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DSA: rillenmanni rezensiert: Geisterjahrmarkt (Blog) {DSA, Dämmerstunden, Rezension}
27.10.2012, 12:43
rillenmanni
Heute bespreche ich mit Geisterjahrmarkt das erste Abenteuer der Dämmerstunden-Anthologie, zu der ich bereits eine einleitende Bewertung abgegeben habe.

In diesem 25-seitigen Abenteuer von Muna Bering und Jan Bratz, die mir schon mit ihrem Abenteuer Drachentöter deutlich positiv aufgefallen waren, bekommen es die Helden an einem schauerlichen Tatort mit einem schier übermächtigen Gegner zu tun, der sich zum Leidwesen der Helden nur allzu ausgiebig mit ihnen befassen möchte. Es wird für erfahrene Helden empfohlen und gibt vor, mit einer für Spieler niedrigen bzw. für den Spielleiter hohen Komplexität aufzuwarten. Das Abenteuer kann in beinahe jeder aventurischen Pampa angesiedelt werden und lässt sich sowohl von der Spieldauer, wie von der gespielten Dauer sehr flexibel einschieben. Der Metaplot muss draußen bleiben.

Ganz wie Rezensent Glgnfz habe auch ich beim Anlesen sofort an das Pathfinder-Modul Jahrmarkt der Tränen denken müssen. Aber um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Hier wurde nicht abgekupfert, lediglich der Schauplatz ist der gleiche. Allein dadurch gibt es eben einen scheinbaren Wiedererkennungseffekt.

Meine ganz persönlichen Glanzlichter

Beim aufmerksamen Lesen des Texts ist mir gleich aufgefallen, dass er sehr informativ ist. Wie in der einleitenden Bewertung angemerkt, stellt das Abenteuer alle relevanten Details dar und ist ohne großartige Vorbereitung zu leiten – einmal gründlich lesen, sich Gedanken über das Verhalten der eigenen Spielrunde machen, und wie die NSC so drauf sind, abschließend einige Notizen machen, und dann ist die Sache gegessen. Schon allein das kratzt an der Aussage der Autoren, das Abenteuer stelle hohe Anforderungen an den Spielleiter. Und ich sehe auch nicht, wo das Abenteuer in seinem Verlauf komplex sein soll! Im Grunde ergibt sich hier alles von selbst, der Schauplatz ist übersichtlich, der SL hat es noch nicht einmal mit einer hohen NSC-Anzahl zu tun. Nein, dies ist eine Fehleinschätzung der Autoren, und ich hoffe, kein suchender Spielleiter lässt sich vorab von ihr vom Abenteuer abhalten.

Die Helden dürfen Puppentheater spielen! Aber dazu erzähle ich mehr weiter unten im Einmachglas.

Weiteres zum Abenteuer

Dieses Abenteuer gängelt … aber das gehört hier tatsächlich dazu, und ist nicht etwa böses Schienenfahren, sondern dem Umstand geschuldet, dass es hier darum geht, dass jemand (der Antagonist) andere (die Helden) gängelt. Aufgabe der Helden ist es, sich aus der Gängelung zu befreien und sie dem Antagonisten quer in den Popo zu stecken. Insofern müssen die Helden gegängelt werden, das gehört hier einfach dazu, sonst wäre die Angelegenheit ziemlich sinnlos. Dies kann sich aber schon zu einem Tanz auf dem Vulkan für den Spielleiter entwickeln, wenn er denn Spieler in der Gruppe hat, die ihren Verstand morgens im Bett vergessen haben. Dies sage ich insbesondere im Wissen darum, welch klassisch rotes Tuch der Antagonist ist.

