In letzter Zeit ist es jedoch im Tanelorn-Theorie-Forum wieder etwas lauter geworden. Es wurde heiß geredet, ich habe kräftig gerantet und eine Zusammenfassung gemacht. Hier möchte ich auch eine Zusammenfassung schreiben; allerdings kein remake vom Tanelorn-Artikel, sondern ich möchte gezielt auf ein Thema eingehen.
Regeln und Hintergrund
Momentan laufen zwei relativ schwierig zu verstehende Diskussionen zum Thema. Im wesentlichen wird dort beleuchtet, was Regeln und Hintergrund miteinander zu tun haben. Warum ist das interessant?Ganz einfach: Wenn man ein Rollenspiel kauft, dann bekommt man meistens einen Hintergrund und einen Regelsatz. Einige hier sagen jetzt wahrscheinlich: Auf die Regeln kommt es doch nicht so an! Und doch: Regeln tragen erheblich zum Spielgefühl bei. Alleine die Aussage „Maiger können aus folgender Zauberliste auswählen…“ ist doch eine Regel, oder? Anders Beispiel: Wer Engel kennt und mal das Spiel mit Arkana-Karten ausprobiert hat, wird bestätigen, dass sich das völlig anders spielt als z.B. andere Rollenspiele wie DSA oder D&D. Drittes Beispiel: Einer der Macher vom neuen Rolemaster schlug mir vor, DSA doch nach den Rolemaster-Regeln zu spielen, das wäre doch kein Problem. Doch, denn dann passen die ganzen Professionen nicht mehr, die Zauber nicht mehr usw. Darüberhinaus gibt es auch Rollenspiele ohne Hintergrund, ich denke hier an die Core-Rules von D&D, an GURPS, an The Pool oder auch an PtA. Dort entsteht der Hintergrund rein durch die Festlegung der Spieler, aber auch durch die Möglichkeiten, die die Regeln bieten. So wird man mit Standard-D&D-Core-Rules, obwohl sie ohne Hintergrund daherkommen, mit Sicherheit kein Science Fiction spielen. Es wird Elfen, Zwerge und Gnome geben, es gibt Magie und Götter. Das alles bieten die Regeln. Mit PtA kommt wohl kaum jemand auf die Idee, Abenteuer-Rollenspiel zu betreiben, denn es gibt keine Werte für Herausforderungen, sondern die Regeln sind so gestaltet, dass sie sich für dramatische Fernsehserien besonders gut eignen; also für Fernsehserien, bei denen es vielleicht Action gibt, aber bei denen eigentlich die Charaktere im Vordergrund stehen.
Auf der anderen Seite hat der Autor eines Rollenspiels natürlich ein Interesse daran, dass sein Spiel auch mit dem Hintergrund gespielt wird, den er vorgesehen hat. Daher sollte sich ein solcher Autor auch darüber im Klaren sein, dass Regeln und Hintergrund zusammenhängen und dass durch eine Regeländerung irgendwie auch der Hintergrund beeinflusst wird. Nur wie? Und kann man unter diesen Umständen überhaupt sagen, dass eine sind klar „Regeln“ und das andere „Hintergrund“, wo sie doch so eng zusammenhängen?
Die Antwort auf die letzte Frage ist wie so oft ein klares Jein. Es gibt Aussagen, die im wesentlichen „nur“ Regeln sind. Die erkennt man daran, dass sie für sich genommen keine Fiktion erzeugen. Also beispielsweise: „Ein Angriff ist gelungen, wenn der W20 eine Zahl zeigt, die höchstens so groß wie der AT-Wert ist“ oder „Jeder Spieler hat einen Charakter, den er spielt“. Allerdings dienen diese Regeln dazu, während des Spieles Fiktion zu erzeugen: Trifft das Monster? Was macht der Charakter wohl als nächstes?
Auf der krass entgegengesetzten Seite gibts Aussagen wie „Gareth ist die mit Abstand größte Stadt Aventuriens und Hauptstadt des Mittelreiches.“ oder „Elfen sind für gewöhnlich eher schlank und relativ hoch gewachsen, haben spitze Ohren und oft androgyne Gesichtszüge.“ Diese Aussagen erzeugen für sich genommen eine gewisse Vorstellung, während des Spiels kommt aber nichts neues dazu.
