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RPG allgemein: [Dom Denkt] 8. Reste (Blog) {Konfliktauflösung, Zufall, Improvisation, RPG Theorie}
1.8.2008, 10:53
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Dom
Der vorherige Artikel ist hier zu finden: 7. Der Hintergrund. Es folgt der vorerst letzte Teil meiner achtteiligen Reihe über meine Auffassung von Rollenspiel. Hier sollen einige kleine Themen abgedeckt werden, die nicht unbedingt einen eigenen Artikel benötigen.

Konfliktauflösung

Als Konflikt möchte ich alle die Situationen zählen, bei denen es im Spiel mehrere mögliche konkurrierende Ausgänge gibt; also Situationen, in denen mehrere mögliche Fakten eingebracht werden könnten, die (im Normalfall) aus unterschiedlichen Quellen stammen. Wenn also ein Spieler sagt: „Es passiert das“ und ein anderer sagt: „Nein, es passiert was anderes, nämlich das“, so ist das ein Konflikt.

Regeln, die einen solchen Konflikt auflösen, heißen Konfliktauflösungs-Regeln (oder kurz: Konfliktauflösung). Typisches Beispiel ist das Würfeln von Proben; daher gehört „Konfliktauflösung“ zum großen Thema „Mittel der Einigung“, genauer „Mechanik“.

Der Konflikt besteht meist in folgender Situation:

Spieler: Mein Charakter klettert über die Mauer.
SL: Sicher? Er könnte auch scheitern.

Hier ist also ein Konflikt zwischen „schaffen“ und „scheitern“. Hätte der SL nicht die Alternative aufgezeigt, wäre die Kletterei gelungen. So muss typischerweise gewürfelt werden.

Es gibt bei Konfliktauflösungsregeln vier Stellschrauben:

- Granularität. Wird der gesamte Konflikt mit einem einzigen Schritt (z.B. ein Würfelwurf) abgehandelt, oder gibt es mehrere Schritte?
- Festlegung der Fakten. Wer legt die möglichen Fakten fest? Werden die vom Regelwerk vorgegeben (z.B. Klettern kann gelingen oder der Charakter fällt runter) oder werden die Ausgänge des Konfliktes erst im Spiel festgelegt?
- Aushandlung der Ausgänge. Wird darüber offen verhandelt oder gibt es eine Rolle, die dafür zuständig ist?
- Offenheit der Auswirkungen einer misslungenen Probe. Sind die möglichen Ausgänge der Situation vor der Probe bekannt?

Die zwei Extrema dieser Regelungen haben auch klangvolle Namen bekommen: Task- und Conflictresolution. Ich werde die gleich definieren.

1. Task Resolution. Kleinschrittige Auflösung, bei der die möglichen Folgen durch die Regeln festgelegt werden oder zumindest einen Rahmen vorgeben. Der Spielleiter legt die möglichen Ausgänge geheim fest (eventuell erst spontan nach dem Wurf) und teilt sie dann den Spielern mit.

2. Conflict Resolution. Grobschrittige Auflösung, bei der die möglichen Folgen nicht durch die Regeln festgelegt sind; allerhöchstens gibt es einen groben Rahmen. Vielmehr werden die möglichen Ausgänge frei in der Runde verhandelt und sind schon vor der eigentlichen Auflösung allen bekannt. Der Spielleiter hat hier im Wesentlichen moderierende Aufgaben.

Aber eine Warnung: Im Internet ist die Begriffsverwirrung groß. Alles, was irgendwie von Task Resolution abweicht, wird auf einmal Conflict Resolution genannt. Insbesondere wird oft auf der Granularität rumgehackt, ohne genau zu sagen, was Conflict Resolution denn nun ist. Die oben angegebene Vierteilung ist weitestgehend unbekannt.

Herausheben möchte ich die Festlegung der Fakten. Es kann sehr lohnenswert sein, sich beim klassischen Rollenspiel von den Regeln zu lösen und die Festlegung der möglichen Ausgänge in die Hand des Spielleiters legen. Näheres dazu findet man in meinem Text zum Workshop „Konfliktauflösung“ von der RatCon 2007.

