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DSA: rillenmanni rezensiert: Das letzte Stündlein (Blog) {DSA, Dämmerstunden, Rezension}
3.11.2012, 00:05
rillenmanni
Heute bespreche ich mit Das letzte Stündlein das dritte Abenteuer der Dämmerstunden-Anthologie, zu der ich bereits folgende Besprechungen durchgeführt habe:Diese Rezension ist beinahe unerquicklich lang geworden. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Aber es gibt hier so viele tolle Elemente und so viel zu kritisieren und zu kommentieren, dass ich einfach nicht anders konnte oder wollte. Die Besprechung des vierten Abenteuers wird dann aber wieder kürzer, versprochen! (Ich fühle mich allmählich auch schon etwas durchgekaut.)
In diesem 23-seitigen Abenteuer von Martin John manövrieren sich die Helden im mitleidlosen Thalusa in eine schier ausweglose Situation, in der sie mit dem sie umgebenden Tod und der Vergangenheit enger anbandeln müssen, als ihnen lieb sein kann. Sie sind eben nicht die einzigen, die im Laufe der Zeit haarsträubende Pläne geschmiedet haben. Das Abenteuer wartet schlussendlich mit einer oberkühlen Konsequenz auf, evtl. gar mit zweien. Empfohlen werden Einsteiger oder erfahrene Helden, die Komplexität für Spieler bzw. Spielleiter soll mittel bzw. niedrig bis mittel sein. Im Hintergrund enthauptet der Metaplot munter unbekannte NSC, aber die Helden können ihm ein Schnippchen schlagen – wenn sie denn wollen.

Meine ganz persönlichen Glanzlichter

Die Auflösung des Abenteuers ist für mich der Clou des Abenteuers. Ich rede von der oben erwähnten oberkühlen Konsequenz, die eine schiere Folge der Handlungen der Helden ist. Und damit nicht genug: Just im Moment ihrer größten eigenen Verdutztheit können die Helden (und Spieler) ein Bubenstück erster Kajüte vollbringen, wenn sie diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Und dann möchte ich mal Elfenaugen staunen sehen. =) Ich weiß nicht, ob es anderen auch so ergehen wird, aber mir sind beim Lesen der letzten Seiten des Abenteuers beinahe die Augapferln aus den Höhlen gefallen, so sehr habe ich gestaunt und mir eifrig vorgestellt, wie meine Spieler in der gegebenen Situation wohl agieren würden. Dafür ein Chapeau! Toll finde ich auch, dass wenn die Helden das Bubenstück tatsächlich vollbringen, sie eine Person von Rang und Namen bewogen haben werden, sich zukünftig nachhaltig für sie zu interessieren. Daraus lässt sich in der heimischen Runde noch so einiges stricken.

Weiteres zum Abenteuer

Martin ist ein Autor, der seine Schreibe in seinen Abenteuern immer wieder neu erfinden will, den das Jonglieren mit den Charakteristika des Rollenspiels interessiert. Für mich in diesem Sinne ein Paradebeispiel und eine wahre Perle ist sein Abenteuer Rollende Würfel, doppeltes Spiel aus der Maskenspiele-Anthologie, in welchem er eines der Hauptkonfliktfelder unseres Hobbies zum integralen Bestandteil der Abenteuerhandlung macht und dadurch transzendiert. Wenn man es also wie hier mit einem neuen seiner Abenteuer zu tun bekommt, darf man wahrlich gespannt sein, was einen da erwarten wird. Nun, Das letzte Stündlein ist ein Gruselabenteuer, und selbstverständlich hat sich der Autor eingehende Gedanken gemacht, wie er auch dieses Thema geistreich behandeln kann. Martin ist aber auch ein Freund der oberkühlen Szene, in der etwas Geiles, Verschärftes oder schlicht wahrlich Bemerkenswertes passiert, wo also der Aha-Effekt bzw. im Gruselabenteuer der Uiui-Effekt hervorgerufen wird. Näheres dazu erläutere ich im MI-Teil dieser Rezension.

Ein Blick ins Einmachglas

Achtung, ab hier verrate ich Abenteuerinhalte!

