- einleitende Bewertung
- Abenteuer 1: Geisterjahrmarkt
In diesem 20-seitigen Abenteuer von Dominic Hladek befinden sich die Helden ab frühestens 1032 BF im befreiten Warunker Umland. Dort sind die Helden als Anwälte zwölfgöttlicher Zivilisation unterwegs, bis sie bemerken, dass sie … Nun, verrammelte Türen halten nicht ewig, und dann könnte auf den einen oder anderen Helden das letzte Gefecht warten. Dominic stellt für den Bedarfsfall sogar lösliche Helden zur Verfügung, um nicht im GAU das Lebenswerk eines DSA-Spielers in den Orkus zu jagen. =) Das Ganze wird für erfahrene Helden empfohlen und gibt vor, mit einer für Spieler niedrigen bzw. für den Spielleiter mittleren Komplexität aufzuwarten. Der Metaplot gestaltet die Startbedingung, muss aber während des Abenteuers das geifernde Maul halten.
Meine ganz persönlichen Glanzlichter
Zeitmanagement! Der Autor liefert eine speziell für die Zwecke des Abenteuers angepasste und gut detaillierte Beschreibung für einen die Handlung ausreichend komplexen Ort, gibt darin Informationen, welche Aktionen wie lange dauern (und was in welchem Maße bewirken), und gibt dann noch eine Zeitleiste zur Hand, welches Ereignis zu Zeitpunkt x, y und z eintritt. Und dazwischen stehen die Helden. Toll! Das ist nicht so ein Dramaturgieschmarrn, wie man ihn so oft lesen musste und der den Spielleiter im Stich ließ. ("Richten Sie es so ein, dass die Helden einen dramatischen Kampf ausfechten, in dem der eine oder andere Held auf der Schwelle des Todes stehen wird.") Das ist ein funktionierender Rahmen, in dem sich die Gefährlichkeit der Situation von ganz allein entfaltet, und in dem die Spieler ihre Kreativität einsetzen müssen, um die Stärken ihrer Helden ausreichend zur Geltung kommen zu lassen.Davon abgesehen erhalten wir auch hier wieder alle nötigen Informationen, um das Teil ohne große Vorbereitungszeit zu leiten.
Weiteres zum Abenteuer
Da bereits der Autor erkannt hat, dass das Abenteuer unter den gegebenen Bedingungen leicht dazu führt, dass vom Erfolg verwöhnte DSA-Spieler unerwartete Heldentode zu erwarten haben, hat er vor Ort NSC platziert, die auch als Helden durchgehen könnten. Als Spielleiter wiederum kennt man seine weinerlichen Spieler und macht sie ggf. im Vorfeld auf die Option aufmerksam, die eigenen Helden mal zuhause zu lassen, da es diesmal ausnahmsweise gefährlich werden könnte. Das ist ganz hübsch. Gerade ob des Gefahrenpotentials wäre ich aber eher dafür, das Abenteuer für Experten-Helden auszuschreiben und diese entsprechend rocken zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, ausbüchsen zu können statt die Sache hilflos, aber wie ein Held durchstehen zu müssen, ist bereits bei erfahrenen Helden durchaus gegeben. Insofern schadet es dem Abenteuer mE nicht, hier auch mal die wahren Helden Hand anlegen zu lassen. Oder sind aventurische Hochstüfler am Ende tatsächlich bessere Hauswirtschaftler als Kämpfer? =)Die hohe Anzahl der Kämpfe könnte bei manchem für abgestorbene Füße sorgen. Das DSA4-Kampfsystem tritt nun einmal jedem sich anbahnenden Spielfluss mit Anlauf in die Eier. Ausnahmen bilden nur die wenigen Hardcore-Runden, und diese bestätigen dadurch nur die traurige Regel. Damit muss das Abenteuer leben, dadurch ist es mE auch nicht für den „Con-Oneshot“ geeignet. Erneut plädiere ich dafür, Experten-Helden an den Start zu schicken, die manche Kämpfe dann vielleicht doch schneller abwickeln können.