Dazwischen liegen dann Aussagen, die sowohl im Vorhinein eine gewissen Vorstellung erzeugen, am Spieltisch dann aber auch noch zusätzlich zur Fiktion beitragen. Beispielsweise „Eine Streitaxt verursacht 2W+2 TP“. Zunächst mal ist dieser Satz für Nicht-Eingeweihte natürlich unverständlich, aber mit Kenntnis der Kampfregeln heißt das soviel wie „Die Streitaxt ist groß und kann böse Wunden reißen“. Aud der anderen Seite wird dann im Spiel gewürfelt und der tatsächlich ausgewürfelte Schaden erzeugt wiederum Fiktion.
Das Verrückte an der ganzen Sache ist jetzt, dass die Fiktion, die durch Regeln entstehen und die Fiktion, die durch den Hintergrund entsteht, erstmal voneinander unabhängig sind. Die Regeln erzeugen was, der Hintergrund beschreibt was, aber das muss nix miteinander zu tun haben.
Nehmen wir als Beispiel Fallschaden bei D&D. Aufgrund der (halbwegs) realistischen D&D-Spielwelten, bei denen es zwar Magie, Götter usw. gibt, jedoch ansonsten die normale Erdphysik gilt, endet ein Sturz aus dem 3. Stockwerk meistens tödlich für einen Menschen. Und da ist es egal, wie trainiert der Mensch ist.
Die Regel sagt jetzt aber:
Zitat von SRD:
The basic rule is simple: 1d6 points of damage per 10 feet fallen, to a maximum of 20d6.
Das bedeutet, ein normaler SC-Barbar-Mensch ohne Konstitutions-Bonus (d.h. noch nicht mal besonders Widerstandsfähig) der ersten Stufe (der hat 12 Hit-Points) überlebt einen Sturz aus 6 Metern Höhe in jedem Fall (denn die HP können durch den Sturz nicht unter 0 fallen), und er wird dabei nur äußerst unwahrscheinlich überhaupt bewusstlos. Und dabei hat der Charakter sich noch nichtmal versucht, irgendwie abzufangen!Vermutlich weil diese Regel sich auf die im Spiel zentralen HP bezieht, wird meiner Erfahrung nach die Vorstellung durch die Regel bestimmt. Vielleicht begreift man beim Lesen der Regel zunächst noch nicht, was das für Auswirkungen auf die Physik der Spielwelt hat und hat Angst um seinen Charakter, wenn er 6m tief fällt. Nachdem man dann aber den Schaden erwürfelt und von den HP abgezogen hat, wird auf einmal klar: Hey, 6m, das ist ja fast nix! (gerade, wenn man in höheren Stufen ist, ist Sturzschaden bei D&D einfach nur albern; es sei denn, die Fallgruben sind sehr tief).
Andererseits gibt es in manchem Spiel eine Aussage wie: Steht dir eine Regel im Weg, so ändere sie ab oder lass sie weg; nur die Fantasie setzt die Grenze! Hier wird man ganz klar aufgefordert, dem Hintergrund und der eigenen Vorstellung den Vorzug über die Regel zu geben.
Hier könnte man auch ein objektives Qualitätsmerkmal für Spielregeln festmachen: Widersprechen die Regeln oft der Vorstellung, so sind die Regeln offensichtlich schlecht. Bei guten Regeln stimmen die beiden erzeugten Fiktionen weitestgehend überein. Hierbei ist noch bemerkenswert, dass die Intention des Autors keine Rolle spielt. Unabhängig von dem, was sich der Autor dabei gedacht hat: Nur die geschriebenen Regeln und der geschriebene Hintergrund (bzw. wie Regeln und Hintergrund verstanden werden) zählen. Je besser also die Beschreibungen sind, umso sicherer wird am Spieltisch auch das am Spieltisch umgesetzt, was der Autor schreibt. Und je besser die Spieltests sind, umso wahrscheinlicher wird auch die Intention umgesetzt.
Fazit: Der Übergang von Regel zu Hintergrund ist fließend. Sowohl Hintergrund als auch Regeln bestimmen letztendlich unabhängig voneinander die Fiktion und sind manchmal sogar widersprüchlich. Wie solche Widersprüche aufgelöst werden, hängt von der Wichtigkeit der Regel und der Spielgruppe ("Stimmungsspieler“ vs. „Abenteuer-Zocker") ab. Dabei wird nicht unbedingt die Intention des Autors umgesetzt.