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28.11.2007, 21:52
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Dom
Drüben, im übervollen Würfelbeutel, schreibt Rich über das Problem von Story-Orientierten-SLs mit komplizierte Regeln von klassischen Rollenspielen.

Ok, es gibt viele Spiele mit komplizierten Regeln. DSA, das Metstübchen-Haupt-Rollenspiel, ist auch eines davon. Aber auch D&D oder die WOD-Regeln gehören dazu. Doch der Trend geht ja zu vereinfachten Regeln ("streamlinen"); Indie-Spiele treiben das auf die Spitze und sind im Vergleich sehr einfach. Das hat wohl einerseits den Grund, dass man mit nur wenig Manpower viel leichter einfache Regeln als komplizierte Regeln hinkriegt. Andererseits liegt bei einfach Regeln im Normalfall die Geschichte im Vordergrund, und das ist es, worum es bei den meisten kleinen Systemen ja auch geht. Große Systeme versperren den Blick auf die Geschichte. Das hat zwei Gründe: Erstens sind fokussierte Regeln gut, also Regeln, die das belohnen, um das es im Spiel geht. Zweitens sind viele Regeln nur von relativ wenigen Spielern zu meistern. Damit steht bei komplizierten Regeln das korrekte Verstehen und Anwenden im Vordergrund und die daraus resultierenden taktischen Entscheidungen.

Letzteres kann natürlich auch gewollt sein, doch hier geht es jetzt darum, dass der SL die erzählte Geschichte in den Vordergrund stellt. Vielleicht stehen die Spieler ja auch auf die Regeln, sie lieben die taktischen und strategischen Entscheidungen usw. Hier in diesem Szenario soll jedoch mindestens der SL in der Hauptsache an der gemeinsam erzählten Geschichte interessiert sein. Außerdem hat dieser SL das Pech, ein Spiel mit vielen, komplizierten Regeln zu spielen.

Wie bereitet ein solcher SL eine Szene vor? Er überlegt, was passieren könnte und muss sich dann auf die benötigten Regeln vorbereiten: Kampf-Sonderregeln und Strategien für die Monster, Sonderregeln zur Bewegung in bestimmten Geländearten, Klettern-Schwierigkeitswerte für das Hindernis usw. müssen nachgeschlagen und notiert werden. Das dauert alles relativ lange und kostet Arbeit, weswegen der SL während des Spieles dazu neigt, die Spieler auch tatsächlich zu der vorbereiteten Szene zu führen, eventuell auch mit Gewalt ("Railroading"). Gelingt das nicht hundertprozentig, machen die Spieler was anderes und der SL muss improvisieren, d.h. „schlimmstenfalls“ eine Szene aus dem Ärmel schütteln. Da das aber entsprechend kompliziert ist, muss er wahrscheinlich während des Spieles das Regelbuch in die Hand nehmen und darin die entsprechenden Werte und Sonderregeln nachschlagen. Denn meist ist es ja der SL, an dem die Regeln hängen.

Da aber eigentlich viele SLs keine Geschichte vorbereiten möchten (da die Geschichte während des Spiels gemeinsam entstehen soll) sondern nur Situationen, müssen NSCs aus dem Ärmel geschüttelt werden können. Regellastige Systeme geben dazu oft Hilfen in Form von Proto-NSCs, Templates o.ä.; in regelarmen Systemen dagegen können die für einen NSC nötigen Werte meist spontan aus dem Hut gezaubert werden. Wenn es auf die Geschichte ankommt, sind also auch hier die regelarmen Systeme im Vorteil.

Nun steht aber der arme SL vor dem Problem, dass er kein regelarmes System hat. Was macht er also? Er ignoriert die Regeln, er „schummelt“, er dreht Würfel und alles nur, um eine Geschichte zu spielen. Und das kann jetzt von allen Spielern akzeptiert werden (was dann zum Partizipationismus führt) oder nicht (womit wir dann beim Illusionismus landen).