Tja, was soll man sagen? Da haben wir ein Abenteuer vorliegen, das aus sich selbst heraus funktioniert und durch welche Heldenaktionen auch immer nur noch bereichert werden wird. Und dann beginnt der Autor plötzlich zu skripten! Völlig unnötig, wie gesagt, aber er tut es. Er möchte nämlich Kinogefühl aufkommen lassen. Aufgrund eines vorab festgelegten Ereignisses (bspw. der Hund im Wald) gibt es später inmitten der dampfenden Kacke noch einen Nackenschlag. Das geht später noch weiter, indem (übrigens teils regelwidrige) cineastische Ablebeszenen einzelner NSC geschildert werden. (Manche NSC sterben aus vorgeblich Filmgenregrund nicht. Übrigens: In Wahrheit stirbt eine andere Gruppe als die vom Autor genannte normalerweise nicht: barfüßige Frauen.) Ja, das große Kino eben. Aber wisst ihr was? Macht nichts! Man kann all diese Skripte einfach weglassen, wenn man sie nicht mag. Das Abenteuer funktioniert trotzdem ohne Abstriche und Umstricken.
Das Abenteuer macht – siehe Skripte – ziemlich offensichtliche filmische Anleihen, ob dies nun Zombieland-Zitate sind oder klassische Genreszenen. Meine Sache ist das nicht. Obgleich ich genau diese Art von Filmen am liebsten mag, möchte ich mich beim Spielen nicht wie im Film fühlen. Mein Film entsteht in meinem Kopf. Wenn ich also dereinst die Mäuler leiten sollte, wird es derlei nicht geben. Aber ich werde aufgrund der vorliegenden Gestaltung des Abenteuers eben auch keine Mühe haben, diese Elemente zu entfernen, während andere sich ruhig in ihrem cineastischen Déjà-vu suhlen sollen.
Ein Blick ins Einmachglas
Achtung, ab hier verrate ich Abenteuerinhalte!Zusammenfassung
Das Dorf Notacker hatte unter den vormaligen, nekrotischen Herrschern schwer gelitten. Schon damals gab es vor Ort eine Ghulplage, die auch die hiesigen Obernekroten vor ein Problem stellte. Sie wussten sich nur zu helfen, indem sie in der Speisekammer der Ghule – unter dem Boronanger – eine derart fiese Nekrotenkreatur platzierten, dass selbst Ghule sich nicht mehr dorthin trauten. Glücklicher Nebeneffekt war, dass durch Ghulbisse infizierte Notäckerer sich seither nicht in Ghule verwandelten. Aber nun ist ja alles besser, und die Helden bilden den Geleitschutz für einen Boron-Geweihten, dessen Auftrag die Weihung des Boronangers ist. Der macht auch, wozu er gekommen ist, was zwei böse Überraschungen zur Folge hat: Erstens liefert sich das nekrotische Angermonstrum spontan zur Schlachtung aus, zweitens belagern die Ghulhorden ab nachts die löchrige Festung, auf die man sich zum Feiern der Sachlage zurückgezogen hat. Die Ghule haben die letzten Jahre übrigens genutzt, um sich funktional zu differenzieren (Ghulution nenne ich das mal) – Spähen, Graben, Kämpfen – und einen fetten König haben sie nun auch. (Fressen können aber alle.) Die Ghule werden sich erst zur Dämmerung wieder zurückziehen und bis dahin versuchen, alle schmackhaften Happen in Reichweite zu ergattern. Die Helden werden versuchen zu erklären, dass die schmackhaftesten Happen auch die wehrhaftesten sind.Mangelnde Relevanz des ersten Teils