Ja, der Antagonist. Wir erinnern uns: das Abenteuer ist für erfahrene Helden. Erfahrene Helden, so kommt es ab und an vor, haben durchaus etwas auf der Pfanne und wissen sich zu wehren, insbesondere, wenn ihre Spieler kreativ sind. Da nun aber ein Hauptteil des Abenteuers darin besteht, diese erfahrenen Helden an der kurzen Leine des Antagonisten zu halten, muss dieser über entsprechende Möglichkeiten verfügen. Und das wirkt auf mich ein wenig zu dick aufgetragen. Noch dazu – und das ist wirklich schade – bietet das Abenteuer nur eine einzige Lösung, die (halbwegs erfolgversprechend) darin besteht, eine entscheidende Schwäche des Antagonisten zu finden und auszunutzen. Ich würde daher dringend empfehlen, das Abenteuer auf eine niedrigere Ebene zu hieven: Einsteiger-Helden, die es mit einem machtvollen Gegner zu tun haben, der seine geheime Schwäche hat, jedoch auch auf andere Weise überwunden werden kann, so es die Helden nur geschickt genug anstellen.

Ein Blick ins Einmachglas

Achtung, ab hier verrate ich Abenteuerinhalte!

Zusammenfassung

Der Antagonist ist ein Kobold (siehe WdZ 345f.), der aus persönlichen Gründen einen Hass auf Gaukler hegt. Nun sind Kobolde an sich schon unglaublich mächtig, dieser hier ist aber ungleich mächtiger, eine richtige Oberschnitte, und zwar eine richtig boshafte, die gern andere leiden sieht und dies den Helden auch verdeutlicht. Dieser Kobold kann sogar machen, dass sich andere gegenseitig umbringen. Dies hat er an einer Gauklertruppe durchexerziert und führt nun als neuer Direktor einen Geisterjahrmarkt, auf dem er sich Gefangene hält, die für ihn widerwärtige Kunststücke aufführen müssen. Als nun die Helden auf sein Areal stratzen, weil sie gehört haben, dass hier immer wieder Leute verschwinden, sind sie ihm willkommenes Spielmaterial. Im Nu beginnt er sein perverses Spiel mit ihnen, wobei er seine übrigen Gefangenen als Geiseln und somit weiteres Druckmittel einsetzt. Das ist natürlich von den Autoren geschickt gesetzt, damit sich die Aufmerksamkeit der Spieler nicht allein auf den Antagonisten verengen kann.

Im weiteren Verlauf können die Helden mit den ruhelosen Geistern der toten Gaukler Kontakt aufnehmen, die ihnen den einzigen Weg aufweisen, wie dem Kobold beizukommen ist: Sie kennen dessen Wahren Namen. Sie können diesen den Helden aufgrund gegebener Umstände aber nur indirekt mitteilen, so dass die Helden Gehirnschmalz aufwenden müssen. Und natürlich muss jeder Kontakt mit den Geistern vom Kobold unbemerkt stattfinden, sonst gibt es Saures.

Das Abenteuer erreicht auf die eine oder andere Weise einen Wendepunkt, an dem es zur entscheidenden Auseinandersetzung der Helden mit der faltigen Arschkröte kommt. Und es gilt wirklich: Ohne (ausreichende) Kenntnis des Wahren Namens können die Helden hier einpacken.

Machtgrad und Lösungsweg

Kobold Arschkröte ist quasi allmächtig. Dabei haben die Autoren im Grunde nur die aktuellen Regelgegebenheiten verschärft. Allgemein fallen Kobolde in die klassische Schelmen-Kategorie „Schmerz im Hintern“, und dieser Kobold natürlich ganz besonders. Die Helden können der Missgeburt am Ende zum Glück ordentlich die Fresse polieren, und das ist auch wichtig. Hier haben die Autoren im richtigen Bewusstsein gehandelt, dass nach all der Gängelung das Ventil der Vergeltung weit geöffnet werden muss. Und wehe, ein Spielleiter lässt den Kobold wider alle Spielvernunft „hämisch lachend“ entkommen! ("Die Figur gefällt mir so gut, hihihi!") Jenem Spielleiter würde nämlich ich die Fresse polieren.

