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7.7.2007, 22:45
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Dom

1. Stimmungsvoll

<Mini-Rant>Als Anti-Intellektueller darf ich es ja sagen: Leute sollten immer für ihr Zielpublikum schreiben. Und wenn er das nicht tut, dann ist das Quatsch, unverständliches Gebrabbel. Das fällt mir immer besonders auf, wenn ich als Naturwissenschaftler auf Geisteswissenschaftler treffe, die sich nicht verständlich ausdrücken wollen oder können. Aber mir fällt das auch auf, wenn ich mir bei uns im Institut einen Vortrag im mathematischen Kolloquium anschaue und kein Wort verstehe. Schön fand ich einmal die einleitenden Worten: „Hier, bei den anwesenden Physikern, darf ich es ja sagen: Ich will ein Magnetfeld als Zwei-Form auffassen.“ Danach kam etwa 45 Minuten lang ein Vortrag über Magnetfelder. Da ich aber weder Physiker bin noch tiefere Ahnung von mathematischer Physik habe, bestand der Vortrag für mich aus 45 Minuten Langeweile und war wertlos. Geistiger Müll, Dünnschiss. Kommt schnell hinten raus und will man nicht haben. Ist aber natürlich auch einfacher, als etwas zu sagen/schreiben, was Nicht-Experten auch verstehen können. (Und wenn ich die Definition von intellektuell richtig verstanden habe, dann ist das jetzt ein intellektueller Beitrag von mir gewesen.)</Mini-Rant>

Aber Gott sei Dank gibt es auch Leute, die als Übersetzer fungieren. Und siehe da, Norbert dampft den Stein des Anstoßes auf zwei Aussagen ein:
1. Der Leser kommt über den Plot in den Text.
2. Stimmung und Fluff sind wichtig, um beim Text zu bleiben.
Damit kann man doch was anfangen, oder? Aber ist das jetzt irgendwie neu, insbesondere wenn man das aufs Rollenspiel überträgt?

(PS: Über den Autor Gumbrecht gibts auf Telepolis einen interessanten Artikel.)

2. Seicht

Aber da Intellektuelle wie unser allseits geliebter S. viel verständnisvoller sind, bezeichnen sie (EDIT: genauer: er) das Bedürfnis nach leichtem Spiel als Todsünde. Aber wahrscheinlich habe ich das nur falsch verstanden.

Ich persönlich finde den Blogeintrag von Frank sehr lesens- und bedenkenswert, insbesondere für „Hardcore-Gamer“, für Leute, die auch im realen Leben in der Spielwelt leben und auf Spieler herabsehen, die nicht so intensiv spielen (wollen) wie sie selbst. Auch ich muss mich da immer wieder bremsen … mit meinen halbwegs regelmäßigen Spielgruppen jedoch (DSA, 2xD&D) fällt mir das leicht, denn dort sind alle — außer vielleicht Purzel ;) — längst nicht so anspruchsvolle Spieler.

Manchmal wünsche ich mir, auch mal wieder in einer „Expertenrunde“ mit viel Intensität zu spielen (*in geschönten Erinnerungen schwelg*). Andererseits setzt auch in meinen „seichten“ Runden ein Flow ein, so dass man oft nicht merkt, wie die Stunden dahinfliegen und wir alle viel Spaß beim Spiel hatten.

3. Reparaturen

Georgios schreibt darüber und zwar explizit für Anfänger. Er möchte mögliche Quellen für Probleme in einer Rollenspielrunde nennen. Dazu teilt er das Spiel in drei Ebenen ein. In meinen eigenen Worten:
a) Sozialer Vertrag / Gruppenvertrag
b) Der Spieltisch mit Rollenregister und W-Ebene
c) Der gemeinsame Vorstellungsraum / die Fiktion
Rollenspiel ist ein ständiges Wechselspiel dieser drei Ebenen. Ob jetzt a) oder c) im Mittelpunkt steht, haben wir ja erst letztens diskutiert; b) haben wir verständlicherweise ausgelassen. Dann betrachtet er noch einige Wechselwirkungen, die für Rollenspieltheoretiker nichts wirklich Neues sind, jedoch selten so klar und verständliche aufgeschrieben wurden.
Etwas unterbeleuchtet ist jetzt der eigentliche Reparaturgedanke: a) Wie kriegen wir raus, was falsch läuft und b) Wie kann man es dann reparieren? Georgios schlägt lediglich Experimentieren vor, oder habe ich was übersehen?