Bevor die Ghule von der Leine gelassen werden, bietet sich den Helden im Dorf ein kleiner Detektivteil zum Bespielen an. Dieser ist detailliert ausgearbeitet – wenngleich ich mir die Informationen in etwas anderer Sortierung gewünscht hätte – und funktioniert. Als Nebeneffekt tritt ein, was sich der Autor so wohl auch gedacht hat: Die Helden lernen die Dörfler kennen, mit denen sie später gemeinsam in der Festung zu überleben gedenken. Das ist ganz hübsch, aber dazu bedarf es des Detektivteils nicht, denn weitere nennenswerte Auswirkungen dieses Teils auf die nächtliche Schlachtplatte gibt es nicht. Ich gebe zu, dass der Zwerg einem ggf. später helfen könnte und der gefährliche Trottel die Helden ggf. liebhaben wird, aber der Zwerg hilft jedem, der mit ihm bastelt, und der gefährliche Trottel macht keinen Unterschied (und der böse Schulze ist so oder so verschlagen etc.). Falls man es mit dem Spielen also eilig hat, kürzt man den ersten Teil entsprechend zusammen, stellt eine entsprechende Situation einfach kurz vor und erledigt dann das Angermonstrum. Insofern schmerzt der erste Teil auch nicht. Aber ich hätte mir hier mehr Relevanz gewünscht, mehr Konsequenz: Die Helden tun bzw. entscheiden etwas (nicht), und das hat später diese oder jene zählbare, klare Auswirkung.Blödsinn: Ghule als Geschöpfe Asfaloths
Über diese mE völlig unnötige und sinnbefreite Setzung, die das Abenteuer frisch, fromm, fröhlich, frei macht, ärgere ich mich richtig, und zwar jedes Mal, wenn ich daran denke. Das Abenteuer deutet überdies an, dass die Verbannung der Ghule vom hiesigen Boronanger zur oben erwähnten funktionalen Ausdifferenzierung geführt habe, und zwar auf Basis asfalothischer Mächte.Ich habe vorsichtshalber noch einmal alle Regelquellen studiert, um einen Irrtum meinerseits auszuschließen. Tatsächlich sind sich die Quellen innerhalb des DSA4-Regelwerks nicht einig, was ein Ghul denn nun eigtl. sei. In WdZ, WdG und ZBA sind Ghule kurzgesagt im erweiterten Sinne untot, wobei die klassischen Untotenregeln auf sie nicht anwendbar seien und über die Ursache für die Ghulexistenz der Mantel der aventurischen Ungeklärtheit gedeckt wird. Im braunen Band Von Toten und Untoten – der gemäß der Maßgabe, dass nur rote Bände verbindlich seien, im Zweifel ohnehin ignoriert werden kann – wird dann klar gesagt, dass der Anti-Untoten-Kugelzauber nicht vor Ghulen schütze (grauer Kasten) und dass Ghule lebendig statt untot seien (aventurischer Quelle). In jenem Band werden auch die spezialisierten Ghule (Späher, …, König) eingeführt, und zwar als grundsätzliches Merkmal. Aber auch hier wird noch nicht einmal in den aventurischen Quellen davon gesprochen, dass Asfaloth im Hintergrund stehe. Das Abenteuer setzt also zwei Widersprüche zur gängigen Regelsituation: Ausdifferenzierung als Ausnahme und Asfaloth als Ghulgrund.