Ich hätte eher beim Anforderungsgrad statt erfahren besser Einsteiger ausgewählt und dafür Abstriche bei der Machtfülle des Kobolds gemacht, also zB einen typischen WdZ-Kobold genommen. Die sind schließlich immer noch der Hammer, insbesondere sobald sie, wie unserer hier, von ihrem typischen Kobold-Habitus (i.e. einfach nur ganz schlimm zu nerven) abweichen und dadurch viel mehr Freiheiten haben. Auch bedingt durch die Quasi-Allmacht des Antagonisten existiert letztlich nur ein Lösungsweg: Die Helden brauchen den Wahren Namen bzw. davon so viele Teile wie möglich, oder sie haben im Finale nicht den Hauch einer Chance gegen den noch immer allmächtigen Kobold. Ein weiterer Lösungsweg wäre also angesagt, eine weitere Schwäche des Kobolds die ausgenutzt, eine andere Strategie, die parallel verfolgt werden könnte.

Davon abgesehen muss das Abenteuer leider mit einer Schwäche leben, die ihm von den DSA4-Regelkobolden angehext worden ist: Da dem Kobold dessen Illusionsmagie bis zum Ende zur Verfügung steht, haben die Helden mE sowieso keine Chance gegen ihn. Das Illusionskonzept muss für DSA5 grundlegend überarbeitet werden.

Wahrer Name und Regeln

Der Wahre Name des Kobolds besteht aus fünf Teilen. Jeder Namensteil, den die Helden in Erfahrung bringen und gegen den Kobold einsetzen, schwächt jenen. Das Abenteuer bietet mE gut dargelegte, einfache Regeln zur Darstellung dieser Schwächung des Kobolds. Das finde ich wirklich gut und ist weitab von der klassischen Strategie, den SL zum Handwedeln aufzufordern. Allerdings widerspricht das Abenteuer dann den DSA-Regeln, wenn es den Kobold auch nach Nennung des kompletten Namens noch immer als aktiven Gegner beschreibt, der eben nur deutlich schwächer geworden ist. WdZ sagt hier, dass man Macht über den Kobold hat, dh Kontrolle über ihn ausüben kann. Zum Glück gibt es mE einen einfachen Kniff, mit dem man sowohl den WdZ-Regeln als auch den Abenteuerregeln folgen kann: Vier Teile des Namens sind im Abenteuer als ziemlich eindeutige Begriffe beschrieben, die man aufgrund der Darstellungen der Geister einigermaßen einfach herausfinden kann. Beim fünften Teil, der literarisch anmutet, ist es ein wenig kniffliger, auf das korrekte Wort zu kommen, denn bloße Ähnlichkeit reicht ja nicht. Insofern könnte man setzen, dass die ersten vier Teile den Kobold entsprechend schwächen, während der letzte Teil den Namen komplettiert und den Kobold somit zu einem ganz nach Maßgabe der Helden lallenden Geschöpf macht, das die Helden nach Belieben widergängeln dürfen. Das wäre dann auch eine feine Retourkutsche.

Detailkritikpunkte

Warum greift der Kobold die Helden bei seinem „Wortbruch“ an, um sie festzusetzen? Er beweist das ganze Abenteuer über, dass er effektivere Möglichkeiten hat. Er kann mit den Helden alles machen.

Der Kobold ist bei den von ihm geforderten Darbietungen erstaunlich wenig erfinderisch und wird seinem eigenen Anspruch nicht gerecht. Für ihn scheinen Helden oftmals eher Gladiatoren in einer Arena zu sein, wie die vielen Kämpfe zeigen, statt Opfer willkürlicher und kaum entrinnbarer Quälerei. Das Puppentheater ist hier eine schöne Ausnahme, schon weil sich die Spieler hier austoben können. Ich zumindest würde mich hier austoben, mir sind gleich beim Lesen schauerliche Geschichtchen in den Sinn gekommen.