Zusammenfassung

Einst begab es sich, dass der garstige Silem-Horas vor den Toren Thalusas stand, nichts Gutes im Schilde führend. Der hiesige Potentat hatte dafür – und nur für sich und seine beiden Söhne – einen Notfallplan, bei dem er auf die Kräfte eines echsischen Satinav-Tempels setzte: Er würde in den dort befindlichen Temporal-Sarg steigen und ihm erst wieder entsteigen, wenn die Gefahr gebannt sein. Nun, der Plan war nur fast perfekt. Denn Satinavs Wirken und die zauberhaft-nekromantische Garstigkeit der neuen Besatzer machten aus dem Ausflug für den Potentaten und dessen Hofstaat einen Höllen-Trip, der mich an die Situation der Mannschaft der Event Horizon erinnert hat. Verzweiflung schlug in Wahnsinn und Töten um. Kurz gesagt: Am Ende war der gesamte Hofstaat untot und in einer Zeit gefangen, und der Potentat hatte es nicht einmal in den Sarg geschafft.
Nun begibt es sich, dass die ehrenwerten Helden einen verschollenen Gelehrten in Thalusa vermuten, den sie von dort heil zurückbringen sollen. Falls dies nicht mehr möglich ist, sollen sie wenigstens die unzweifelhafte Kunde seines Todes nach Hause bringen. Natürlich ist der Gelehrte in Thalusa, natürlich lebt er und natürlich sitzt er im berüchtigten Loch ein. Er war in Thalusa dem Ziel seiner Forschungen ganz nahe und hatte die Hände schon auf den ausgebuddelten Temporal-Sarkophag gelegt, als er als Grabfrevler inhaftiert wurde. In 3 Tagen soll er als ein solcher lebendig begraben (eingemauert) werden. Da anderes zum Scheitern verurteilt ist, lassen sich die Helden auf den absurd anmutenden Plan ein, sich gemeinsam mit dem Gelehrten einmauern zu lassen, um sich dann – entsprechend vorbereitet – selbst wieder zu befreien. Gesagt, getan, doch leider war der Plan nur fast perfekt, und die Gruppe findet sich bar jeder Ausrüstung an einer unvermuteten Stelle eingemauert – im selben Grabmal zwar, doch eben doch andernorts.
Es bleibt also nur der Weg ins Innere, der sich als Weg in ein Zeitgefängnis entpuppt. Vor Ort ist das Jahr 86 vor BF wahrlich ein garstiges, in dem der untote Hofstaat den Helden nach dem Leben trachtet. Erst wenn die Helden kapiert haben, wie der Satinav hier läuft, und sich ihren Weg bis zum Sarkophag erkämpft und erschlichen haben, können sie das Zeitgefängnis verlassen und in die Gegenwart zurückkehren– oder irgendwann in der Zeit stranden. Und nehmen wir einmal an, sie schaffen es zurück, dann können sie und ein Elf vielleicht noch ihr blaues Wunder erleben. … =)

Schattierungen von Grusel

Ich meinte ja, dass Martin sich gewiss Gedanken über das Thema seiner Anthologie gemacht hat. Was das Gruseln angeht, so lässt sich dies mE in drei Hauptaspekte aufteilen:
  • Zunächst die fast alptraumhafte Normalität des Schauplatzes, die ohne großartige Übertreibungen daherkommt und wohl auch den Spielern ein deutliches Unwohlsein bescheren kann. Hiervon können sich „echte“ Alptraum-Abenteuer wahrlich eine Scheibe abschneiden. Die Szenerie steht auf der Schwelle zum Irrealen, und ganz wie in einem Alptraum befindest du dich unvermittelt in einer oder schon der nächsten misslichen Situation und musst irgendwie versuchen, dieses Hindernis / diese Gefahr hinter dir zu lassen. Und im Hintergrund wird unablässig Nackenhack gemacht. Komfortzone ist etwas anderes, auch wenn hier eben gar nicht dick aufgetragen wird in puncto Gefahrenpotential. Beim ersten Lesen war mir dies alles gar nicht aufgefallen, aber mittlerweile sehe ich das Thalusa-Kapitel als echte Perle an.
  • Dann der Kniff (der Helden), der für eine (doppelte) Umkehrung der Vorzeichen sorgt: Wo Haarsträubendes oder gar Perversion sonst von den Helden gemieden bzw. verhindert wird, bedienen sich die Helden just dieses Elements, was für sicherlich gemischte Gefühle sorgt. Natürlich meine ich den Plan, sich selbst einmauern zu lassen. Das ist schon ein starkes Stück und so ohne Weiteres gar nicht zu bewerkstelligen: Die Helden müssen der Obrigkeit erst negativ als vermeintliche Grabfrevler auffallen, wirklich Energie darauf verwenden, um dieses haarsträubende Ziel zu erreichen. Und als es soweit ist, ist die Sache mit einem Male realer, als den Helden dies lieb sein kann. Ich habe zu diesem Teil so meine Kritikpunkte, wie ihr noch lesen werdet, aber in den Runden, in denen das Abenteuer auf diese Weise tatsächlich funktionieren sollte, wird das Element seine Wirkung nicht verfehlen.
  • Und schließlich die Konfrontation mit den Urängsten. Das ist zunächst die Situation, bei lebendigem Leib begraben zu sein, die zB im irdischen 19. Jahrhundert grassierte (und nebenbei für tolle Geschichten gesorgt hat: Der Untergang des Hauses Usher).Was nach dem ersten Befreiungsschlag der Helden bleibt, ist die absolute Finsternis, mit der umgegangen werden muss, und die diesmal auch tatsächlich Gefahren birgt, wobei man eigtl. eher Angst haben müsste, Licht zu machen. Auch hier habe ich so meine Kritikpunkte (siehe unten), aber wenn es tatsächlich dazu kommt, dann ist dies ein gutes Spielelement.