Einen Ansatz habe ich ja im Wolkenturm gemacht: Der Link verweist (mal wieder) auf den Fragebogen aus „Wie spielt man DSA richtig?“. Die dort gemachte Einteilung entspricht nur mit gutem Willen der hier vorgestellten Einteilung: In der Spielwelt fragt nach Inhalten der Fiktion, Der Spielercharakter ist (ein Teil) der W-Ebene, spielt aber auch in die Fiktion rein. Zuletzt vermischt Am Spieltisch die Punkte a) und b). Insgesamt muss man sagen, dass der Gruppenvertrag in dem Fragebogen direkt relativ unbeleuchtet bleibt. Indirekt kommt aber das Zusammenspiel der Leute durch die gegenseitige Beurteilung mit hinein.
So, drei Themen in einem, dazu noch ein Mini-Rant. Für eine Diskussion eigentlich ungünstig, jedoch wollte ich auf (mMn) alle drei wichtigen Themen der letzten Zeit eingehen. Diskussion ist zu allem erwünscht, nur zum Rant möchte ich Kommentare höchstens in einem anderen Thread haben (denn das hat nicht wirklich was mit den aktuellen Blogs zu tun und auch nicht mit Erzählspielen). Wer also zum Rant was sagen möchte, zitiere ihn bitte in einem Thread zu „Irdisches“. Ich selber bin mit dem Thema eigentlich fertig, werde aber ggf. auf Kommentare reagieren.

EDIT: Schlechtschreibung
zuletzt geändert: 7.7.2007, 23:22
9.7.2007, 10:37
Elwin
zum 1. Punkt:

Die etablierte Literaturwissenschaft tut sich ohnehin recht schwer damit, das Phänomen „Unterhaltungsliteratur“ zu greifen. Man hat bisweilen den Eindruck, als machen viele Wissenschaftler darum einen Bogen und wenden sich lieber Büchern zu, die man wirklich nicht zum Spaß, sondern nur aus beruflichem (und erzwungenem) Interesse liest.
Gumbrecht, dessen Vokabular ihn eindeutig in die Ecke der Geisteswissenschaftler stellt, tritt mit diesem Artikel jedoch mal heraus und beschäftigt sich mit diesem ominösen Phänomen.
Ich habe die Linkempfehlung des Hofrates genossen. Sicherlich ist es für Rollenspieler keine unbedingt neue Erkenntnis. Für Ottonormal-Leser oder -Autor ebenfalls nicht. Neu oder besser: in gewisser Weise provokant ist der Vergleich von weithin gerühmten Romanen Joyces, Prousts und Musils mit der Unterhaltungsliteratur (immerhin mit der Literatur Ecos). Die Stimmung, der „Fluff“, hat recht wenig Anteil an der modernen Literaturwissenschaft, die sich ohnehin nur recht marginal darum kümmert, den Erfolg von bestimmter Literatur zu erkennen, analysieren oder zu qualifizieren.

Zurück zum Rollenspiel: Auch die geläufige Rollenspieltheorie arbeitet stark mit Merkmalen, Stilen, Zielen und Methoden usw., aber schwer zu fassen ist die „Stimmung“. Settembrini benutzt „Stimmungsspiel“ als Schimpfwort und der Elch prägte den Begriff der „Hartwurst“.
Letztendlich aber — und da schließt der verlinkte Artikel den Bogen — ist die Stimmung ein wichtiger Teil des Rollenspiels; Norbert bezeichnet es gar als „zweite Säule“.
Für DSA ist Stimmung mMn eine sehr wichtige Säule, mit vielen Romanen und dem Aventurischen Boten sind die Spieler „mittendrin, statt nur dabei“, auch die als geskriptet oft gescholtenen Abenteuer zeichnen sich durch Stimmung aus, was sogar die Kritiker eingestehen (der Hofrat lässt bei all seiner Kritik über die „Stimmungshurerei“ keinen Zweifel daran, dass DSA Stimmung erzeugt).
Ich bin verleitet zu sagen: Solange die Rollenspieltheorie das Phänomen der Stimmung noch nicht durchleuchtet hat, ist sie nicht vollständig. Nach den Kommentaren in Norberts Blog scheint sich auch Ron Edwards inzwischen verstärkt damit zu befassen (er nennt es „color").

