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RPG allgemein: Ausgewogenes Spiel (Blog) {Balancing}
7.10.2008, 21:58
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Dom
Ich hatte vor längerer Zeit mal versprochen, zu schreiben, warum Balancing nicht total überbewertet ist. Und da ich gerade in den letzten Tagen immer wieder lese, dass Ausgewogenheit völlig unnötig ist (und ich mein Versprechen halten möchte), schreibe ich darüber. Jetzt und hier.

Am wichtigsten: Was ist das überhaupt? Balancing… das kommt meistens mit Spielwerten einher. In vielen Rollenspielen wird versucht, die Spielwerte irgendwie ausgeglichen zu gestalten. Beispielsweise indem alle Charaktere gleich viele Punkte auf Fertigkeiten verteilen dürfen. Oder indem alle „gleich gute“ besondere Fähigkeiten bekommen. Oder indem sich die Kosten für Fähigkeiten oder Gegenstände an ihrem Spielwert orientieren.

Aber wozu sollen denn diese Werteangleichungen denn dienen? Wenn sie nur zum Selbstzweck dienen, dann ist es natürlich voll unsinnig. Werte müssen einem Zweck im Spiel dienen, denn ohne diesen brauchen wir die Werte nicht. Und so auch das Balancing von Werten. Die naheliegende Lösung: Sollten die Spieleautoren nicht ganz von Sinnen sein, soll der Werteausgleich dabei helfen, zu verhindern, dass sich einige Spieler benachteiligt fühlen. Das kann man zu folgender Formel zusammenfassen:

Definition Balancing:

Balancing bedeutet, dass sich kein Spieler benachteiligt fühlt.
Und das ist sehr wichtig! Denn wenn ein Spieler denkt, er hätte einen schlechteren Stand, dann macht das Spiel wenig Spaß. Der Spieler wird frustriert, eventuell hört er sogar auf zu spielen.

Dummerweise denken nun viele Leute, dass man über den Ausgleich von Werten eine Spielbalance erreichen kann. Das kann natürlich nicht hundertprozentig funktionieren — das kommt immer auf den Fokus der Spielrunde an. Selbst identische Werte reichen nicht, denn ein Rollenspiel-Charakter ist ja üblicherweise mehr als die Werte. Die einzige reelle Chance auf absolutes Balancing sehe ich darin, dass alle Charaktere komplett gleich sind, was natürlich quatsch ist. Denn Erzählspiele leben ja davon, dass jeder seinen individuell gestalteten Charakter spielen kann. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass Ausgeglichenheit im Wesentlichen während des Spiels entsteht. Solche goldenen Regeln wie „Jedem Spieler seine Szene“ sind also ein Schritt Richtung Balancing.

So, nun kann man sagen: Was soll der Scheiß? Mit Balancing meinte ich doch die ausgeglichenen Werte, und du hast selber gesagt, dass die nix taugen. Falsch. Die ausgeglichenen Werte bringen was. Nämlich einen Baustein für Balancing. Wenn ich mir alleine ansehe, wie viele Probleme es bei DSA gibt, weil die Ausgeglichenheit der Werte schlecht ist, dann weiß ich, dass das wichtig ist. Vielleicht nicht für alle Spielrunden, eventuell soll das sogar so sein (dazu gleich mehr). Aber sicher ist eines: Gut ausgeglichene Werte ermöglichen es, dass Spieler nicht durch Benachteiligungs-Gefühle in ihrer Charakterwahl eingeschränkt werden. Und deswegen sollte ein Spiel mechanisch gut gebalanced sein.

Um es ganz klar zu sagen: Mit Balancing meine ich nicht, dass alle gleich geschaltet sein müssen. Ein Rollenspiel, in dem vorgesehen ist, dass einer einen großen Anführer spielt und die anderen seine Gefolgsleute, kann auch mechanisch gebalanced sein, obwohl der Anführer viel besser ist. Aber weil hier von Anfang an klar ist, dass einer den Anführer spielt, fühlen sich die Spieler der Gefolgsleute nicht zurückgesetzt. Letztendlich ist doch in den allermeisten Regelsystemen ein Spieler vorgesehen, der mehr oder weniger unbegrenzte Macht hat. Nur die wenigsten kämen auf die Idee, dass die Möglichkeiten des Spielleiters unfair sind.

