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So, noch bin ich motiviert. Daher will ich jetzt mal den versprochenen Überblick geben. Dabei werde ich meine persönlichen Ansichten verbreiten. Klar, sie sind durch die Forge geprägt. Aber sie unterscheiden sich auch davon. Ich habe übrigens keinen tollen Namen für mein Modell.
Was also ist Rollenspiel? Rollenspiel ist zunächst mal ein Gesellschaftsspiel (im Sinne von „German Style Games"). Ich will Computerrollenspiele und Live-Rollenspiele explizit ausklammern. Warum? Weil sie sich zwar Rollenspiele nennen, aber doch irgendwie was völlig anderes sind. Vielleicht kann man die Ideen auf Computer- und Live-Rollenspiele erweitern, ich will das aber nicht betrachten, weil es mich nicht so sehr interessiert.
Und was unterscheidet ein Rollenspiel von einem Nicht-Rollenspiel-Gesellschaftsspiel? Ganz einfach: Der Bezug zur Fiktion. In normalen Spielen, wie Schach, Monopoly oder Siedler von Catan gibt es mehr oder weniger einen Hintergrund. Bei Schach ist es eine Schlacht, bei Monopoly gibt es eine Stadt mit Straßen, die Siedler siedeln auf der Insel Catan. Aber die Spielregeln beziehen sich nicht auf diesen Hintergrund, sondern alleine auf die Spielfiguren, Würfel, Häuser, Pöppels.
Nimmt man Rollenspiele, so beziehen sich diese auf etwas, was man nicht anfassen kann, nämlich die Fiktion. Die Spieler denken sich was aus, sie reagieren darauf, was sich ein anderer Spieler ausgedacht hat. Trotzdem haben viele Rollenspiele einen anfassbaren Anteil. Würfel, Karten, Papier, Stifte, Figuren, Spielbrett. Das macht sie aber nicht weniger zu Rollenspielen. Wichtig ist, dass sich Rollenspiele im Wesentlichen mit der Fiktion beschäftigen.
Durch diesen Fiktions-Anteil wird ein Rollenspiel schnell zu einem komplex Vorgang! Vieles kann nicht so genau geregelt sein, wie in normalen Gesellschaftsspielen. Die Regeln können zwar sagen, welcher Spieler an der Reihe ist, aber es gibt eben nicht nur eine abgeschlossene Menge von Handlungsmöglichkeiten, sondern eine schier unendlich große Menge. Denn wenn ein Spieler erzählt: „Da steht ein Haus“, so kann ein anderer von „Mein Charakter bringt sich um“ bis „Neben dem Haus steht ein Baum“ fast alles erzählen. Ok, die Erzählung kann eingeschränkt werden, aber niemals wird man während des ganzen Spiels nur eine übersichtliche Auswahl an Möglichkeiten haben.
Im Übrigen ist dieses Verständnis von Rollenspiel auch ein Grund, wieso ich eigentlich lieber Erzählspiele sage. Erstens ist der Begriff in der Gesellschaft nicht vorbelegt (Rollenspiele beim Sex, Rollenspiele beim Psychater) und zweitens kann ich mir viele Spiele vorstellen, die keine klassische Aufteilung und zugeteilte Rollen haben. Man denke nur an Universalis. Andererseits ist die Abgrenzung zu Spielen wie „Die Werwölfe von Düsterwald“ oder „Es war einmal…“ immer noch schwierig. Aber vielleicht muss man Rollenspiele auch nicht so eindeutig abgrenzen können. Ich verwende die beiden Begriffe Rollenspiel und Erzählspiel im Folgenden synonym.
Und was passiert jetzt beim Erzählspiel? Wie sieht das aus? Wie sind die Komponenten?
Zunächst mal gibt es die Spielgruppe. Sie besteht aus den Spielern; das sind alle die Leute, die am Spiel teilnehmen. Meist gibt es verschiedene Rollen, die sie einnehmen. Damit meine ich nicht die Charaktere, sondern Rollen innerhalb der Spielgruppe: Häufig findet sich eine Abgrenzung zwischen Spielleiter und Charakterspieler. Im Kampf gibt es einen aktiven Spieler, der gerade ansagen muss, was sein Charakter tun möchte. Und so weiter.
