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RPG allgemein: Regeln und Hintergrund
24.12.2007, 13:07
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Dom
Oft schreibe ich ja über irgendwelche Blogs, teils Deutsch, teils Englisch. Blogs haben leider die Eigenheit, für Diskussionen eher ungeeignet zu sein, da es oft genug keine Zitiermöglichkeit gibt und die Eingabeformulare ein Krampf sind. Ok, es gibt das ein oder andere Blog, das man auch vernünftig bedienen kann… aber zumindest die großen Blogfarmen haben das von mir angesprochene Problem. So kommen kaum Diskussionen auf, ich hatte mich darüber auch schonmal an anderer Stelle beschwert.

In letzter Zeit ist es jedoch im Tanelorn-Theorie-Forum wieder etwas lauter geworden. Es wurde heiß geredet, ich habe kräftig gerantet und eine Zusammenfassung gemacht. Hier möchte ich auch eine Zusammenfassung schreiben; allerdings kein remake vom Tanelorn-Artikel, sondern ich möchte gezielt auf ein Thema eingehen.

Regeln und Hintergrund

Momentan laufen zwei relativ schwierig zu verstehende Diskussionen zum Thema. Im wesentlichen wird dort beleuchtet, was Regeln und Hintergrund miteinander zu tun haben. Warum ist das interessant?

Ganz einfach: Wenn man ein Rollenspiel kauft, dann bekommt man meistens einen Hintergrund und einen Regelsatz. Einige hier sagen jetzt wahrscheinlich: Auf die Regeln kommt es doch nicht so an! Und doch: Regeln tragen erheblich zum Spielgefühl bei. Alleine die Aussage „Maiger können aus folgender Zauberliste auswählen…“ ist doch eine Regel, oder? Anders Beispiel: Wer Engel kennt und mal das Spiel mit Arkana-Karten ausprobiert hat, wird bestätigen, dass sich das völlig anders spielt als z.B. andere Rollenspiele wie DSA oder D&D. Drittes Beispiel: Einer der Macher vom neuen Rolemaster schlug mir vor, DSA doch nach den Rolemaster-Regeln zu spielen, das wäre doch kein Problem. Doch, denn dann passen die ganzen Professionen nicht mehr, die Zauber nicht mehr usw. Darüberhinaus gibt es auch Rollenspiele ohne Hintergrund, ich denke hier an die Core-Rules von D&D, an GURPS, an The Pool oder auch an PtA. Dort entsteht der Hintergrund rein durch die Festlegung der Spieler, aber auch durch die Möglichkeiten, die die Regeln bieten. So wird man mit Standard-D&D-Core-Rules, obwohl sie ohne Hintergrund daherkommen, mit Sicherheit kein Science Fiction spielen. Es wird Elfen, Zwerge und Gnome geben, es gibt Magie und Götter. Das alles bieten die Regeln. Mit PtA kommt wohl kaum jemand auf die Idee, Abenteuer-Rollenspiel zu betreiben, denn es gibt keine Werte für Herausforderungen, sondern die Regeln sind so gestaltet, dass sie sich für dramatische Fernsehserien besonders gut eignen; also für Fernsehserien, bei denen es vielleicht Action gibt, aber bei denen eigentlich die Charaktere im Vordergrund stehen.

Auf der anderen Seite hat der Autor eines Rollenspiels natürlich ein Interesse daran, dass sein Spiel auch mit dem Hintergrund gespielt wird, den er vorgesehen hat. Daher sollte sich ein solcher Autor auch darüber im Klaren sein, dass Regeln und Hintergrund zusammenhängen und dass durch eine Regeländerung irgendwie auch der Hintergrund beeinflusst wird. Nur wie? Und kann man unter diesen Umständen überhaupt sagen, dass eine sind klar „Regeln“ und das andere „Hintergrund“, wo sie doch so eng zusammenhängen?