Zeit und Logik – zwei schlüpfrige, kleine Scheißerchen

Die Thematisierung von Zeitreisen mündet leicht in eine Geschichte voller Widersprüche. Der Autor hat das aber ganz gut gemeistert, ihm scheinen die irdischen Überlegungen dazu und das entsprechende WdZ-Kapitel geläufig zu sein. Im Großen und Ganzen – und das ist das Entscheidende – funktioniert das Zeitthema im Abenteuer gemäß Logik und Regelanwendung. Im Folgenden zähle ich ein paar Punkte auf, die mir aufgefallen sind, sei es als Kritik, Zustimmung oder Ergänzung.

Die Zeitmaschine

Der Zeit-Sarkophag selbst ist gar kein echsisches Artefakt, sondern wurde von den Magiern und Priestern des damaligen Sultans unter Zuhilfenahme der im Satinav-Tempel erlangten Erkenntnisse erbaut, um diesen eine zeitlose Zuflucht in Notzeiten zu bieten. Das Ding ist also eine Zeitmaschine mit zwei Knöpfen: Deckel zu, Deckel auf: Deckel zu, und los geht die Reise in die Zukunft, deren Ende auf der Zeitachse definiert wird durch den Moment, in dem der Deckel wieder geöffnet wird. Der einstige Sultan wollte diese Maschine einst für sich und seine beiden Söhne (bzw. seinen verbliebenen Sohn) nutzen, konnte aufgrund des Höllen-Trips, auf dem sich sein Hofstaat befand, aber nicht den Knopf drücken, dh er hatte niemanden mehr, der ihm den überschweren Deckel schloss. Da war der Plan also nur fast perfekt gewesen. Der Sarkophag wird zusammen mit dem Gelehrten nach Thalusa gebracht und dort (vor den Augen aufmerksamer Helden) geöffnet. Da liegen keine Helden drin. Wenn die Helden „später“, dh tausend Jahre früher, selbst die Knöpfe drücken, dann liegen sie drin. Das ist also eine Veränderung der Vergangenheit, wie sie eigtl. nicht möglich ist. Aventurisch wird das über das Zeitfrevel-Konzept unter der Hand dann doch ermöglicht, insofern hat der Autor hier keinen Fehler gemacht, und die Zeche zahlen die Helden. Evtl. aber ist früher, also tausend Jahre später, auch gar nicht gegeben, dass die Helden nicht im Sarg liegen, denn der Autor spart dieses Detail bei seiner Beschreibung (Seite 70) wahrscheinlich bewusst aus. Allerdings würden dann Mängel in der Beschreibung deutlich, weil sie impliziert, dass der Sarkophag wirklich offen ist – statt nur einen spaltbreit, wie später (oder früher? =)) auf Seite 83 beschrieben – und dass die schauenden Helden die heraussteigenden Helden nicht beobachten (weil sie bereits woanders hinschauen). Womöglich existiert diese Unschärfe, weil es für den Autor so am bequemsten war. Aber guter Service für den SL ist das nicht!

Du bist ich!