Ich habe lange überlegt, ob ich dem Abenteuer hierfür einen Abzug verpassen sollte. Aber letztlich siegt hier wieder die Stabilität des Abenteuers: Man streiche Asfaloth ersatzlos aus dem Text und ersetze die reaktive Ausdifferenzierung durch die grundsätzliche, und das Abenteuer funktioniert exakt wie zuvor. Ich habe also keinen Mehraufwand, um das Abenteuer von diesen Elementen zu befreien, und ich bewerte hier nun einmal nur das Abenteuer. Somit zeigt sich aber auch die völlige Sinnlosigkeit der beiden eingeführten Widersprüche. Sie bringen dem Abenteuer ja noch nicht einmal etwas, werden nicht benötigt, um das Abenteuer zu erklären. Angst beschleicht mich höchstens im Hinblick auf die Zukunft, da ich davon ausgehen kann, dass der Autor Ghule auch in zukünftigen Publikationen als von asfalothischer Macht durchdrungene Geschöpfe darstellen wird. Und hiervor warne ich, da es eine unnötige Festlegung ist – bislang kamen wir doch alle hervorragend mit Ghulen als Spielelement zurecht – die darüber hinaus ein neues Fass aufmacht: Bislang wurde nicht beschrieben, dass Anti-Asfaloth-Maßnahmen ein probates Mittel gegen Ghule seien. Das müssten sie in Zukunft aber sein. (Das Sonnenlicht als Schwäche reicht aber komplett aus.)
Detailkritikpunkte
Wenn die Ghule doch Angst vor dem Angermonstrum hatten, weshalb haben sie dann genau dort so viele Gänge und Höhlen gegraben? Und ich kann mir nicht recht vorstellen, wo da noch Platz fürs Monstrum sein soll. Wirkt also ein bisschen sehr beengt.Im Monstrum haust dann noch ein untoter Drachenbandwurm, dessen Existenz und Eigenschaft, astrale Soße aus der Umgebung zu saugen (ZBA) bislang dafür gesorgt hat, dass sich die Verwandlung der zahlreichen ghulifizierten Dörfler nicht komplett vollziehen konnte. Die Helden zerlegen den Wurm – zwangsläufig – in dessen Segmente und schwupps wird die Ghularmee der Folgenacht noch größer. Dass der Wurm die mannigfache Verwandlung aufgehalten haben soll, kann oder mag ich so nicht nachvollziehen, das wirkt auf mich zu bemüht. Stattdessen kann man mE auch einfach setzen, dass es im Umland ausreichend viele Ghule gibt, um später wie gewünscht den großen Nachtschmaus zu begehen. Gerade wenn man schon gesetzt hat, dass hier auch ein 'Ghulkönig' umtreibt.
Fazit
Ich gebe dem Abenteuer auf einer Skala von 0 bis 10 9 (8,5) angebissene Enten des Grauens. Es stellt ganz hervorragend eine Zombiebarrikade-Situation dar, das ist klassischer Horror. Das Abenteuer ist überaus robust und wird in vielen Runden scheiße spannend sein – ein Schlag ins Gesicht für alle Dramaturgie-Dogmatiker. Es ist hervorragend ausgearbeitet, man muss als Spielleiter nicht viel Zeit in die Vorbereitung investieren. Dass die vielen Kämpfe aufgrund der DSA4-Unzulänglichkeiten in manchen Runden zäh geraten könnten, dafür kann das Abenteuer nichts, und es darf sich diesen Unzulänglichkeiten mE auch nicht beugen und auf Kämpfe verzichten. Die filmischen Anleihen mag ich nicht, aber die kann ich einfach streichen, ohne dass dies das Abenteuer berührte. Kritisieren möchte ich die mangelnde Relevanz des Detektivplots der ersten Hälfte für die zweite, hier wäre gewiss auch leicht mehr möglich gewesen.Ich möchte hiermit ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich normalerweise keine Höchstwertungen für Abenteuer vergebe, egal in welchem Bewertungssystem ich mich bewege. Für mich vermittelt eine Höchstwertung die Aussage, dass ich es mit etwas Einzigartigem in Inhalt und Gestaltung zu tun habe, und gespielt haben sollte ich ein solches Abenteuer auch schon. (Im DSA4-Forum bspw. habe ich bislang nur einmal 5 von 5 Punkten vergeben.) Dieser Hinweis soll euch aber auch zeigen, dass ich das vorliegende Abenteuer wirklich wertschätze, wenn ich derart knapp unter der Höchstwertung bleibe.