Die Antwort auf die letzte Frage ist wie so oft ein klares Jein. Es gibt Aussagen, die im wesentlichen „nur“ Regeln sind. Die erkennt man daran, dass sie für sich genommen keine Fiktion erzeugen. Also beispielsweise: „Ein Angriff ist gelungen, wenn der W20 eine Zahl zeigt, die höchstens so groß wie der AT-Wert ist“ oder „Jeder Spieler hat einen Charakter, den er spielt“. Allerdings dienen diese Regeln dazu, während des Spieles Fiktion zu erzeugen: Trifft das Monster? Was macht der Charakter wohl als nächstes?

Auf der krass entgegengesetzten Seite gibts Aussagen wie „Gareth ist die mit Abstand größte Stadt Aventuriens und Hauptstadt des Mittelreiches.“ oder „Elfen sind für gewöhnlich eher schlank und relativ hoch gewachsen, haben spitze Ohren und oft androgyne Gesichtszüge.“ Diese Aussagen erzeugen für sich genommen eine gewisse Vorstellung, während des Spiels kommt aber nichts neues dazu.

Dazwischen liegen dann Aussagen, die sowohl im Vorhinein eine gewissen Vorstellung erzeugen, am Spieltisch dann aber auch noch zusätzlich zur Fiktion beitragen. Beispielsweise „Eine Streitaxt verursacht 2W+2 TP“. Zunächst mal ist dieser Satz für Nicht-Eingeweihte natürlich unverständlich, aber mit Kenntnis der Kampfregeln heißt das soviel wie „Die Streitaxt ist groß und kann böse Wunden reißen“. Aud der anderen Seite wird dann im Spiel gewürfelt und der tatsächlich ausgewürfelte Schaden erzeugt wiederum Fiktion.

Das Verrückte an der ganzen Sache ist jetzt, dass die Fiktion, die durch Regeln entstehen und die Fiktion, die durch den Hintergrund entsteht, erstmal voneinander unabhängig sind. Die Regeln erzeugen was, der Hintergrund beschreibt was, aber das muss nix miteinander zu tun haben.

Nehmen wir als Beispiel Fallschaden bei D&D. Aufgrund der (halbwegs) realistischen D&D-Spielwelten, bei denen es zwar Magie, Götter usw. gibt, jedoch ansonsten die normale Erdphysik gilt, endet ein Sturz aus dem 3. Stockwerk meistens tödlich für einen Menschen. Und da ist es egal, wie trainiert der Mensch ist.

Die Regel sagt jetzt aber:

Zitat von SRD:

The basic rule is simple: 1d6 points of damage per 10 feet fallen, to a maximum of 20d6.
Das bedeutet, ein normaler SC-Barbar-Mensch ohne Konstitutions-Bonus (d.h. noch nicht mal besonders Widerstandsfähig) der ersten Stufe (der hat 12 Hit-Points) überlebt einen Sturz aus 6 Metern Höhe in jedem Fall (denn die HP können durch den Sturz nicht unter 0 fallen), und er wird dabei nur äußerst unwahrscheinlich überhaupt bewusstlos. Und dabei hat der Charakter sich noch nichtmal versucht, irgendwie abzufangen!

Vermutlich weil diese Regel sich auf die im Spiel zentralen HP bezieht, wird meiner Erfahrung nach die Vorstellung durch die Regel bestimmt. Vielleicht begreift man beim Lesen der Regel zunächst noch nicht, was das für Auswirkungen auf die Physik der Spielwelt hat und hat Angst um seinen Charakter, wenn er 6m tief fällt. Nachdem man dann aber den Schaden erwürfelt und von den HP abgezogen hat, wird auf einmal klar: Hey, 6m, das ist ja fast nix! (gerade, wenn man in höheren Stufen ist, ist Sturzschaden bei D&D einfach nur albern; es sei denn, die Fallgruben sind sehr tief).

Andererseits gibt es in manchem Spiel eine Aussage wie: Steht dir eine Regel im Weg, so ändere sie ab oder lass sie weg; nur die Fantasie setzt die Grenze! Hier wird man ganz klar aufgefordert, dem Hintergrund und der eigenen Vorstellung den Vorzug über die Regel zu geben.