Jetzt könnte man fragen: Und warum spielt der SL dann so ein Spiel überhaupt? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil er dafür Spieler findet. Mir selber geht es ja nicht anders. Es ist nicht so, dass ich D&D nicht leiden mag (das spiele ich gerne, vor allem auch wegen der taktischen Herausforderungen und ich wäre nicht glücklich bei einem Schummel-SL), sondern dass ich auch mal was Story-Orientierteres spielen möchte. Dazu benutze ich als „Schummel-SL“ DSA (und ja, meine Spieler wissen davon). Warum nehme ich nicht StoryDSA oder irgendein Indie-Spiel? Ich finde nicht so richtig dafür eine Gruppe, die das mitträgt. Bis Mitte 2007 hatten wir ja die RPG-Testrunde, das war cool. Aber das ist vorbei.
29.11.2007, 01:39
Skyrock
Bei meinen viel geleiteten „Rules-Heavy“-Systemen (SR, DSA3, CP2020) hatte ich eigentlich nie Probleme damit herausforderungsrelevante Szenen und NSC-Werte zu improvisieren. Der Trick ist sich beim improvisieren möglichst auf Standardmunition zu beschränken die entweder ohne Sonderregeln daherkommt oder deren Sonderregeln man intus hat um sich nachblättern zu ersparen, und einen verlässlichen Maßstab für Werte zu haben um diese schnell anhand der Kompetenz der NSCs zuweisen zu können.
Man muss die Regeln dafür natürlich gut kennen, aber das sollte man als SL bei einem solchen System sowieso ;)

Ansonsten gibt es auch Spiele mit komplizierten Regeln die beim NSC-Improvisieren Arbeit abnehmen. Templates und anderes Fertigfutter wurden ja schon genannt.
CP2020s Zufallsbegegnungstabelle liefert gleich ökologisch sinnvolle Gegnerkonfigurationen und grobe Vorgehensweisen mit, und es gibt eine zufallsbasiertes System um Quick&Dirty NSCs zu erschaffen. (Im Hardwired-Quellenbuch ist auch ein alternatives System dafür das gleich die grundlegende Persönlichkeit und Vorgehensweise mitbestimmt.)
Das StarCluster-System bietet ebenfalls zufallsbasierte schnelle NSC-Erschaffung.
Myrmidons Epos schließlich hat ein Prioritätengrid um unwichtige NSCs schnell ausstaffieren zu können, wobei die Werte nicht sofort aus dem Grid gestrichen werden müssen sondern nach und nach eingesetzt werden können wenn sie gebraucht werden. (Wenn der Stufe-1-Räuber also eine 3,2,1,1 für Fertigkeiten hat und erst einmal Schleichen und Nahkampf braucht dann kann man eine der 1en für Schleichen und die 3 für Nahkampf abstreichen, während die 2 und die 1 noch offen sind um Fertigkeiten zugewiesen zu werden falls andere Fertigkeiten noch gebraucht werden.)
Für Mazeprowl strebe ich ähnliches an.
29.11.2007, 13:21
rillenmanni
Nun, da ich nach Möglichkeit nicht mehr schummeln möchte, muß ich für meine DSA-Abenteuer eben mehr Zeit in die Vorbereitung investieren. Man hat also ein reines Zeitproblem, wenn man eine „Geschichte zu spielen“ auch in modularen Handlungen verwirklicht sieht — mir ist jetzt nicht ganz klar, Dom, was genau Du in dieser Diskussion unter einer „Geschichte“ verstehst. Wenn es eine festgefügte Geschichte mit am Ende gar „dramaturgisch wertvoller“ Ereignislinie ist, dann hat man natürlich ein Problem. Allerdings sehe ich nicht die Regeln als Problem, denn wenn man im Namen der Geschichte schummelt, wird man mE nicht erst durch komplizierte Regeln dazu verleitet. Wir konnten schon damals bei DSA1 ganz hervorragend schummeln, und DSA1 war nun wirklich einfach gestrickt.

Auslassen von Regeln: Ist das schon verwerflich? Beispiel Kampf, besondere Kampfsituationen: A steht oben auf der Treppe, B unten. Oder: B steht deutlich tiefer im Wasser als A. Dafür gibt es in DSA4 klare Regeln (und so schwierig sind sie eigtl gar nicht). Dennoch werden sie oft weggelassen, das mache ich auch. Aber das nimmt keinen Einfluß auf die Geschichte, sondern auf den Spielfluß.

Improvisierte NSC: Selbst bei einem Regelmonstrum wie DSA4 ist das doch keine Schwierigkeit. Denn welche Regeln (verregelte Charakteraspekte) sind schon für gängige Spielsituationen relevant? Benötige ich einen NSC als Gegner, dann kann ich doch in 36 Sekunden festlegen (je für unerfahrenen/erfahrenen Gegner: „LE 28, AT 12 [15], PA 10 [14], W+3 (Säbel) mit eBE 1 [W+4], INI 8+W6-BE [9+W6+Kampfreflexe-BE], RS 3 (Lederrüstung, BE3), PaB 7 [8], Ausweichen PaB-BE[+Ausweichen1], SF Wuchtschlag|Finte [& Meisterparade|Binden|Gegenhalten|Windmühle]„. Alles weitere wird improvisiert. (Wobei mir das EPOS-System schon ganz gut gefällt.)

