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21.3.2010, 23:49
Dom
Auf dem Metstübchen-Con 2010 habe ich einen Workshop zum Thema „Muster beim Spielleiten“ gehalten. In einer sehr fruchtbaren Arbeitsphase und anschließenden Diskussion haben wir ein Muster erarbeitet, dass ich der Allgemeinheit nicht vorenthalten möchte.

Spielgruppe als NSC

In einem Satz

Die komplette Spielgruppe übernimmt NSC für eine Szene, an der ihre SC nicht aktiv teilnehmen.

Problem und Motivation

Es gibt unterschliedliche Motivationen, aus denen heraus der SL auf die Idee kommen kann, dieses Muster anzuwenden.
a) Die Spieler sollen Hintergrundinformationen erhalten, die ihre Spielfiguren sonst nicht oder erst sehr spät erhalten würden. Dazu gehört beispielsweise das Verständnis für bestimmte NSC-Entscheidungen oder Vorgänge, die die Charaktere sonst nur durch Erzählungen oder Zeitungsartikel erfahren würden.
b) Der Spielleiter möchte mehr Entscheidungen in die Hände der Spieler legen. Sie sollen nicht nur durch ihre Charaktere die Spielwelt gestalten, sondern auch den Rahmen selbst direkt beeinflussen können.
c) Die Spieler sollen mehr Abwechselung bekommen, ohne dass die Gruppe eine neues Spielsystem, eine neue Spielwelt oder neue SC benutzt. Die Spieler können so vorübergehend in neue Rollen schlüpfen und dem eventuell eingefahrenen Trott der normalen Spielrunde entfliehen. Eventuell herrscht auch gerade einfach etwas Langeweile am Spieltisch.

Situationen

Wann kann man das Muster anwenden? Wie sehen die Rahmenbedingungen aus, d.h. was sind die notwendigen Bedingungen? Zunächst einmal muss es geeignete Szenen geben, die abseits der SC stattfinden. In Kampagnen, in denen der Spielleiter einen Metaplot ablaufen lässt, werden solche Szenen natürlich häufiger vorkommen als in einem Dungeon-One-Shot. Dann braucht die Spielrunde genügend Zeit: Die Spieler müssen mit den notwendigen Informationen ausgestattet werden und die Szene will gespielt werden. Einerseits lohnt sich das nicht für eine zu kleine Szene und andererseits benötigt das auch Spielzeit, die für das „normale“ Spiel verlorengeht. Natürlich muss der Spielleiter damit rechnen, dass die NSC, die von den Spielern übernommen werden, dadurch verändert werden. Der SL muss also bereit sein, dass Veränderungen an den NSC stattfinden. Sind bestimmte Charakterzüge im weiteren Spielverlauf absolut relevant, sollte dieser NSC besser nicht aus den Händen gegeben werden. Zu guter Letzt müssen die NSC spielbar sein, d.h. vor allem, dass es möglich sein muss, die notwendigen Rahmenbedingungen an die Spieler weiterzugeben (also z.B. nicht zu abgedrehte NSC; keine Geheimnisse, die den Spielspaß für die Spieler stören würde).

Lösung

Unter diesen Voraussetzungen könnte eine Lösung für das Problem des SL sein, die gesamte Spielgruppe eine Gruppe von NSC für eine Szene übernehmen zu lassen. Dabei ist der Begriff „Szene“ nicht sehr eng gefasst: Es kann sich dabei auch um mehrere Szenen handeln, die sich alle auf einen bestimmten Handlungsrahmen beziehen. Beispiele sind ein Kampf, eine Gerichtsverhandlung (auch mit mehreren Verhandlungstagen), eine wichtige Tagung (mit sozialem Rahmen). Damit die Spieler die NSC in der Szene dann auch spielen können, muss der SL ihnen dazu hinlänglich definierte Informationen zukommen lassen. Dazu eignen sich Karteikarten im Allgemeinen besser als vollständig ausgefüllte Charakterbögen, denn die notwedigen Informationen unterscheiden sich von einem normalen Charakterkonzept erheblich. Je nach Szene könnte es sich hierbei einfach um die Kampfwerte, um typische Argumentationen, um Motive oder Handlungsgrenzen handeln.
Wichtig bei der Szene ist auch, dass die Handlung für die SC relevant sind. Ob die SC davon direkt betroffen sind (z.B. durch Anweisungen, die sie bekommen) oder sie nur mittelbar die Auswirkungen spüren (neue Gesetze werden erlassen) ist egal. Ist die Szene jedoch ohne Auswirkungen auf das restliche Spiel, sollte sie nicht im Spiel thematisiert werden: Selbst das Wissen, dass die Spieler dadurch erhalten haben, bringt ihnen keinen Zugewinn für das eigentliche Spiel.
Der Spielleiter muss die Szene nicht unbedingt offen gestalten: Durch Regieanweisungen auf den Karteikarten kann er Abstimmungen, Argumente, Handlungen usw. vorgeben. Dadurch ist er in der Lage, seine vorbereiteten Entscheidungen plastisch an den Spieltisch zu bringen, ohne das Ruder völlig aus der Hand zu geben. Allerdings ist eine Regieanweisung, die dem Spieler jegliche Freiheit nimmt (z.B. ein Skript, welches durch die Spieler mit verteilten Rollen vorgelesen wird), keine gute Idee und entspricht nicht diesem hier vorgestelltem Muster.
Ein weiterer Tipp: Es ist möglich, in einer Kampagne dieses Muster zur Strukturierung der Spielsitzungen zu verwenden, indem die Spieler immer wieder dieselbe NSC-Gruppe als Prolog oder als Epilog übernehmen.