Hier könnte man auch ein objektives Qualitätsmerkmal für Spielregeln festmachen: Widersprechen die Regeln oft der Vorstellung, so sind die Regeln offensichtlich schlecht. Bei guten Regeln stimmen die beiden erzeugten Fiktionen weitestgehend überein. Hierbei ist noch bemerkenswert, dass die Intention des Autors keine Rolle spielt. Unabhängig von dem, was sich der Autor dabei gedacht hat: Nur die geschriebenen Regeln und der geschriebene Hintergrund (bzw. wie Regeln und Hintergrund verstanden werden) zählen. Je besser also die Beschreibungen sind, umso sicherer wird am Spieltisch auch das am Spieltisch umgesetzt, was der Autor schreibt. Und je besser die Spieltests sind, umso wahrscheinlicher wird auch die Intention umgesetzt.

Fazit: Der Übergang von Regel zu Hintergrund ist fließend. Sowohl Hintergrund als auch Regeln bestimmen letztendlich unabhängig voneinander die Fiktion und sind manchmal sogar widersprüchlich. Wie solche Widersprüche aufgelöst werden, hängt von der Wichtigkeit der Regel und der Spielgruppe ("Stimmungsspieler“ vs. „Abenteuer-Zocker") ab. Dabei wird nicht unbedingt die Intention des Autors umgesetzt.
25.12.2007, 22:31
Gawain
Moin Dom,

da du nun schon *gequengelt* hast ;) , will ich doch mal eine Antwort schreiben. Leider habe ich gerade nicht viel Zeit, daher wird die Antwort vielleicht nicht wirklich durchdacht ausfallen. Ich hoffe, dass ich in ein paar Tagen nochmal dazu komme etwas Überlegteres zu schreiben. Nach Weihnachten werden hier sicher auch andere ihre Stimme erheben.
Zunächst mal gefällt mir der Text sehr gut. Der Gedanke, dass Regeln und Hintergrund auf ihre Weise zur Fiktion beitragen und sich darin entweder unterstützen oder auch gegenseitig behindern können, finde ich sehr einleuchtend und hilfreich. Diese Vernetzung wird besonders dann interessant, wenn man versuchen möchte Hintergrund A mit Regelwerk B zu versehen.
So nun ein paar Anmerkungen:

1.Am Ende schreibst du, dass die Auflösung der Widersprüche mit der Wichtigkeit der Regel und der Spielgruppe zusammenhängen. Sicherlich richtig, ich würde aber anfügen, dass vermutlich bereits die Wahrnehmung des Konfliktes die Auflösung steuert und das diese Wahrnehmung wiederum stark von der Spielgruppe abhängt-eben ob der Konflikt eher auf der Regelseite oder der Hintergrundseite verortet wird.

2. Die Intention des Autors würde ich komplett streichen, zumindest wenn sie al
s Phänomen daherkommt, das außerhalb des Regeltextes zu suchen ist. Vielleicht spricht hier zu stark der Literaturwissenschaftler in mir, aber ich halte die Intention des Autors für völlig irrelevant. Sie wird nur dann interessant, wenn sie in den Regeln selbst dargelegt oder in Designtagebüchern etc. erläutert wird. Auch dann ist sie nur insofern nützlich, als man besser versteht, was der Autor mit einer Regel erreichen wollte und man somit Widersprüche und deren Ursachen klarer definieren kann. Hinzukommt, dass die Frage, ob die Regeln in der von dir angestrebten Hinsicht funktionieren, mMn stärker von Dingen wie Genre-Konventionen als von der Intention des Autors abhängen.* Kurzum, da die Intention des Autors in den seltensten Fällen für einzelne Regeln glaubhaft auffindbar ist, finde ich ihre Erwähnung in deinem Text nicht hilfreich.
Der Hinweis ist nur insofern interessant, als das es für einen Spieledesigner den Hinweis bietet, dass seine Regeln nicht per se seine Ideen umsetzen und somit Spieltests massiv nötig sind um zu gewährleisten, dass das System auch tut was es soll.