Unzweifelhaft ein Zeitfrevel ist die (mögliche) Begegnung der Helden mit sich selbst. Es gibt aber Schattierungen von Frevel: Minder schlimm ist das Bemerken der schauenden Helden durch die heraussteigenden Helden. (Eigtl. paradox, nicht? =)) Schlimmer wäre die direkte Interaktion beider Gruppen, am schlimmsten wären relevante Folgen, die sich daraus ergäben. Das ist das Großvater-Paradoxon, das ihr überall nachschlagen könnt. Das Abenteuer macht aber bei der niedrigsten Kategorie Schluss und überlässt es dem außer- und nachtextlichen Spielfluss, ob dann von Seiten der Helden (?) richtig auf die Frevlerkacke gehauen wird. Der liebe Autor war hierbei freilich kein Getriebener, er wollte das so, er wollte zündeln, er wollte, dass mindestens die einen Helden von der drei Tage andauernden Parallelexistenz der anderen wissen. Und tatsächlich bin auch ich hellauf begeistert von der Situation. Wahrscheinlich wird in drei von vier Spielrunden jedes Spiel zum Erlahmen kommen, weil sich die Spieler die Köpfe heiß diskutieren, was passieren könnte, wenn, und ob überhaupt. ("Aber bei Terminator …") Aber ich bin dennoch begeistert, denn wie gern ließe ich meinen Helden aus dem Sarg steigen und sich selbst in der Ferne entdecken! Diese Tür habe ich Trottel mir durch meine elendige Neugier nun zugeschlagen. Der Autor hätte allerdings noch ein wenig mehr Spielhilfe spendieren können, und sei es nur ein bedauernder Verweis auf WdZ, wo auf ebendiese Situation eingegangen wird. Hingegen gibt er im Anhang hilfreiche Hinweise, wie Satinav den Frevel der Helden mittels Streckung oder Wegnahme von Zeit ausgleicht.

Kein Fahrschein für Gegenstände?

Einen Zweihänder (und anderes) darf man im Sarg aus der Vergangenheit mitnehmen. Den Zweihänder mitzunehmen kann sogar richtig Freude bereiten. Jedoch wird der regelfeste WdZ-Besitzer aufschreien und auf „Seite 371 rechts“ pochen (und dabei 371 links vergessen, wo Gegenteiliges steht), wonach die Mitnahme von Gegenständen auf Zeitreisen (quasi) unmöglich sei! Ist das Abenteuer hier also grob regelwidrig und muss verbrannt werden? Nein, denn erstens sehe ich nicht ein, wieso der abgeschlossene Sarg nicht als Transportmittel für Unbelebtes dienen können sollte; zweitens ist die WdZ-Einschränkung kompletter Quatsch mit Soße und ist bislang von allen anständigen Abenteuern zu recht konsequent ignoriert worden. Folgte man dieser Regel, dann stünden die Helden bereits nach dem Durchschreiten der Pforte, die sie in die Vergangenheit bringt, bar jeder Kleidung da, und ebenso nach der Sargfahrt. Alle Zeitreisenden stünden immer nackt da. Das will doch niemand! Vor allem, weil nicht jeder so hübsch ist wie ich, nebenbei, weil es wirklich keinen sinnvollen Grund für diese Einschränkung gibt. Also nehmen wir jetzt unser WdZ und einen schwarzen Stift zur Hand, schlagen Seite 371 auf und tilgen die entsprechenden 15 Zeilen vom Antlitz der Welt. Hüpp!

Satinavs Wirken ist unergründlich

Die Wirkung der Pforte verstehe ich zwar, sie erscheint mir aber nicht sinnvoll. Die ursprüngliche Funktion dieser Pforte, die in den Satinav-Tempel führt, wird im Abenteuer nicht erläutert, nur angedeutet, nämlich dass es sich um eine Art Matrixgeber für Temporalmagie handelt. Aber was genau haben die Echsen damit gemacht? Die späteren menschlichen Magier und Priester haben damit nicht mehr so viel gemacht, sie haben – reichlich naiv – die Pforte benutzen wollen, um Satinav eine SMS zu hinterlassen: „Bitte mache, dass die Zeit schnell vergeht!“ Und der Klops kommt, denn Satinav checkte kurz darauf (3 Jahre) seine Inbox und reagierte als Spielverderber, der den Ausgang der Pforte „im Strom der Zeit fixierte“, dh für alles dahinter einfach die Zeit anhielt. So kommt es, dass auch Helden, die im Jahr 103x BF durch die Pforte schreiten, sich plötzlich im Jahr 86 v. BF wiederfinden, also drei Jahre, nachdem Sultan und Hofstaat sich krisenfest hatten einschließen lassen.
Da stellt sich die Frage, wieso Satinav das gemacht hat. Besser hätte er gar nichts gemacht, schließlich war ja auch gar nichts passiert. Wenn er die Leute nicht mag, ist es am ökonomischsten, sie einfach verhungern und sich töten zu lassen, ohne zusätzlich an der Zeit zu schrauben. Falls die Leute doch einen der Pforte eigenen Effekt an der Pforte bewirkt haben sollten, so geht dies aus dem Text nicht eindeutig hervor. Und auch dann müsste der Effekt einen Zeitfrevel beinhaltet haben, um Satinav auf den Plan zu rufen. Nun, weshalb Satinav eingeschritten ist, erklärt sich aus der Notwendigkeit des Abenteuers, Helden in die Vergangenheit und wieder zurück zu befördern. Andernfalls fiele ja die hübsche Sargreise weg. Aber das hätte man vielleicht besser allein über das Wirken der Pforte klären sollen, evtl. über eine fehlerhafte Anwendung seitens der stümperhaften Leute, die mit einem Erbe der Echsen herumspielen, das sie nicht vollständig verstehen.