Zu einer absichtlichen Schieflage: D&D ist (zumindest bis 3.5) ein Spiel, bei dem unter anderem darum geht, das Spiel zu beherrschen. Spieler, die sich mehr mit den Mechanismen, mit den Fähigkeiten und Zaubersprüchen beschäftigt haben als andere, sind besser. Das kann schon zu Frust führen, wenn die Spieler das nicht verstanden haben. Aber auch zu Spaß, wenn es darum geht, die coolste Kombo auszutüfteln. Das Spiel ist dann also absichtlich nicht gut gebalanced, um die Fertigkeit des Spielers beim Umgang mit dem Spiel herauszufordern, also eine Herausforderung auf der Meta-Ebene (oder Meta-Meta-Ebene, wenn man das Sprechen über Regeln schon als Meta-Ebene betrachtet). Konkretes Beispiel aus dem verlinkten Artikel: Der Feat „Toughness“. Wer den nicht verstanden hat, verschwendet eventuell sinnlos einen Feat.

Fazit: Ausgewogene Werte helfen vielen Spielgruppen dabei, ein Spiel zu spielen, bei dem sich niemand benachteiligt fühlt. Sie sind kein Allheilmittel, klar. Und sie sind gewiss nicht für alle Spielrunden wichtig. Aber sie helfen.
8.10.2008, 00:42
Mr.Castle
„D&D ist (zumindest bis 3.5) ein Spiel, bei dem unter anderem darum geht, das Spiel zu beherrschen. Spieler, die sich mehr mit den Mechanismen, mit den Fähigkeiten und Zaubersprüchen beschäftigt haben als andere, sind besser.“

Dies ist für die ürsprüngliche Editionen (OD&D, BECMI, AD&D 1st) nicht richtig — die Mechanismen/Fähigkeiten/Sprüche waren sehr überschaubar und zur Not leicht eingrenzbar. Das von dir oben beschriebene Phänomen kam erst mit AD&D 2nd auf, wobei man mit etwas Wohlwollen die Grundregelwerke da noch ausnehmen und den Beginn ab der Veröffentlichung der „Complete“-Reihe setzten kann. Ein Spiel, dass mit wenig Regeln auskam, und bei dem Rules-Lawyering verpönt war, „gipfelte“ somit in 3.5, dem genauen Gegenteil…
8.10.2008, 07:07
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Dom
@Mr.Castle: Ich habe tatsächlich bei diesem Satz gezögert, auf welche Editionen ich ihn einschränken will. Das „bis 3.5“ habe ich deswegen geschrieben, weil ich mich auch gut an Diskussionen zum Thema „Sind Magier schwerer zu spielen?“ erinnere. Dabei ging es um taktische Spruchauswahl. Aber ich gebe dir Recht, vor der 2nd Edition war (A)D&D wesentlich leichter.
8.10.2008, 09:50
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Dom
Ah, noch was: Ich halte DSA1 für ein hochgradig ausgeglichenes Spiel. Genau wie oD&D. Denn da kann man nicht aufgrund seiner persönlichen Vorlieben und total benachteiligt werden. Und wenn man bei der Charaktererschaffung scheiße würfelt und keinen Bock drauf hat, dann macht man sich eben einen neuen.
8.10.2008, 15:36
alexandro
Was du beschreibst ist weniger Balancing, als vielmehr Fairness. Sehr wichtig (deswegen stimme ich auch nicht mit „Forget Fair“ aus dem Old-School-Manifest überein), aber nichts worauf man als Spieledesigner hinarbeiten kann.
8.10.2008, 15:45
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Dom
Fairness ist etwas, das im Spiel entsteht. Und ein Autor kann sehr wohl dazu beitragen. Beispielsweise, indem er auf Hartholzharnische verzichtet.
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