*Hier zeigt sich eventuell ein Problem vielfältiger Settings. Konflikte von Regeln und Hintergrund und der Art und Weise wie beides die Fiktion beeinflusst lassen sich mit Genrekonventionen besser als mit der Intention des Autors erklären. zB Aventurien: Regeln müssen gleichzeitig Kampfstile und Genreeinflüsse bedienen, wie sie sich in Weiden und im lieblichen Feld finden. Was aber gute und die Fiktion unterstützende Regeln für das archaische Weiden sind, sind es noch lange nicht für das Mantel-und-Degen angelehnte LF.

3. Generell ist es schwierig eine Aussage zu treffen, darüber wann die Abhängigkeit von Regeln und Hintergrund so schadhaft zerbrochen wird, dass es nicht mehr funktioniert. Um dein Bsp. aufzugreifen: Ich könnte mir verdammt gut vorstellen mit Rolemaster auf Aventurien zu spielen. Diesen Gedanken habe ich schon seit einigen Jahren und werde ihn hoffentlich bald mal umsetzen können. Für mich leidet der DSA-Hintergrund bei Benutzung der anderen Regeln relativ wenig. Obwohl ich mir bewußt bin, dass viele Dinge dann nicht mehr 1:1 zu finden sind (einzelne Zaubersprüche etc.), sehe ich darin überhaupt kein Problem. Ich kenne aber genügend Leute für die das, wie für dich, anders wäre.
So nun reichts aber. Falls meine Anmerkungen für dich nicht hilfreich sein sollten, würde es mich freuen, wenn du noch einmal etwas genauer definieren könntest in welche Richtung du dir Kritik/Diskussion erhoffst.

Weihnachtliche Grüße
Gawain
zuletzt geändert: 25.12.2007, 22:32
25.12.2007, 23:07
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Dom
Ich erwarte ja nicht unbedingt Kritik; ein „oh, toll, großer Dom“ würde mir ja schon reichen ;)

Nein, im Ernst: Kritik in eine bestimmte Richtung erwarte ich tatsächlich nicht. Eher lockere Ergänzungen, Probleme und Anmerkungen, wie du sie auch genannt hast. Ansonsten ist mir das Weihnachts-Problem auch bewusst… dummerweise ist hier (wie bereits gequengelt) die Krankheit(TM) ausgebrochen und ich hab nix wirklich zu tun, weil ja ansonsten auch relativ wenig los ist.

Zitat:

Sicherlich richtig, ich würde aber anfügen, dass vermutlich bereits die Wahrnehmung des Konfliktes die Auflösung steuert und das diese Wahrnehmung wiederum stark von der Spielgruppe abhängt-eben ob der Konflikt eher auf der Regelseite oder der Hintergrundseite verortet wird.
Das mit der Wahrnehmung hab ich jetzt nicht ganz kapiert. Ich versuchs mal in eigenen Worten: Du meinst, dass es Leute gibt, die, wenn sie auf ein Problem stoßen, dieses auf die Regeln oder auf den Hintergrund schieben? Ist das was anders, als das, was ich geschrieben habe?

Zitat:

Der Hinweis ist nur insofern interessant, als das es für einen Spieledesigner den Hinweis bietet, dass seine Regeln nicht per se seine Ideen umsetzen und somit Spieltests massiv nötig sind um zu gewährleisten, dass das System auch tut was es soll.
Japp, dazu war der Hinweis da. Ich sehe die Sachen ja auch immer aus Designer-Sicht. Dazu kommt: Was für dich als Literaturwissenschaftler offenbar sofort offensichtlich ist, war für mich als Mathematiker einen Gedanken wert und in der Diskussion, der ich diese Zusammenfassung entnommen habe, wurde darüber auch mehr als ein Satz verloren. Ich habe außerdem auch Sätze wie „Der Autor hat sich hierbei bestimmt gedacht, dass das so gemeint ist, wie ich das meine, und nicht so, wie du dir das denkts“ im Kopf.