Mensch, Sultan!

Eng verbunden mit der Pfortenfrage ist die Frage nach der Unternehmung an sich: Für den Sultan und seine Söhne wurde eine Zeitmaschine gebaut. Der Sultan nimmt aber seinen Hofstaat mit. Dieser Staat scheint über gewisse Rahmenbedingungen der Unternehmung durch den Sultan nur unzureichend informiert worden zu sein, denn bereits die schiere Existenz der Zeitmaschine, in die kein Hofstaat passt, besiegelt den Tod des Hofstaats. Der Staat hat die Lunte schon gerochen, daher wurde ja auch eifrig an der Pforte gebetet (oder manipuliert), und das gehörte auch zum Programm, andernfalls wäre das kollektive Niederknien nicht als offizielle Wandmalerei festgehalten worden. Aber hey, wenn ich Sultan bin, dann mache ich entscheidende Eckpunkte doch vorab klar: „Ganz wie meine Ahnen nehme ich mir die Meinen mit ins Grab (wenngleich es auch nur ein Scheingrab ist), denen die Ehre zuteilwird, für mich zu sterben. Und damit das keine ehrlose Verreckerei wird, lasse ich diese Personen gleich zu Beginn umbringen.“ Dann gibt es auch kein Murren.

„Ja, sind wir denn verrückt?!“

Wer meine Zusammenfassung gelesen hat, dessen Augenbraue ging wahrscheinlich nach oben: Die Helden folgen also dem Plan des Gelehrten, sich als vermeintliche Grabfrevler gemeinsam mit dem Gelehrten an präpariertem Ort einmauern zu lassen, um sich dann heimlich wieder auszugraben? Natürlich, das Abenteuer gibt sich alle Mühe, dieses Vorhaben trotz seiner Verwegenheit (Euphemismus!) als einzig sinnvolle Option zu präsentieren, für die sogar (allzu trügerische) Planungssicherheit besteht. Aber ich glaube, dass die meisten Spielrunden lieber Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden, als sich auf diesen Plan einzulassen. Oder sie würden sich letztlich verzweifelt an die Eckdaten ihres Auftrags erinnern ("Falls er tot ist, reicht es mir, wenn ihr mir dies versichern könnt.") und wie getretene Hunde die Heimreise antreten. Denn der Plan ist einfach zu haarsträubend.

Warum gelingt die Befreiung nicht?

Wir erinnern uns: Der Gelehrte sitzt im sog. Loch ein. Das ist ein vier Meter tiefes Loch auf dem großen Platz, auf dem die Hinrichtungen stattfinden, stets gut bewacht, und Garnison wie Palast sind auch nur wenige Meter entfernt und in Sichtweite. Dabei vergisst der Autor ja auch noch die Hälfte zu erwähnen: Das Schloss des Bodengitters ist magisch verschlossen (nur der Sultan hat den Schlüssel), das Loch hat einen geheimen Zugang (!) mit Verbindung zum Palast, Thalusa besitzt eine weit verzweigte, uralte Kanalisation. (So alles der Regionalspielhilfe zu entnehmen.)
Für das Abenteuer wäre es hilfreich gewesen, dem SL Details zum magischen Schloss an die Hand zu geben. Die Beschreibung der Spielhilfe deutet auf einen CLAUDIBUS mit permanenter, aktiver Versiegelung inkl. Schlüsselmeister hin. Wenn der Zauber schon diese Spezifika aufweist, ist davon auszugehen, dass er auch mächtig genug ist, um den Erfolg klassischer Öffnungsversuche sehr unwahrscheinlich werden zu lassen. EISENROST wirkt ebenso nicht, weil das Gitter als magisch zu gelten hat. Bleiben Umwege wie HARTES SCHMELZE, um das Gitter aus seinem Halt zu lösen. Selbst dann muss man den Gelehrten ja hinaus bekommen. Ein TRANSVERSALIS ist dann sinnvoll, wenn der Held ihn gut kann (Probe +7 zur Mitnahme) und vorher auf andere Weise ins Loch gelangt ist. Begleitende Heimlichkeits- und Ablenkungsmaßnahmen können hier bei geschicktem Einsatz mE einiges bewirken, ganz gleich, wie sehr der Autor das im Text zwischen den Zeilen ausschließt. Elementarmagie bietet parallel dazu sicherlich viele Möglichkeiten, die ich hier nicht durchexerzieren werde. Grundsätzlich aber kann man sagen, dass das Loch durchaus gut gesichert ist. Wenn der Autor aber eine zeitige Desillusionierung der Spieler anstrebt, auf das sie sich auch ja auf seine Idee einlassen mögen, dann sollten tatsächlich Einsteiger-Helden zugange sein, nicht erfahrene. Dazu aber müsste wiederum der zweite Abenteuerteil angepasst werden, weil die dortigen Probenerschwernisse oft monströs sind.

