Am wichtigsten: Was ist das überhaupt? Balancing… das kommt meistens mit Spielwerten einher. In vielen Rollenspielen wird versucht, die Spielwerte irgendwie ausgeglichen zu gestalten. Beispielsweise indem alle Charaktere gleich viele Punkte auf Fertigkeiten verteilen dürfen. Oder indem alle „gleich gute“ besondere Fähigkeiten bekommen. Oder indem sich die Kosten für Fähigkeiten oder Gegenstände an ihrem Spielwert orientieren.
Aber wozu sollen denn diese Werteangleichungen denn dienen? Wenn sie nur zum Selbstzweck dienen, dann ist es natürlich voll unsinnig. Werte müssen einem Zweck im Spiel dienen, denn ohne diesen brauchen wir die Werte nicht. Und so auch das Balancing von Werten. Die naheliegende Lösung: Sollten die Spieleautoren nicht ganz von Sinnen sein, soll der Werteausgleich dabei helfen, zu verhindern, dass sich einige Spieler benachteiligt fühlen. Das kann man zu folgender Formel zusammenfassen:
Definition Balancing:
Balancing bedeutet, dass sich kein Spieler benachteiligt fühlt.
Und das ist sehr wichtig! Denn wenn ein Spieler denkt, er hätte einen schlechteren Stand, dann macht das Spiel wenig Spaß. Der Spieler wird frustriert, eventuell hört er sogar auf zu spielen.Dummerweise denken nun viele Leute, dass man über den Ausgleich von Werten eine Spielbalance erreichen kann. Das kann natürlich nicht hundertprozentig funktionieren — das kommt immer auf den Fokus der Spielrunde an. Selbst identische Werte reichen nicht, denn ein Rollenspiel-Charakter ist ja üblicherweise mehr als die Werte. Die einzige reelle Chance auf absolutes Balancing sehe ich darin, dass alle Charaktere komplett gleich sind, was natürlich quatsch ist. Denn Erzählspiele leben ja davon, dass jeder seinen individuell gestalteten Charakter spielen kann. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass Ausgeglichenheit im Wesentlichen während des Spiels entsteht. Solche goldenen Regeln wie „Jedem Spieler seine Szene“ sind also ein Schritt Richtung Balancing.
So, nun kann man sagen: Was soll der Scheiß? Mit Balancing meinte ich doch die ausgeglichenen Werte, und du hast selber gesagt, dass die nix taugen. Falsch. Die ausgeglichenen Werte bringen was. Nämlich einen Baustein für Balancing. Wenn ich mir alleine ansehe, wie viele Probleme es bei DSA gibt, weil die Ausgeglichenheit der Werte schlecht ist, dann weiß ich, dass das wichtig ist. Vielleicht nicht für alle Spielrunden, eventuell soll das sogar so sein (dazu gleich mehr). Aber sicher ist eines: Gut ausgeglichene Werte ermöglichen es, dass Spieler nicht durch Benachteiligungs-Gefühle in ihrer Charakterwahl eingeschränkt werden. Und deswegen sollte ein Spiel mechanisch gut gebalanced sein.
Um es ganz klar zu sagen: Mit Balancing meine ich nicht, dass alle gleich geschaltet sein müssen. Ein Rollenspiel, in dem vorgesehen ist, dass einer einen großen Anführer spielt und die anderen seine Gefolgsleute, kann auch mechanisch gebalanced sein, obwohl der Anführer viel besser ist. Aber weil hier von Anfang an klar ist, dass einer den Anführer spielt, fühlen sich die Spieler der Gefolgsleute nicht zurückgesetzt. Letztendlich ist doch in den allermeisten Regelsystemen ein Spieler vorgesehen, der mehr oder weniger unbegrenzte Macht hat. Nur die wenigsten kämen auf die Idee, dass die Möglichkeiten des Spielleiters unfair sind.
Zu einer absichtlichen Schieflage: D&D ist (zumindest bis 3.5) ein Spiel, bei dem unter anderem darum geht, das Spiel zu beherrschen. Spieler, die sich mehr mit den Mechanismen, mit den Fähigkeiten und Zaubersprüchen beschäftigt haben als andere, sind besser. Das kann schon zu Frust führen, wenn die Spieler das nicht verstanden haben. Aber auch zu Spaß, wenn es darum geht, die coolste Kombo auszutüfteln. Das Spiel ist dann also absichtlich nicht gut gebalanced, um die Fertigkeit des Spielers beim Umgang mit dem Spiel herauszufordern, also eine Herausforderung auf der Meta-Ebene (oder Meta-Meta-Ebene, wenn man das Sprechen über Regeln schon als Meta-Ebene betrachtet). Konkretes Beispiel aus dem verlinkten Artikel: Der Feat „Toughness“. Wer den nicht verstanden hat, verschwendet eventuell sinnlos einen Feat.
Fazit: Ausgewogene Werte helfen vielen Spielgruppen dabei, ein Spiel zu spielen, bei dem sich niemand benachteiligt fühlt. Sie sind kein Allheilmittel, klar. Und sie sind gewiss nicht für alle Spielrunden wichtig. Aber sie helfen.