Zitat:

Für mich leidet der DSA-Hintergrund bei Benutzung der anderen Regeln relativ wenig.
Ha, das will ich sehen, wie du DSA ohne Magie-Regeln spielst, wenn du ein entsprechendes SciFi-Regelwerk benutzt ;)
25.12.2007, 23:23
Gawain
Na dann: oh, toll, großer Dom. ;)

Erstmal gute Besserung an alle Kranken!
Was die Wahrnehmung angeht, meine ich im Prinzip dasselbe. Ich verkompliziere das Ganze nur noch etwas. In deinem Text las es sich für mich folgendermaßen: Wenn es Widersprüche gibt werden sie nach eingehender Betrachtung entweder auf der REgel oder der Hintergrundseite gelöst. Wo genau hängt von der Gruppe ab und von dem was die Gruppe über die Intention des Regelwerks/Hintergrundes annimmt.
Meine Überlegung war, dass die Ausrichtung der Gruppe bereits steuert, wie/auf welcher Seite (Hintergrund/Regel) der Widerspruch gesehen wird. Sprich welcher Teil geändert werden muss, wird in gewisser Weise bereits vor der eingehenden Konfliktbetrachtung bestimmt.
Das ist insofern problematisch, weil der Designer nicht davon ausgehen kann, dass jede Gruppe mögliche Widersprüche genau analysiert und dann den „eigentlichen“ Ursprung abändert.
Im Endeffekt betont meine Sichtweise hier nur noch stärker die Notwendigkeit von eingehenden Tests.

Die entsprechenden Diskussion auf Tanelorn habe ich leider nur mit einem Auge verfolgt. Vielleicht schaffe ich in nächster Zeit eine genauere Lesung und kann dann nochmal Fundierteres schreiben.
@Intention des Autors: Ich finde die Überlegung ja nicht völlig sinnlos, aber eben nur dann sinnvoll, wenn der Autor seine Ziele mit dem Regelwerk explizit definiert. Ansonsten ist es mMn reine Interpretation des Regelwerks und da drängen sich mir Dinge wie Genrekonventionen und verwandte Regelwerke stets eher auf, als die nicht dargelegte Intention des Autors.

@andere Regeln: Ok, dann war dein Bsp. für mich einfach nicht extrem genug. Ich habe zwar schon überlegt mit RM oder SR Regeln DSA zu spielen, mit Blue Planet, Firefly oder Mechwarrior-Regeln fällt mir die Vorstellung dann doch schon schwerer. Point taken!

So viel Text mit nicht viel Inhalt. Aber immerhin hast du eine Beschäftigung ;) Nun muss ich mal weg.
Bis die Tage
Gawain

Edit: Du meinst im Wesentlichen folgende Diskussionen auf tanelorn oder?
http://tanelorn.net/index.php/topic,29809.0.html
http://tanelorn.net/index.php/topic,38381.0.html
zuletzt geändert: 25.12.2007, 23:37
26.12.2007, 09:23
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Dom
@Wahrnehmung/Ausrichtung: ja, ok. So hatte ich das auch gedacht, daher hatte ich „Stimmungsspieler“ vs. „Abenteuer-Zocker“ geschrieben.

@Diskussionen auf Tanelorn: Ja, die meine ich. Ich warne aber jetzt schon vor der Messtheorie-Idee… da bekommt man Knoten ins Hirn ;) Ansonsten ist die Diskussion noch nicht beendet, vielleicht mache ich dazu nochmal eine Ergänzung.
26.12.2007, 14:16
Georgios
Dom, ich würde das Ganze etwas radikaler formulieren. Die Trennung von Regeln und Hintergrund ist hinderlich, sobald man beginnt von der Fiktion und ihrer Entstehung zu sprechen. Unter diesem Gesichtspunkt sind Regeln, Hintergrund und persönliche Vorstellung vollkommen gleichwertig und austauschbar. Sie unterscheiden sich lediglich darin wie sie ausgedrückt werden (Regeln in Vorschriftsform, Hintergrund in Prosa und persönliche Vorstellung oft unverbalisiert). Wobei du natürlich schon aufzeigst, dass selbst diese Unterschiede nicht bindend sind.