Habe ich noch irgend etwas komplett mißverstanden?
29.11.2007, 13:55
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Dom
rillenmanni, dass man auch mit einfachen Regeln hervorragend schummeln kann, bedeutet ja nicht, dass man durch komplizierte Regeln nicht verleitet wird. Es könnte allerdings ein Hinweis sein, dass die Kompliziertheit der Regeln nicht das richtige Kriterium ist.

Unter „Geschichte“ will ich das verstehn, was am Ende hinten rauskommt. Wenn ich eine Geschichte vorbereite und da viel Arbeit reinstecke, neige ich als SL zum railroaden, denn ansonsten hätte ich mich ja gar nicht vorbereiten brauchen. Wenn ich „nur“ Szenen, Ideen, Handlungsrahmen für NSCs usw. vorbereite, dann muss ich im Spiel flexibel reagieren können, denn ich habe ja keine vorbereitete Geschichte sondern möchte, dass sich eine Geschichte im Spiel entwickelt. Dann muss ich aber die Möglichkeite haben, flexibel zu reagieren. Und diese Flexibilität wird schwieriger, je mehr Regeln ich zu beachten habe.

Skyrock schlägt (unter anderem) folgendes vor:

Zitat:

Der Trick ist sich beim improvisieren möglichst auf Standardmunition zu beschränken die entweder ohne Sonderregeln daherkommt oder deren Sonderregeln man intus hat um sich nachblättern zu ersparen, und einen verlässlichen Maßstab für Werte zu haben um diese schnell anhand der Kompetenz der NSCs zuweisen zu können.
Das bedeutet dann aber auch, dass man eventuell coole Ideen, die einem während des Spieles kommen, nicht umsetzen kann, da sie längerer Vorbereitungszeit bedürfen. D.h. wenn ich mich als SL an die Regeln halte, kann ich nur schwierig Nicht-Standards improvisieren. Wenn ich dagegen schummle, kann ich auch abgefahrene Dinge improvisieren, da die Spieler hoffentlich eh nicht merken, dass ich die Regeln gar nicht einhalte.

Was du jetzt als „Schummeln“ oder „verwerflich“ bezeichnest, hängt von dir und deiner Gruppe ab. Für manche ist das Auslassen von Regeln verweflich; dabei kommt es sicherlich auch auf die Regel an (wenn ich z.B. in einem Kampf die Regel auslasse, dass Monster Lebenspunkte verlieren, wenn sie getroffen werden, ist das schon irgendwie ein grober Regelverstoß; dein Beispiel wird wahrscheinlich von sehr viel weniger Leuten als schlecht empfunden).

PS: Notiz an mich: EPOS lesen.
29.11.2007, 17:01
Skyrock

Zitat:

Das bedeutet dann aber auch, dass man eventuell coole Ideen, die einem während des Spieles kommen, nicht umsetzen kann, da sie längerer Vorbereitungszeit bedürfen. D.h. wenn ich mich als SL an die Regeln halte, kann ich nur schwierig Nicht-Standards improvisieren.
In das Problem bin ich ehrlich gesagt nie reingelaufen, allerdings war ich in allen dreien o.g. Systemen sehr regelfest und kannte damit auch die meisten Sonderregeln für das abgefahrenere Zeug aus dem Kopf (etwa diverse Gifte und Säuren in 2020).
Problematisch ist es nur beim improvisieren starke Synergien zu produzieren (z.B. zwischen überlappenden Sicherheitssystemen bei SR und 2020) — das erfordert natürlich Planung und das Abklappern eines Möglichkeitenbaumes der die „Was, wenn…“-Fragen beantwortet, eine Sache die zu aufwändig ist um sie eben mal schnell am Tisch zu machen.

Ansonsten hatte ich nie ein Problem damit vorgeplante Herausforderungen links liegen zu lassen — was die Spieler nicht aufgestöbert haben kann ich schließlich noch für spätere Abenteuer recyclen ohne dass ich mich in ihren Augen wiederhole, insofern ist die Arbeit nicht für die Katz.

Und natürlich ist es leichter in simplen Systemen mit Gleichmacherkeule wie Risus, TSoY oder auch Story-DSA zu improvisieren, das stelle ich nicht in Frage.
Ich halte nur die Schlussfolgerungen im Blogeintrag aus eigener Erfahrung heraus für übertrieben. Mit solider Regelkenntnis in Theorie und Praxis sowie ein paar kleinen Tricks lässt sich auch in den Schwergewichten gut improvisieren.