Zwischen den Spielern gibt es den Gruppenvertrag, der die gesamte soziale Interaktion regelt. Dieser Vertrag kann in Teilen explizit schriftlich festgehalten werden (z.B. „Wir spielen wöchentlich bei Peter.") Der größte Teil wird aber nicht formuliert, sondern existiert nur implizit: Wer ist mit wem befreundet? Wer ist am durchsetzungsstärksten? Darf man einen schmutzigen Witz machen? Sowas wird normalerweise nicht schriftlich festgehalten und unterschrieben; trotzdem hat sich eingebürgert, von einem Vertrag zu reden.
Das Wesen des Rollenspiels ist jedoch die Fiktion. Jeder Spieler stellt sich irgendwas vor und bezieht sich darauf. Dies möchte ich den individuellen Vorstellungsraum nennen. Damit die Spieler nicht aneinander vorbeireden, erzählt ein Spieler seine Vorstellungen den anderen. Die anderen Spieler müssen einem solchen Vorschlag zustimmen (es reicht oft, dass er nicht abgeleht wird) – dann rutscht der Vorschlag in den gemeinsamen Vorstellungsraum. Dieser gemeinsame Vorstellungsraum ist die Basis des Rollenspiels; denn nur, wenn man sich über den gemeinsamen Vorstellungsraum ausgetauscht hat, kann man sich darauf beziehen. Da die Elemente im gemeinsamen Vorstellungsraum für alle Spieler gültig sind, will ich sie Fakten nennen. Hierbei ist zu beachten, dass der gemeinsame Vorstellungsraum erstmal nur wächst: Alles, worauf sich die Spieler einigen, wird zu Fakten. Allerdings: Wenn die Spieler Fakten vergessen, müssen die Ideen darüber neu verhandelt werden. Es können also auch Fakten verloren gehen, der gemeinsame Vorstellungsraum schrumpft.
Nun gibt es Regeln, die bei der Erforschung des gemeinsamen Vorstellungsraumes helfen. Sie erlauben beispielsweise Spielern mit bestimmten Rollen, einfach etwas zu bestimmen. So dürfen die Charakterspieler üblicherweise bestimmen, was ihre Charaktere tun. Der SL darf bestimmen, was ein Charakter tut, der von keinem Spieler gespielt wird, usw. Alle Regeln, die sich direkt auf das Rollenspiel beziehen, will ich System nennen. Eine genauere Erklärung zu dem Begriff will ich noch geben – fürs erste soll genügen, dass die Regeln, die ich oben als Beispiele für den Gruppenvertrag genannt habe, nicht zum System gehören. Sie beeinflussen zwar das Rollenspiel, aber eben nicht direkt. Boomslang hat diese Regeln des Systems mal als „Mittel der Einigung“ bezeichnet; eine sehr gelungene Beschreibung, weil sie den Begriff Regel nicht so strapaziert.
Im Übrigen meine ich mit dem Wort „Gruppenvertrag“ daher üblicherweise nur die Dinge, die nicht zum System gehören. Das ist zwar eigentlich inkonsequent, weil der Gruppenvertrag strenggenommen auch die Spielregeln umfasst, ist aber praktisch. Auch die „Erforschung“ ist eigentlich keine. Denn es wird ja nichts erforscht, sondern erfunden. Wie kann etwas erforscht werden, was es nicht gibt? Trotzdem passt das Wort irgendwie gut; durch die Ideen der Anderen wird man immer wieder überrascht und geht so auf Entdeckungsreise in die gemeinsame Phantasie der Spielgruppe.
So, hier noch eine kurze Zusammenfassung und ein Ausblick. Man kann bei einem Rollenspiel also grob drei Teile ausmachen: 1. die Spielrunde, 2. die Fiktion und 3. das System. Diese drei Teile hängen eng miteinander zusammen, die Spieler benutzen das System, um die Fiktion zu bilden.
Beim nächsten Mal will ich über den ersten der drei Teile schreiben, die Spielrunde.
3. Die Spielrunde