Letztendlich findet beim Spielen ein kontinuierliches Abwägen zwischen den verschiedenen Vorgaben statt. Das Spiel wird jedoch sehr statisch und langweilig, wenn man sich dabei auf eine feste Hierarchie stützt. Wenn man immer nur Regeln, Hintergrund oder eigene Vorstellungen den Vorrang gibt, dann fehlt dem Spiel und der Fiktion die Dynamik und die Vielschichtigkeit, die Rollenspiele so spannend machen. Die vermeintlichen 'Widersprüche' die beim Spielen auftreten sind keine Fehler, sondern Situationen in denen das Spiel erst richtig auflebt.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Zielsetzung für das Abwägen nichts mit der Autorintention zu tun hat, sondern allein damit was die Fiktion für die Spieler leisten muss, um spielbar zu sein. Etwas was schnell im Wust von „macht doch was ihr wollt“-SL Tipps verloren geht.
26.12.2007, 18:40
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Dom
Georgios, ich würde die Trennung nur ungern aufgeben, da sie erstmal offensichtlich scheint und ich ja gerade zeige, dass es nicht so einfach ist. Auch die Überlegung, was überhaupt Regel und was Hintergrund ist und woran man das unterscheiden kann, ist in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach erstmal interessant.

Aber ich gebe dir Recht, für die Überlegung, was wann überwiegt, ist diese Überlegung natürlich nicht hilfreich. Trotzdem wäre es vielleicht gut, diesen Aspekt näher zu beleuchten. Du schreibst dazu ja zwei neue Dinge:
- die persönliche Vorstellung siehst du gleichwertig mit Regeln und Hintergrund
- die Widersprüche von Vorstellung, Regeln und Hintergrund lassen das Spiel aufleben

Kannst du den letzten Punkt nochmal näher ausführen? Ich verstehe nicht, warum Nachschlagen im Hintergrundband und den Regeln (um die Widersprüche sauber aufzulösen) das Spiel aufleben lassen? Ich habe es meist als Unterbrechung empfunden.
Oder anders: Wäre es dann nicht sinnvoll, ein möglichst unpassendes Regelwerk zu verwenden, um möglichst viele Widersprüche zu bekommen?
26.12.2007, 21:25
Dr.Boomslang
Die Zusammenfassung der Diskussion ist wie immer sehr gut. Ich sehe da auch meine Gedanken wieder.

@Georgios
Im Prinzip stimmt es natürlich, dass Hintergrund, Regeln und auch persönliche Vorstellung letztlich im Rollenspiel insofern gleichwertig sind, als dass sie alle irgendwie dazu dienen gemeinsame Vorstellung zu schaffen. So hat es Forge ja gemacht.

Die interessante Frage ist aber wie die Übergänge und formalen Unterschiede zwischen diesen Repräsentationen sind und was sich daraus für Konsequenzen für das Spiel ergeben. Für diese Fragen lohnt es sich zu differenzieren.
Man könnte zwar sagen man hat einfach nur unterschiedliche formale Repräsentationen für gleiche Inhalte, aber Form und Inhalt sind eben nicht so einfach voneinander zu trennen wie man das manchmal gerne hätte. Eine Übersetzung ist eben bereits ein kreativer Prozess und kein reines „Umrechnen“.

Ich sehe z.B. in Widersprüchen auch nicht grundsätzlich eine Bereicherung, es kommt darauf an wo diese auftauchen.
Die Widersprüchlichkeit der persönlichen Vorstellungen ist die Bereicherung. Sie ist die treibende Kraft, die dafür sorgt dass die geteilte Vorstellung nachher von jedem einzelnen Beteiligten als etwas wahrgenommen werden kann, was über deren eigene, persönliche Vorstellung hinaus geht.

Die Widersprüchlichkeiten im Werk des Autoren sind hingegen eine mögliche Quelle von Problemen, da das System zwar normalerweise in der Lage ist Konflikte über Fiktion kreativ aufzulösen, aber nicht Konflikte über das System selbst.
27.12.2007, 02:52
Georgios
Eine kurze Ergänzung zum Thema Widersprüche: es sind nicht die Widersprüche, die von Interesse sind sondern die Tatsache, dass sie erfordern zwischen den unterschiedlichen Quellen einen Kompromiss zu finden oder eine Entscheidung zu treffen.

Ein Spiel dessen fiktionsbildende Quellen nie im Widerspruch stehen, ist zwar verlässlich aber auch berechenbar. Wodurch eine große Stärke gegenüber den PC-Rollenspielen und ähnlichem verloren geht.