Ach ja, was auch hilfreich ist beim Improvisieren in Schwergewichten: Ein SL-Schirm von dem man die wichtigste Munition direkt ablesen kann. In einem Schwergewichtssystem ist ein solcher Übersichtsschirm sowieso Gold wert um Zeit und Lernaufwand einzusparen (z.B. für Modifikatorenlisten), und sich selbst einen maßgeschneiderten Schirm zu erstellen, der die Sachen beinhaltet die man nicht selbst im Kopf hat während schon auswendig beherrschte Sachen aus Platzgründen wegbleiben, ist kein großer Aufwand im Vergleich zum Aufwand während des Leitens ohne eine solche Übersicht.
30.11.2007, 17:30
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alexandro
Es ist auch so, dass einige der „strealined“ Systeme aus der Forge zwar wenig REGELballast mitschleppen, aber trotzdem nicht unbedingt weniger Vorbereitung erfordern.

Sorcerer z.B.- da bekomme ich eigentlich nur was ordentliches hin, wenn ich eine Spielsitzung für „Charakter- und Settingplanung“ aufwende und mir dann, wenn die Charaktere und ihre Beziehungen fertig konstruiert sind- bis zur nächsten Session überlege, was für ein Abenteuer ich jetzt daraus mache. Genauso bei With great Power… .

DitV (wo die SC in eine vorbereitete Stadt reinwatscheln) und PTA (wo die gemeinsame Vorbereitung zum Spiel gehört) sind da eher Ausnahmen.
30.11.2007, 22:50
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Harald
Ich glaube nicht, dass die Menge der Regeln das Problem ist, sondern die Menge der Regelanwendungen. Auch „kompakte“ Systeme wie WuShu brauchen eine saubere Auseinandersetzung mit gegebenen Situationen, sonst kommt nur „samesame,but different“ raus. Es reicht halt nicht, den Orks rote Mützen aufzusetzen und zu sagen „dann sinds halt Zwerge“, auch nicht bei TSOY, PTA (bei dem Vorbereitung häufig überbewertet wird, IMHO) oder selbst Risus.

Großes Problem sind die bereits erwähnten Synergie-Effekte, die aber in kompakten Systemen viel schneller zum Tragen kommen können, weil es da eben die Große Einheitlichkeit gibt, die einige Leute dazu verleitet, in die Beliebigkeit abzugleiten, nur weil es keine Sonderregeln für Giftwolken gibt.

Was neben Template-NSCs und Beispiel-Abenteuern häufig fehlt, sind Standard-Situationen. Genau das leistet CP2020 mit seiner Zufallstabelle, die eben nicht nur Oppositionswerte liefert, sondern durchs reine Lesen ein Bild der Spielwelt vermittelt.
30.11.2007, 23:23
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Harald
Nachtrag: Bei DitV haben wir einen feinen Hybriden: Die Siedlung ist nur insofern vorbereitet, als daß der Spielleiter sich über das Problem der jeweiligen Siedlung klar ist. Da eine der Maximen von DitV „Gehe nicht mit einer vorgefaßten Lösung ins Spiel“ lautet, kann man eine Siedlung gar nicht so vorbereiten wie ein klassisches Abenteuer. Das drückt sich auch in den NSCs aus, die nur prototypisch, ohne definierte Traits, vorliegen.

Auch bei PTA — das muß ich doch nochmal betonen — wird nicht die gesamte season en detail vorgeplant. Premise, Issues, Nemeses, Edges, Connections, Spotlights; das wars eigentlich. Der Producer kann eine gewisse Kontinuität vorbereiten, aber letztlich ist zuviel Planung der Tod eines dynamischen PTA.
12.12.2007, 22:35
Skyrock
Erst diesen Consonntag bin ich wieder den Beweis angetreten dass regelschwere Systeme kein Problem mit Improvisation haben (wenn CP2020 dazu zählt).
Samstag abend noch für zwei Charaktere den Lifepath ausgewürfelt und daraus ein gemeinsames Abenteuerziel gezogen (gemeinsamen Feind töten), grobe Notizen gemacht, geschlafen, Sonntag morgens zwischen Morgenkaffee, Auffegen und diversen Schwätzle die groben Notizen etwas ausgearbeitet, einen groben Bodenplan für das Penthouse des Feindes aufgezeichnet und ein paar Notizen dazu gemacht (Lage, äußere Sicherheitsmaßnahmen), Werte der definitiv auftauchenden NSCs ausgewürfelt, und fertig war die Wutz.
Lücken während dem Spiel konnten schnell dank Onkel Plausi, der Zufallsgenerierung für NSCs und der Zufallsbegegnungstabelle geschlossen werden.

Allerdings war das auch eher lokalitätsbasiertes Sandboxabenteuer und weniger ein plotbasiertes geschliffenes Abenteuer.
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