Unter den Geiseln befindet sich seit sechs Monaten ein Boron-Geweihter. Der wurde für alle Fälle für den Epilog eingebaut, um Tote sicher unter die Erde zu bringen, so die Helden dies nicht vermögen. Davon abgesehen hat er keine weitere Funktion. Mit dem Geweihten haben sich die Autoren allerdings ein dickes Ei gelegt. Denn die Standardliturgie Göttliche Verständigung wird er können und garantiert angewendet haben. Spätestens dann kommt die Boron-Polizei, und vom gegebenen Abenteuerrahmen bleibt nichts mehr übrig noch lange vor Eintreffen der Helden. Man könnte sich natürlich ebenso vorstellen, dass Allmächtige Arschkröte sich mit der Zeit einen Stall aus Boronis und Golgariten hält, aber das wäre dann ein anderes Abenteuer.

Fazit

Auf meiner heißgeliebten Null-bis-Zehn-Skala gebe ich Geisterjahrmarkt 6 buntbemalte Enten des Grauens. Das Formale hat das Abenteuer glänzend gelöst, was ihm kaum hoch genug anzurechnen ist – wie oft haben sich, zumindest bezogen auf meinen SL-Stil Anthologie-Abenteuer als bloße Baustellen erwiesen, in die noch viel Vorbereitungszeit gesteckt werden müsste. Auch den Rahmen finde ich so weit gut abgesteckt, man hätte mE eben nur etwas kleinere Brötchen backen müssen. Inhaltlich hätte ich mir noch bessere Lösungen erwartet. Als Spieler würde mir das Abenteuer auf jeden Fall gefallen, auch wenn es die Völkerverständigung nicht gerade fördert. =) Als Spielleiter schaue ich mich jetzt erst einmal bei den anderen Dämmerstunden-Abenteuern um, ob mich vielleicht eines von ihnen noch vehementer bespringt und auf mir zu meinen Spielern reitet.
28.10.2012, 12:45
E-Mail
Horst der Ork
Gute Rezi, sehr schön zu lesen und informativ. Das mit dem Geweihtentelefon sehe ich gar nicht als so problematisch an — meines Wissens ist das zwar eine häufige Liturgie, aber nicht unbedingt jeder Geweihte hat sie. Oder hat man das inzwischen so geändert, dass jeder Geweihte immer sein Telefon dabei hat?
28.10.2012, 17:28
rillenmanni
Ja, Horst, das stimme ich Dir zu. Der Geweihte muss nicht zwangsläufig diese Liturgie beherrschen, schließlich handelt es sich nicht um einen der Segen. Man muss sich also beim Vorbereiten noch nicht einmal verbiegen, um mit sich selbst auszumachen, dass dieser Geweihte eben kein Telefon hat. Insofern schießt meine Einschätzung, die Autoren hätten sich „ein dickes Ei gelegt“, übers Ziel hinaus. Ich persönlich gehe eben davon aus, dass ein Geweihter von Welt diese absolut nützliche und integre Grad-II-Liturgie beherrscht.
3.11.2012, 12:36
E-Mail – WWW
Jens
Naja Geweihte die in Aventurien groß werden, gehen sicher anders an so etwas heran als die, die in Industroturien in den Weltdeterminismus eingefügt werden ;-)

Das Szenario an sich scheint aber ja doch sehr sehr linear zu sein, was durch die teilweise kreativen Elemente aber wieder ausgeglichen wird. Eine Frage an den Rezensenten mit der goldenen Brille der Superlative (ich finde im Vergleich zu anderen Rezis dieses Szenarios sind hier erstaunlich superlative enthalten ;-) ): Haben diese kreativen Ergüsse der Helden für die spätere Handlung noch Relevanz oder dienen sie der reinen Unterhaltung des SL-Kobolds?
DSA: rillenmanni rezensiert: Geisterjahrmarkt (Blog) {DSA, Dämmerstunden, Rezension}
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