Zufall

Der Zufall wird beim Rollenspiel gerne in Form von Würfeln benutzt, manchmal auch in Form von Karten. Ich habe ja schon so einiges über Wahrscheinlichkeiten geschrieben – und die Texte sind alle zu lang, als dass ich sie hier nochmal wiederholen möchte. Also möchte ich mich hier nur zwei Punkten widmen: a) der Whiff-Faktor und b) das starke Gesetz der großen Zahlen.

a) Der Whiff-Faktor
Der Whiff-Faktor ist so eine Art Frust-Zahl. Durch Würfelei kann es ja bei den meisten Rollenspielen passieren, dass man einen verdammt guten Wert in irgendwas hat (z.B. Stärke) einen einfachen Wurf machen soll (z.B. eine Stärke-Probe, um ein Gatter anzuheben) und dann verkackt. Ist die Chance zu verlieren unerwartet hoch, wird dies als hoher Whiff-Factor bezeichnet. (Das Wort „Whiff“ kommt übrigens angeblich von einem Baseball-Schläger, der knapp den Ball verfehlt. Man hört nur ein „Whiff“.)

Regeln mit einem hohen Whiff-Factor verleiten dazu, im Spiel ignoriert zu werden, denn die durch die Regeln eingebrachten Fakten scheinen den Spielern unlogisch und upassend zu sein – dazu noch zum Nachteil der Charaktere.

b) Das starke Gesetz der großen Zahlen

Dieses Gesetz sagt aus, dass man bei vielen Wiederholungen im Durchschnitt den Erwartungswert erwischt. Letztendlich bedeutet das, dass man bei häufigen Wiederholungen einfach den Erwartungswert für Hochrechnungen benutzen kann.

Beispiel: Ein Schwert mach W6+4 Schaden. Der Erwartungswert ist (5+6+7+8+9+10)/6 = 7,5. Das bedeutet, der mittlere Schaden beträgt auf Dauer 7,5. Will man wissen, wie viele Schwerttreffer man braucht, um 100 Punkte Schaden zu verursachen, kann man einfach 100/7.5 = 13.333 rechnen. Es werden also ca. 14 Treffer nötig sein.

Dabei ist wichtig zu wissen, dass diese Gesetzmäßigkeit zuverlässiger wird, je häufiger das Zufallsexperiment wiederholt wird. Und 12 Wiederholungen sind schon relativ viel.

Beispiel: So besteht ein 5%-Chance, schon mit 12 Würfen 100 Schaden zu machen. Aber es besteht eine 14,5%-Chance, mit 6 Würfeln auf 50 Schaden zu kommen. Und die Chance für 200 Schaden in 24 Würfen ist nicht mal 1%.

Aber das ist doch selbverständlich, oder? Ja. Ist es, es ist schließlich ein mathematisches Gesetz ;)

Trotzdem wird die Wirkung oft unterschätzt.

Beispiel: Bei den kürzlich erst erschienenen D&D4-Regeln gibt es Skill-Challenges. Hier möchte ich das starke Gesetz der großen Zahlen anwenden: Ein Erfolg zählt als eine 1, ein Misserfolg als eine 0. Man braucht für eine simple Challenge 4 Erfolge, bevor zwei Misserfolge eingetreten sind. Eine mittlere Schwierigkeit ist laut Regeln, wenn man etwa eine 50%-Chance pro Probe hat. Das bedeutet letztendlich, dass man von 5 Würfen mindestens 4 Erfolge braucht.
Der Erwartungswert für die Anzahl der Erfolge, wenn man einen Wurf macht, ist dann aber gerade 0,5. Man macht also im Mittel 0,5 Erfolge bei einem Wurf und 2,5 Erfolge bei 5 Würfen. Das bedeutet, wenn man 3 Erfolge von 5 verlangt, dann ist die Wahrscheinlichkeit schon bei unter 50%, dass die Skill-Challenge insgesamt gelingt. Bei 4 Erfolgen ist sie nicht mal 20%! (Anschaulich: 1–4 auf W20)
Kurz nach Erscheinen der Regeln kamen dann auch Errata, die die Wahrscheinlichkeiten drastisch verändert haben.

c) Das starke Gesetz des Whiff-Faktors

Beide Begriffe zusammen können das Spielerlebnis beim Rollenspiel prägen. Durch das starke Gesetz der großen Zahlen kann man, ohne dass die Spieler dies groß merken, mit Wahrscheinlichkeiten spielen. Bei Kämpfen wird das beispielsweise oft gemacht; ein kleiner Vorteil bei den Wahrscheinlichkeiten auf einer Seite wirkt sich über den gesamten Kampf gerechnet als großer Vorteil für die Seite der SC aus, so dass sie den Kampf kaum verlieren können. Das hält den Whiff-Faktor kleine und die Spieler bei Laune. Umgekehrt können mehrfache Proben auch den Whiff-Faktor in die Höhe treiben und Frust auslösen.

