charaktere aufsteigen. Damit vereinfachen Systeme ohne einen Schutz für Anstiegsgeschwindigkeit oder Nischenschutz Probleme, die mit „den bösen Powergamern“ zu tun haben. Denn ist es nicht sinnvoll, dass man alle freien Punkte in die eine tolle Fähigkeit steckt?
Klar gibt es noch andere Möglichkeiten, um die Funktionen zu realisieren. Es gibt … ähm, ja. Irgendwie nicht so viel. Man kann den Spielern vorschreiben, dass sie verschiedene Rollen einnehmen. Sowas wird beispielsweise beim Rollenspiel Engel gemacht (wobei in den D20-Regeln die Rollen natürlich als Klassen umgesetzt werden). Und für die Regelung der Anstiegsgeschwindigkeit könnte man vorschreiben, bestimmte Dinge nur in Abhängigkeit der bisherigen Erfahrung zu steigern. Wobei man dann wieder bei Stufen angekommen ist… Durch eine andere Regelung, wie z.B. Lerndauer, wird die Steigerung zwar verlangsamt, aber es hindert einen nichts daran, alles auf eine Karte zu setzen und Schwertkampf ins unermessliche zu steigern, ohne die anderen Werte nachzuziehen. Also ist das auch keine Lösung.
Letztendlich kommt es — wie immer — darauf an, was der Spieleentwickler will und was er draus macht. D&D ist sicherlich ein Beispiel für eine „unrealistische“ Stufenregelung, die viel Wert auf Vereinfachung legt. Wir haben in unserer DSA4.0-Runde folgende Hausregel: Der maximale TaW ist 7+Stufe. Das ist ganz klar eine Stufenregelung, und die gibt mir als SL einen besseren Anhalt, was die Fähigkeiten der Charaktere betrifft. Hier hat man kaum Vereinfachung — die Geschwindigkeit des Anstiegs wird dadurch aber sehr klar geregelt.
Fazit: Mit Stufen und Klassen kann man tolle Sachen machen. Das hat nichts mit Einschränkung der Möglichkeiten zu tun, sondern dient vor allem der Vereinfachung und der Regelung zur Spielbalance. Das macht die Sache mit den Streitereien in der Gruppe unwahrscheinlicher. Man braucht nicht unbedingt Stufen und Klassen. Aber man kann diese bestimmt auch nicht verurteilen. Jedenfalls nicht im Allgemeinen.
Ergänzung: 1of3 merkte in seinem Blog an, dass Klassen und Nischenschutz zwei verschiedene Dinge sind.
Zitat von 1of3:
Nischenschutz ist also keine Folge von clever designten Klassen, sondern Klassen können durch ihre diskurslenkende Wirkung helfen den Nischenschutz zu organisieren.
Ich gebe Stefan grundsätzlich Recht. Aber ich denke auch, dass der Nischenschutz durch die „diskurslenkende Wirkung“ stärker zutage kommt, als Stefan hier zugibt. Schließlich werden Klassen von allen möglichen Leuten als Nischenschutz empfunden.Und: Clever designte Klassen helfen zusätzlich dabei, die Nischen abzugrenzen. Sind sie nämlich nicht clever designt, so hilf mir „ich bin Magier, du bist Priester“ nicht, Aufgabengebiete zu trennen.