Thalusa-Kapitel sollte ausgebaut werden

Die weiteren Details – geheimer Zugang, Kanalisation – lenken das Abenteuer leicht in eine ganz andere Richtung. Die Spieler werden nach jedem Strohhalm suchen, der ihnen den verwegenen Plan des Gelehrten erspart, und sobald sie vom Thalusaner Untergrund erfahren, wird sich das Abenteuer sicherlich dorthin verlagern. Und wenn der Sultan einen Schlüssel hat, dann können die Helden dies herausfinden – und schwupps steht nach 25 Jahren irdischer Zeit der nächste Palast-Raid in Thalusa an. Hierzu und zu möglichen Konsequenzen muss der Autor Angaben machen.

Alternativen?

Ich bin mit der so frisch, fromm, fröhlich, frei lancierten Lösung, die Helden mögen sich bitte freiwillig einmauern lassen, also nicht wirklich glücklich. (Tut mir leid, Martin, auch wenn Du hier den Clou siehst! =)) Hierzu müsste der gegebene Kontext geändert werden. Bspw. könnte der fremde Gelehrte durch eine Vertrauensperson der Helden ersetzt werden, weshalb die Helden irgendetwas tun müssen und somit am Ende vielleicht sogar verzweifelte Wege beschreiten. Oder es gibt einen gänzlich anderen Anlass, das Grab zu betreten – dann müsste man aber wohl die gesamte Anlage anders aufbauen. Ein anderer Kontext und Helden, die noch grün hinter den Ohren sind, dann wird es auch eher etwas mit der vom Autor angestrebten Lösung. Oder ganz banal: Die Spieler vertrauen ihrem Spielleiter, dann ist gleich Vieles möglich, aber das ist ein Metaaspekt.

Dans le dunkel, c’est bon munkel

Sind die Helden einmal gefangen, geht das Abenteuer davon aus, dass sie sich auf ihrem Weg durch das Grabmal im Wesentlichen nur der vor Ort befindlichen, raren Lichtressourcen bedienen können. Tatsächlich lebt das Abenteuer davon, dass die Helden das Licht herbeisehnen, aber gleichzeitig lernen, dass sie auf Licht weitestgehend verzichten sollten, um nicht Opfer der Untoten zu werden. (Die Untoten reaktivieren sich nur bei Licht – das ist irgendwie nicht regelkonform, aber verdammt hübsch. Zumindest ist das nicht durch die Regeln abgedeckt – steht irgendwo im Regelwerk, dass der Autor dies nie hätte schreiben dürfen?) Nun stellt sich die Frage: Haben die Helden wirklich kein Licht dabei? Hätte sich der Autor das ganze Dunkelheitsgehabe sparen können?
Mal schauen: Die Helden sind nicht ausgerüstet, auch Magierstäbe fehlen. Bis sie zu ihrer ersten Lichtressource im Grab gelangen – und das ist am Anfang des Wegs durch das Grab – vergehen meinen Berechnungen nach mindestens 5 Stunden, also 60 SR. (Die Angaben im Abenteuer sollten hier deutlich konkreter sein, als sie es tatsächlich sind.) Wenn nur ein Held den FLIMFLAM beherrscht (1 ASP/SR), dann muss schon sehr viel Maß gehalten werden, um nach 60 SR nicht schon leer zu sein. Bei zwei Helden entspannt sich die Lage ein wenig, allerdings ist auch nicht anzunehmen, dass der AE-Stand zu diesem Zeitpunkt auf Maximum ist. Ein MANIFESTO (Feuer) mit Sonnenaufgangsmodifikation (+5, 4 ASP) könnte hier schon deutlich mehr reißen. Wenn ich schon offenes Feuer habe, sollte es später in der Vergangenheit ausreichend Brennbares für Fackeln geben. So ein blöder Feuerdschinn kann gewiss auch etwas tun, aber Elementarzeugs scheint eh ein Regelfass ohne Boden geworden zu sein.
Unterm Strich gehe ich also davon aus, dass besonnene Gruppen langfristig auf Licht zugreifen können, und sei es nur immer wieder für kurze Zeit. Allerdings ist die Gefahr durch die Untoten bei Licht so groß, dass die Dunkelheit oftmals vorzuziehen ist. Und das heißt doch: Auch wenn die Helden grundsätzlich über Lichtquellen verfügen, werden sie viele spannende und ihrer Planung bedürfende Momente erleben. Insofern sehe ich das Experiment des Autors als geglückt an.

