Drüben bei Bunt ist das Rollenspiel geht es heute um das Thema „Vollständige Regelwerke“. Der Narr ist der Meinung, dass ein Regelwerk bitteschön vollständig sein sollte. Er zählt Space 1889 als unvollständig auf (weil Luftkampfregeln fehlen) und nennt Arcane Codex vollständig, da es außer den Regeln zum Charakterbau, Kampf und Magie auch Regeln zu „Furcht, Verführen, Gifte, Drogen, Säure, Heilkräuter, Krankheiten, Ruhm, Jagen, Fallen, Reisen, Verfolgungsjagden, Zerstören von Gegenständen und Verbergen von Gegenständen liefert“. Und wo sind die Luftkampf-Regeln? Wieso fehlen die bei Space 1889, obwohl die doch für ein vollständiges System offenbar gar nicht benötigt werden?
Ich kenne nun weder Space 1889 (würd' ich aber gerne mal spielen) noch Arcane Codex (reizt mich überhaupt nicht). Jedoch denke ich: So einfach ist die Frage gar nicht. Fangen wir doch einfach vorne an und fragen: Wann sind denn die Regeln vollständig? Ein Regelwerk ist dann vollständig, wenn niemand Regeln vermisst. Dabei bezieht sich das „niemand“ sinnvollerweise auf einen eingeschränkten Personenkreis, oder? Und dann ist die Definition auf einmal relativ zu der betrachteten Personengruppe. Damit hätten wir also sowas wie relativ vollständige Regeln. Dagegen wären absolut vollständige Regeln, wenn alle Spieler, die ein Spiel überhaupt gespielt haben und spielen werden, keine Regeln vermissen.
Relativ und absolut vollständig sind zwei wesentlich unterschiedliche Konzepte. Geschmäcker und Moden verändern sich; was heute noch nicht betrachtet wird, ist morgen ein Muss. Daher wird es wahrscheinlich niemals ein absolut vollständiges Regelwerk geben. Andererseits hat die Retro-Welle doch gezeigt, dass die ehemals als unbeholfenen geltenden Regeln von früher (TM) gar nicht so unbeholfen waren und auch heute noch Spaß machen. Wenn ich mir aber ein Spiel anschaue, dass für mich und meine Spielgruppe keine Wünsche offenlässt, dann ist es vollständig. Jedenfalls so lange, bis wir eine Lücke entdecken. Und die schließen wir dann, zumeist durch Erweiterung der Regeln auf eine Weise, die in das Regelkonzept des Spieles passt. Oder wir entdecken einfach keine Regellücke, weil das Spiel einfach in unser Spielkonzept passt (ich mag hier jetzt nicht unbedingt „kreative Agenda“ sagen).
Haben mir 1986 die DSA-1-Grundregeln zum Spielen absolut gereicht, erschienen sie mir ein halbes Jahr später unvollständig, nachdem ich das Abenteuer-Ausbau-Set kennengelernt habe. So hat sich meine Sichtweise damals verändert. Heute würde ich sagen, dass Vierseiter wie The Pool absolut vollständig sind, wohingegen beim Regelmonster DSA4 eindeutig Regeln für Harpunen fehlen (oder wir haben sie am Wochenende übersehen).
Aber was verlangt der Narr jetzt von mir? Ich solle von den Autoren und Verlagen vollständige Regelwerke verlangen. Ich glaube, dass tun die Leute schon. Jeder aus seiner Sicht. Und wenn einer das neu erworbene Spiel nicht gefällt und unvollständig ist, wird sie es wohl kaum viel spielen und Zusatzmaterial kaufen. Oder der Hintergrund (der ja auch einen gewissen Teil der meisten Regelwerke ausmacht) ist so cool, dass es trotzdem gespielt wird, aber mit gehausregelten oder völlig anderen Regeln (Savage Worlds biedert sich da an, oder auch Dungeonslayers, oder das oben erwähnte The Pool). Jedenfalls glaube ich kaum, dass Railroading und selbstherrlich gestaltende Spielleiterinnen eine Folge von zu wenig Regeln ist, wie der Narr in seinem letzten Abschnitt vermutet.
Darüber hinaus nützen vollständige Regeln eventuell wenig (Beispiele gebe ich hier jetzt nicht an). Wichtiger sind funktionierende Regeln, die einem erkennbaren Konzept folgen, so dass Lücken, die im Spiel auftauchen, vernünftig gefüllt werden können. Sowas sind in meinen Augen gute Regeln. Und die brauche ich zum Spielen – im Gegensatz zur Regelung der Menge meiner Exkremente.