Zum 2. Punkt:
Der Blog-Eintrag von Frank ist wirklich gut, da stimme ich Dir zu. Hier treffen — vor allem in den Kommentaren — auch verschiedene Ansichten aufeinander: Settembrini etwa vergleicht die Position des Spielleiters mit der des Lehrers. So als ob die Rollenspiel-Situation eine Situation des Lehrens und Lernens sei — und nicht des Spielens. Ich denke, sein pädagogischer — quasi missionarischer — Eifer ist keine mehrheitsfähige Position.
Ich schätze, jeder von uns kennt Casual Gamer und hat solche Spieler auch in seinen festen Runden (na gut, bei einigen GroFaFo'lern bin ich mir nicht so sicher). Ich bin irgendwie erleichtert, dass ich nicht der einzige bin, der noch nicht die optimale Spielrunde gefunden hat, in der sich alle Mitspieler gegenseitig „befruchten“ und dem Seichtspiel abgeschworen haben.
Ich stimme mit Settembrini außerdem nicht überein, wenn er die „Seichtleiter“ verdammt — gut, dass tut dort in den Kommentaren ja auch niemand sonst. Sicherlich ist ein Seichtleiter bei Spieler-Schwergewichten eine falsche Wahl, aber ebenso ist ein SL-Schwergewicht bei Seichtspielern eine falsche Wahl. Mit einem ambitionierten Abenteuer scheitert der SL, weil die Spieler sich nicht drauf einlassen (können). Das bringt die Spieler nicht weiter und dem SL vergeht der Spaß.
Gut, um Settembrini einen Ausweg zu bieten, könnte man hier argumentieren, dass der pädagogische SL zunächst einfache Abenteuer anbieten könnte und dann nach und nach den Schwierigkeitsgrad erhöht — genau so, wie es im Lateinunterricht ja auch gemacht wird. Die Frage ist nur, ob eine solche Pädagogik bei einer Freizeitunternehmung überhaupt grundsätzlich an der richtigen Stelle ist?

Den 3. Punkt lasse ich erstmal auf mich wirken, weil ich den Blog-Eintrag auch erst gerade gelesen habe.

Gruß
Chris
9.7.2007, 11:34
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Dom

Zitat von Elwin:

Ich bin verleitet zu sagen: Solange die Rollenspieltheorie das Phänomen der Stimmung noch nicht durchleuchtet hat, ist sie nicht vollständig. Nach den Kommentaren in Norberts Blog scheint sich auch Ron Edwards inzwischen verstärkt damit zu befassen (er nennt es „color").
Ja, Color ist ein in etwa passender Forge-Ausdruck, wobei ich nicht denke, dass Color und Fluff/Stimmung dasselbe beschreiben. Nach der Forge kann man im Rollenspiel (genauer: bei der Exploration des gemeinsamen Vorstellungsraumes) System, Setting, Situation, Charakter, und Color unterscheiden.
1of3, Boomslang und ich habe Color mal aufgrund unseres Forge-Fu genauer definiert, und zwar als Nicht-Essenz, wobei Essenz gerade das ist, was den weiteren Spielverlauf maßgeblich verändert. Mathematisch gesprochen bedeutet das: Alle Fakten können aufgrund ihrer Essenz zu Äquivalenzklassen zusammengefasst werden, wobei zwei Fakten aus derselben Äquivalenzklasse dieselbe Essenz haben, d.h. sie unterscheiden sich nur durch Color.

Beispiel: Ein Faktum im gemeinsamen Vorstellungsraum lautet: Der Raum wird durch die kleine Flamme einer Kerze, die auf einem Altar steht, in ein schummriges Licht getaucht.
Essenz könnte davon sein: Die Charaktere können etwas sehen, eventuell spielt noch das „schummrig“ eine Rolle, wenn es um Abzüge auf Fernkampfangriffe geht. Dann könnte der Altar essenziell sein (wenn die Charaktere unbedingt einen Altar brauchen oder er zu der richtigen Gottheit gehört), muss aber nicht. Auch könnte das gesamte Faktum Color sein, nämlich dann, wenn alle Charaktere über die Fähigkeit verfügen, im Dunklen zu sehen oder eh selber Lichtquellen mitbringen. Wie man sieht, kommt es bei color stark auf den Zusammenhang an. Wie jedoch die Stimmung der Szene ist, hängt nicht unbedingt damit zusammen, ob die Dinge für den weiteren Spielverlauf gerade wichtig sind oder nicht.

Zum seichten Spiel: Ich halte den Pädagogik-Vergleich für verfehlt und stimme ganz mit Frank überein: Respektvoller Umgang miteinander ist das, was zählt. Ich kann niemanden verdammen, nur weil er sich für bestimmte Dinge weniger interessiert als man selber. Wenn jemand ein starkes Bedürfnis nach anspruchsvollem Spiel hat (wie auch immer der Anspruch hier geartet ist), dann muss er sich eben Leute suchen, mit denen er anspruchsvoll spielen kann und die auch daran Spaß haben.

Dom
9.7.2007, 13:02
Elwin
Nebenbei: ich finde so eine Blog-Presseschau sehr interessant! :) ein Lob an Dich!

Gruß
Chris
9.7.2007, 13:31
Luzifel
jup… Lob an Doktor Dom ^^ Ich les hier gern mit… Ich raff zwar nicht Alles aber deswegen les das ja…

Grüße, Luzifel…
9.7.2007, 14:30
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Dom
Luzifel: Dann musst du fragen :) Wenn du nicht alles verstehst, hab ich mich wohl nicht klar genug ausgedrückt.

PS: Von einer Presseschau bin ich auch meilenweit entfernt… es sind immer nur Artikel, die mich gerade interessieren bzw. die ich zufällig gefunden habe.
zuletzt geändert: 9.7.2007, 14:57
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