Das Schwert, das Schwert!

Die Helden können also 86 v. BF das Zwillingsschwert des Tausendjährigen Zweihänders an sich nehmen und in der Gegenwart flugs gegen jenes austauschen? Welch ein Bubenstück! Wie geil ist das denn? Und wie dumm wird Dolguruk aus der Wäsche gucken? Und was wird er nicht alles versuchen, um das Schwert zurückzuerlangen! Natürlich berührt das den Metaplot, aber zugleich kocht das auf so kleiner Flamme, dass dies ohne weitere Querelen möglich ist. Ich will das Schwert austauschen! Ich! Wieso nur habe ich dieses Abenteuer gelesen? Zum Glück habt ihr jetzt auch schon zu viel gelesen und fallt als Konkurrenten aus!

Detailkritikpunkte

Die Zeitmaschine auf dem Richtplatz: Wie kommt der Sarg ausgerechnet dorthin? Wieso entnimmt die Obrigkeit ihn dem geöffneten Grab?
Die Helden können im Grab das Zwillingsschwert an sich nehmen. An einer Stelle ist vom „Anderthalbhänder“ die Rede, an anderer vom „Zweihänder“. Zweihänder ist richtig.
Der im Grab beschriebene Verwitterungs- bzw. Verrottungsgrad passt nicht immer zum Umstand, dass die Sachen erst drei Jahre alt sind.
Hier noch etwas zum Hang des Autors zu fetten Szenen: Die Szene um den Tod des Gelehrten ist wirklich fein, jedoch gescripted und regelwidrig. Ein SL sollte sich vorab gut überlegen, ob er das in seiner Runde tun darf oder nicht. Tatsächlich ist es mE egal, ob der Gelehrte überlebt oder nicht. Seine Funktion – den Helden Wandzeichnungen verstehen helfen – hat er zum Todeszeitpunkt bereits erfüllt, und später stört er lebendig auch nicht. Er stirbt wirklich nur um der fetten Szene willen.
Der Autor hatte Abenteuerpunkte fürs Abenteuer vergeben, sage und schreibe 21.000 AP, eine fabelhafte Größe, die so noch kein DSA-Abenteuer gesehen hatte, noch nicht einmal diejenigen aus der Feder von HvW. Allerdings ist ihm beim Hantieren mit der Zeit- und Schreibmagie ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen, der es einer Heldengruppe unter der Führung von Hadumar von Wiesen-Ostreich ermöglichte, in die Zeit zurück zu reisen und dort die AP zu entwenden. Armer Autor, arme Spieler, und arm erst deren Helden! Aber gewiss wird der Autor sich noch einige AP aus den Rippen schneiden können und diese in Bälde als Erratum auf der Verlagsseite zur Verfügung stellen.