Aber vor allem Einzelproben sind unberechenbar! Daran ist aber nicht die Varianz schuld, sondern einfach dass es nur ein einzelnes Zufallsexperiment ist. Ohne vielfache Wiederholung kann man einfach nichts aussagen!

Ein Spielleiter kann einem hohen Whiff-Faktor entgegenwirken. Erstens, indem er sich bei Proben vorher gut überlegt, wie wahrscheinlich alles wird. Damit meine ich nicht, dass der SL vorher alle Proben festlegen muss. Aber wenn er sich grundsätzlich damit auskennt, hilft das viel. Zweitens, indem er seine Möglichkeiten, den Probenausgang festzulegen, ausnutzt. Siehe dazu das schon oben verlinkte Skript meines Workshops von der RatCon 2007. Und drittens, indem er auch mal auf Proben verzichtet, um unplausible Ergebnisse zu verhindern. Denn wenn der Würfel nicht geworfen wird, kann er nicht im falschen Moment eine 1 zeigen.

Viertens kann man sich natürlich auch ein Regelsystem nehmen, das keinen Whiff-Faktor enthält, wie z.B. das neue Rollenspiel „Houses of the Blooded“ von John Wick. Er lässt vom Würfelergebnis nur abhängen, wer erzählen darf. Nicht was erzählt wird. Wenn die Probe gelingt, erzählt der Spieler. Wenn die Probe misslingt erzählt der SL. Der Nachteil eines solchen Systems ist auch schnell klar: Die Regeln simulieren nicht mehr direkt die Physik der Welt. Sie regeln stattdessen, welcher Spieler etwas erzählen darf. Der Whiff-Faktor ist gleich null.

Improvisation

Zuletzt möchte ich noch ein paar Worte über Improvisation verlieren. Ganz ohne Improvisation wird wohl kein Rollenspielabend ablaufen. Aber warum eigentlich nicht? Und wie kann man seine Improvisation verbessern? Kann man was vorbereiten?

Über Improvisation habe ich vor einiger Zeit eine ganze Menge geschrieben, in meiner Blogs-Aktuell-Reihe. Und zwar über das Blog Catch Your Hare von Graham Walmsley, der dann daraus „Play Unsafe“ gemacht hat (Das Buch enthält ziemlich genau das, was ich in meinen vier Teilen Blogs-Aktuell zusammengefasst habe).

Aber warum braucht man im Rollenspiel überhaupt Improvisation? Kann man das nicht vermeiden?

Ich denke nein. Denn die Spieler führen ja abwechselnd neue Fakten in den gemeinsamen Vorstellungsraum ein. Man kann sich auf mögliche Fakten und Ideen natürlich vorbereiten und einiges beitragen, jedoch klappt das nicht immer. Denn andere Leute haben andere Ideen. Ideen, auf die man nicht selber kommt. Ideen, auf die man sich nicht vorbereitet hat und spontan reagieren muss. Das macht Rollenspiel doch aus, oder?
So, mit diesem Sammelsurium bin ich am Ende angelangt. In diesen insgesamt acht Artikeln habe ich mein aktuelles Verständnis von Rollenspiel dargelegt. Zugegeben, es ist recht viel und auch recht theoretisch, das alles. Aber es hilft mir, das Phänomen „Rollenspiel“ besser zu verstehen, Fehler zu sehen (bei mir und bei anderen) und diese zu verbessern. Nur durch ein tiefergehendes Verständnis eines solch komplexen Vorganges ist dies möglich. Und ich hoffe, durch meine Überlegungen zumindest an der Oberfläche zu kratzen.
zuletzt geändert: 10.8.2008, 14:06
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