Die Aufgabe Widersprüche aufzulösen fällt oft allein dem SL zu, aber gerade die Indie-Spiele mit ihren verteilten Erzählrechten haben diesen Aspekt des Rollenspiels auch ausdrücklich den Spielern eröffnet. So lässt sich auch erklären, weshalb so viele Rollenspieler nachdem sie sich mit diesen Indie-Spielen beschäftigt haben, ihre regulären Runden mit anderen Augen sehen und mehr Spielspaß aus ihnen schöpfen können.
28.12.2007, 13:45
Luzifel
Hm… Im Zusammenhang mit StoryDSA oder den Regeln von DSA4 hab ich mich schon oft gefragt ob man das Spielgefühl behalten kann bei dem komplexen Hintergrund der Welt von DSA wenn man andere Regeln dafür verwendet.

Die Regeln von DSA4 zu ändern oder durch andere zu ersetzen hat ja viele gute Gründe — mein wichtigster wäre, dass das Regelsystem nicht leicht zu erlernen ist und sich damit ziemlich anfängerfeindlich darstellen. Der Einstieg in das Rollenspiel und die Welt von DSA wird einem daher durch diese spröden Regeln erschwert. Man muss quasi erst ne Menge lernen bevor sich Spielspaß einstellen kann und gerade das ist ziemlich finster für Rollenspielanfänger.

Andererseits kann ich mir nicht vorstellen wie ein Regelsystem aussehen kann, mit dem man die traditionell große Fülle an beispielsweise Zaubern oder Talenten simulieren kann ohne sich in noch größere Schwierigkeiten und Komplexität zu verstricken…

Irgendwie erinnert mich das mit System und Komplexität gerade an die Systemtheorie von seiner Heiligkeit Luhmann… *grübel* Vielleicht bringt die einen hier ja weiter — ich guck mal wieder in meine Bücher ^^

Grüße, Luzifel…
28.12.2007, 15:09
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Haarald
Die Frage ist ja, wieviel Spielgefühl tatsächlich über eine Regelechanik transportiert wird [1]. Da ich Leute persönlich kenne, die erfolgreich „Aventurien“ d20/Unisystem/GURPS gespielt haben; bzw. spielen, halte ich die Möglichkeit eines Systemwechsels für machbar.

Natürlich gilt hier wie immer, dass man nicht versuchen sollte, erstmal jedes einzelne Subsystem nachzubauen, denn das führt schnell zu Frustration. Vielmehr helfen klare Leitlinien und eine Konstruktion der jeweiligen Gegebenheiten nach Notwendigkeit (wenn keiner einen Nivesen spielt und keine Nivesen vorkommen, muß ich mir keine Gedanken über Nivesen in meinem Aventurien nach anderen Regeln machen). Was es nicht geben wird/kann, ist eine „Reinraumimplementierung“ eines DSA-Systems, dass jeder real existierenden DSA-Gruppe vorgesetzt werden kann, um eine bestehende Kampagne „einfach so“ weiterzuspielen (man denke nur an die Nivesen-Schurken, die auf einmal keine Werte haben …)

Und sollte sich das Spielgefühl durch einen Systemwechsel ändern, muß das nicht schlecht sein. Vielleicht ist genau das der gewünschte Effekt.

[1] Meine Vermutung: Weniger, als gemeinhin angenommen wird.
28.12.2007, 15:10
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Dom
Das Spielgefühl wirst du nicht beibehalten können… es ist ja auch im Laufe der DSA-Geschichte durch die verschiedenen Versionen hindurch nicht gleich geblieben (außer natürlich für die Leute, die die Regeln eh ignoriert haben ). Beispiel: Es wird ja immer mal wieder bemängelt, dass die DSA4-Liturgien zu „spruchartig“ sind.

@Harald: Dass man erfolgreich DSA auch mit anderen Systemen spielen kann ist keine Frage. Aber das Gefühl wird sich ändern, aber im Laufe des Spieles auch das gespielte Spiel anpassen, wodurch es sich dann richtig anfühlt.
zuletzt geändert: 28.12.2007, 15:12
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