Fazit

Mein Clou kommt jetzt: Würde ich dieses Abenteuer als Spieler bei Martin erleben, ich wäre hellauf begeistert! Natürlich würde ich die Holprigkeit der Idee des Mich-Einmauern-Lassen-Wollens bemerken. Aber ich als Spieler bin oft lange nicht so kritisch wie als Leser oder Schreibender. Wenn ich bemerke, dass mich der SL jetzt gerne irgendwo hätte, dann tue ich ihm oftmals den Gefallen, weil auch mir ein Spaßversprechen daraus erwächst. (Wohingegen ich sehr ungehalten bei gescripteten Kämpfen werden kann, aber das passiert ja hier nicht.) Diesem Nadelöhr-Makel – das Abenteuer funktioniert nur, wenn man sich einmauern lässt – stehen viele tolle Situationen ggü., vornehmlich die Zeitmaschine an sich, das Paradoxon und der mögliche Schwertaustausch.
So stehe ich denn hier und weiß: Ich finde das Abenteuer toll, allerdings hätte ich es so nicht geschrieben (Nadelöhr, Umtriebe der Helden in Thalusa), so dass ich, sollte ich es leiten, viel Zeit darauf verwenden würde, es an meine Bedürfnisse anzupassen. Also weiß ich nicht, wie ich das Abenteuer bewerten, dh wie viele eingesargte Enten des zeitlosen Schreckens ich ihm geben sollte. Ich schwanke zwischen 8 bzw. 5 Enten. 8 Enten stehen für „Wirklich tolles Abenteuer mit Engpass und eingangs schwacher Ausarbeitung, das ich gern spielen würde“, 5 Enten stehen für „Tolles Abenteuer, aber leiten kann ich das so nicht“. Insofern verzichte ich nun auf eine abschließende Bewertung und frage stattdessen euch! Bitte teilt mir mit, welchem Drang ich folgen soll: 8 Enten oder 5 Enten? Natürlich könnt ihr auch alles andere über das Abenteuer behaupten, aber bitte gebt mir ebenso eine Rückmeldung innerhalb der von mir skizzierten zwei Kategorien.
3.11.2012, 07:47
Der Mönch
Danke für die Rezi!

Auf deine Frage bezogen, kann ich nur auf deine Bemerkungen zurückgreifen, da ich das AB selbst nicht kenne. Allerdings finde ich das Nadelöhr ein starkes Stück. In meiner Gruppe wüsste ich, dass es so nicht klappen würde. Die werden erstmal alles andere versuchen! Von daher würde ich fast schon deswegen 5 oder 6 Enten vergeben, auch wenn alles andere sehr charmant klingt.
3.11.2012, 12:29
E-Mail – WWW
Jens
Bei allen Zeitgöttern, das Abenteuer klingt ja absolut grauenvoll! Und das leider nicht im positiven Sinne, ich hoffe, das Thalusakapitel ist so gut, dass es als Spielhilfe für ein Szenario in der Stadt reicht — und das Dungeon kann man sicherlich auch anderweitig nutzen.

Aber ehrlich gesagt, erscheint mir das, was da steht, als etwas zu skurill und unspielbar. Ich bin aber auch jemand aus der Ecke, der Rollenspielabenteuer nicht als Kunstform ansieht. Kritisches Auseinandersetzen mit der Materie passiert bei mir in Foren oder nach dem Spiel (manchmal auch vor dem Spiel). Aber nie während des Spiels. Zumindest bei DSA.
3.11.2012, 14:23
Andras Marwolaeth
Mir erschließt sich nicht, warum die Helden sich mit begraben lassen müssen. Warum warten sie nicht einfach, bis der Gelehrte begraben ist, Ruhe herrscht und graben ihn dann des Nachts wieder aus?
5.11.2012, 13:20
Graf Hardimund
Die anderen beiden besprochenen Abenteuer klingen so interessant, dass ich sie gerne spielen würde. Kann ich nun nicht mehr, also überlege ich nun, ob ich mir die Anthologie besorgen und was daraus leiten werde.

Bei Das letzte Stündlein bin ich auch nach deiner sehr verdienstvollen Aufdröselung ein wenig ratlos.

Würde ich dem Abenteuer viel wegnehmen, wenn ich mir den Einstieg einfacher machen würde? Entweder durch eine böse Skripszene, in der die Helden beim gemeinsamen Grabfrevel mit dem Gelehrten eingekescht und verurteilt werden. Oder aber, indem das Abenteuer erst nach dem Einbuddeln beginnt und die Spieler sich gefälligst überlegen, wieso ihre Helden in Thalusa verurteilt wurden.

Was ist mit der Szene, in der die Helden sich selbst aus dem Sarg steigen sehen? Findet die vor dem Dungeon-Teil statt? Dann könnte man den Spielern doch stecken (freundlicher mysteriöser tulamidischer Weiser mit langem Bart; eigene Wissenstalente: Magiekunde, Götter und Kulte, Philosophie; Outgame-Diskussion über Zeitparadoxa), dass es ihr Ziel sein muss, auf eben diese Szene hinzuarbeiten. Sonst gäbe es Ärger mit Satiniav…
DSA: rillenmanni rezensiert: Das letzte Stündlein (Blog) {DSA, Dämmerstunden, Rezension}
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