Konsequenzen

a) Die offensichtliche Konsequenz ist, dass die Spieler andere Rollen übernehmen müssen, die ihnen vom Spielleiter vorgegeben werden. Nicht alle Spieler möchten das. Manche Spieler kommen auch nicht damit klar, die Wissensebenen der NSC und der SC voneinander zu trennen.
b) Durch die zusätzlichen Szene dauert das Spiel länger, als wenn der SL nur die Auswirkungen der Szene ins Spiel einfließen lässt oder das Ergebnis darstellt.
c) In den meisten Fällen erhöht sich der Aufwand für den SL: Wo er vorher das Ergebnis der Situation in drei Sätzen zusammenfassen konnte, muss er jetzt den Spielern die vorbereiteten NSC übergeben. Insbesondere wird dadurch also die Vorbereitung der Spielsitzung aufwändiger, am Spieltisch hingegen kann es sogar zu einer Entlastung kommen.
d) Der Spielleiter gibt einen Teil der Kontrolle über das Spiel an die Spieler ab.
e) Die NSC werden durch die Spieler anders dargestellt, als der SL es sich vielleicht vorgestellt hat. Dadurch verändern sie sich in ihrer Persönlichkeit.

Beispiele

a) Die SC helfen den Bewohnern einer von Orks belagerten Stadt. Der SL leitet jede Spielsitzung mit einem Kriegsrat der Orks ein, der über das weitere Vorgehen entscheidet. Die orkischen Anführer werden von den Spielern dargestellt, d.h. die Spieler entscheiden selber, was ihnen im Spiel begegnen wird.
b) Die Spieler können den politischen Hintergrund auf oberster Ebene bespielen und eine oder mehrere bestimmte Entscheidungen fällen. Die Spieler bekommen dadurch Hinweise auf Motivationen, Konflikte, Fraktionen und die wesentlichen Akteure.

zuletzt geändert: 24.3.2010, 07:54
21.3.2010, 23:54
Dom
@Rillenmanni: Den Punkt „Strukturierung der Spielsitzung“ habe ich hier bei „Problem und Motivation“ weggelassen. (Wir sollten darüber aber noch einmal diskutieren, was ich hiermit anstoßen möchte.) Denn ich komme doch als SL nicht auf die Idee und frage: „Mensch, ich müsste mal meine Spielsitzung strukturieren. Wie könnte ich das lösen?“ Und dann bekomme ich die Antwort: „Wende doch 'Spielgruppe als NSC' an.“ Denn das Muster sagt ja erst einmal noch nichts über Regelmäßigkeit aus; das wäre eine spezielle Ausführung. Und ich könnte auch genauso jede Sitzung mit einem Kampf anfangen lassen. Oder ich zünde am Anfang jeder Sitzung eine Kerze an. Oder, oder oder.
Ich hoffe, mein Punkt wird hier klar: Man kann natürlich „Spielgruppe als NSC“ dazu benutzen, die Spielsitzung zu strukturieren; aber das kann man ja mit vielen Dingen machen. Stattdessen würde ichdas „Spielsitzung strukturieren“ als Muster ansehen, mit dem man Probleme wie Unkonzentriertheit usw. lösen kann. Und dazu kann ich dieses oder jenes Verhalten benutzen. Aber ich denke eben nicht, dass es eine Motivation „Spielrunde muss strukturiert werden“ gibt, deren möglich Lösung „Spielgruppe als NSC“ heißt.
23.3.2010, 23:41
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Kronosjian
Mit Deinem Nachsatz kann ich zumindest leben und die Strukturierung als ein weiteres mögliches Muster ansehen.
Ich denke man könnte allerdings noch bei den Konsequenzen präzisieren, dass sich der Aufwand für den SL meist nicht nur vergrößert, sondern auch in Richtung Vorbereitung verschiebt. Wo er zuvor vielleicht mit drei Sätzen am Spieltisch den NSC improvisiert hat, muss er sich nun schon in der Vorbereitung Gedanken zu den NSCs machen und sie ausarbeiten. Im Gegenzug entlastet es den SL am Spieltisch, da er sich dann uU sogar komplett zurücklehnen kann und dem Spielertreiben zuschauen kann.

@Allgemein: Ich finde das Konzept der Muster (oder wollen wir sie weiterhin Pattern nennen?) sehr sympathisch, es hat viel damit zu tun wie ich früher immer Forendiskussionen destilliert habe, um die verschiedenen Möglichkeiten, Pros/Contras usw. heraus zu bekommen. Auch der Ablauf des Workshops war sehr schön durchdacht und sehr konstruktiv, das könnten wir fast zur Institution machen, dass wir uns jedes Treffen ein anderes Muster vornehmen ;-)
Jetzt mit etwas Abstand und noch mal drüber nachdenken könnte ich mir eine Reihe Muster vorstellen, die sich vielleicht mal lohnen würden, so durchdacht und aufbereitet zu werden: „SC gefangen nehmen“, „Prophezeiungen im Spiel“, „Spiele im Spiel“ oder solche Klassiker wie „Horrorstimmung“ usw.
24.3.2010, 08:07
Dom
Zur Präzisierung: Ich habe den Vorschlag eingearbeitet.

Zur Wiederholung: Ich würde gerne auf allen möglichen Cons einen Muster-Workshop sehen. Ich kann meine Vorbereitung ja mal in ausführlicher Version posten. Wenn es dann Nachahmer gibt: gerne! So könnte man dann am Ende eine coole Muster-Sammlung machen.
Ob wir jetzt auf jedem Metstübchen-Treffen einen Muster-WS machen müssen, sei nochmal dahingestellt. Falls es andere gute Themen gibt, sollten die auf jeden Fall vorgezogen werden. Zu viele Workshops sind auch nicht so richtig toll.
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