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25.5.2007, 20:13
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Dom
So, eigentlich bin ich ja erst am Sonntag dran, aber ich habe gerade was spannendes gelesen. Zunächst die Links zu etwas länglichen Diskussionen:
- http://www.i-would-knife-fight-a-man.com/forum/comments.php?DiscussionID=934
- http://www.i-would-knife-fight-a-man.com/forum/comments.php?DiscussionID=943

Ok, sind keine Blogs… aber wir wollen es mal nicht so genau nehmen ;)

So, worum gehts?

In beiden Diskussionen wird behauptet, den zentralen Kern des Rollenspiels identifiziert zu haben. Bevor ich mich jetzt den beiden Behauptungen zuwende, zunächst mal was „zentraler Kern“ überhaupt heißen soll. Damit ist gemeint, wozu die Regeln eines Rollenspiels überhaupt dienen sollen. Also, wenn ich behaupte, der zentrale Kern des Rollenspiels ist das Essen von Pizza, müssten sich Regeln fürs Rollenspiel grundsätzlich ums Pizza-Essen drehen. Ok, natürlich darf auch was anderes vorkommen (z.B. Würfeln oder Geschichten erzählen), aber im wesentlichen müsste es dann auf Regeln fürs Pizza essen rauslaufen.

Vincent 'lumpley' Baker behauptet nun, der zentrale Kern des Rollenspiels sei die Einigung auf Fiktion. Ben Lehman dagegen sagt, es sei die soziale Interakion. Beide sind nicht wirklich unbekannt in der Szene: Baker ist Autor von Dogs in the Vineyard, Lehman Autor von Polaris. Beides coole Rollenspiele. Beide Autoren sind in Sachen Rollenspieltheorie und -design aktiv.

Was bedeuten nun Vincents Aussage?

Zunächst die Einigung auf die Fiktion. Ich denke diese Aussage ist irgendwie offensichtlich und einleuchtend. Darum gehts doch klarerweise, oder nicht? Wir treffen und zum Rollenspielen, damit Geschichten bzw. allgemeiner Fiktion entsteht. Und diese entsteht wähend des Rollenspiels in allen Köpfen gemeinsam, d.h. wir einigen uns irgendwie auf diese Fiktion. Und die Rollenspiel-Regeln helfen uns dabei.

Beispiel gefällig? Nehmen wir die DSA-Attacke-Regel. Die dient dazu, um zu bestimmen, ob ein Charakter getroffen hat, d.h. wir einigen uns mit Hilfe der Würfel darauf, wie der Kampf weiter verläuft.
Anderes Beispiel: Abenteuerpunkte. Sie helfen uns dabei festzulegen, wie die Protagonisten aussehen. Wenn jemand ein paar APs bekommt ist klar, dass er damit seinen Charakter steigern darf, d.h. die APs helfen uns dabei, die Fähigkeiten der Helden festzulegen … Fiktion.

Aber dann hat doch Ben unrecht, oder?

Ja, jein, nein. Das ist es ja gerade. Ben sagt: Der Kern ist die soziale Interaktion, d.h. die Fiktion und auch die Einigung darauf ist gar nicht so wichtig. Tatsächlich geht es darum, mit seinen Freunden was zu machen, über Geschichte zu diskutieren, eine andere Person anzubaggern oder ihre eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Ok, meistens macht man zusammen Fiktion, schon klar. Aber eigentlich geht es nicht darum.

Um Ben mal zu zitieren:

Zitat von Ben Lehman:

Let's look at role-playing as a social activity, with fiction as something that we do, sometimes, during that social activity.
Und da hat er auch irgendwie recht. Denn es kann ja gut sein, dass man qualitativ hochwertige Fiktion erschafft, das Spiel aber total Kacke war, weil einen die Mitspieler an diesem Abend angekotzt haben. Oder das der Rollenspiel-Abend richtig cool war, obwohl man nicht wirklich viel weiter gekommen ist.

Und jetzt liegt Vincent falsch, oder was?

Hm, ich bin mir da nicht so ganz sicher. Ich persönlich glaube, dass das gemeinsame Schaffen von Fiktion schon das Rollenspiel definiert. Ohne gemeinsame Fiktion kein Rollenspiel. Andererseits gibts auch Fiktion in irgendwelche Diskussionen: „Nun stell dir mal vor, was passiert wäre, wenn die Demonstranten gegen den G8-Gipfel es schaffen, in die Hochsicherheits-Zone vorzudringen.“

Schön fand ich in diesem Zusammenhang den Beitrag von Mendel (#13 in der zweiten Diskussion):

Zitat von Mendel:

I consider the socialization and the fiction to be only loosely distinguishable. Or more accurately, as a continuum. So on one side you have fully social and on the other fully fictional, but nearly everything is a mix of those, with what people do while playing affecting both at once.
Jo, so isses. Allerdings ist dann irgendwie nicht mehr klar, was überhaupt Rollenspiel ist. Das würde dann auf eine Definition rauslaufen, wie: „Rollenspiel ist dann, wenn wir uns alle drauf einigen, dass wir Rollenspielen.“

Ich denke, Rollenspiel ist klarerweise eine soziale Interaktion. Aber eine soziale Interaktion, bei der die Einigung auf Fiktion im Vordergrund steht. Ich persönlich ärgere mich nämlich immer, wenn der Abend zwar lustig war, wir aber irgendwie nicht in der Geschichte weitergekommen sind. Dann war der Abend kein Rollenspiel, sondern eine lustige Runde, die zwar Spaß hatte, aber meine Erwartungen nicht erfüllen konnte. Und mich selber hinsetzten und mir eine Geschichte ausdenken mag ich auch nicht gerne als Alternative. Die Einigung, die ist für mich wichtig.

Dom
25.5.2007, 21:57
Elwin
Deine Gedanken halte ich für den richtigen Weg. Einigung auf die Fiktion ist eine klar ersichtliche Komponente des Rollenspiels, aber soziale Interaktion ist genauso offensichtlich.

Das ganze ist ein logisches Problem. Etwa wie dieses hier:
Some Penguins are old TV shows

Rollenspiel ist soziale Interaktion, aber nicht ausschließlich. Soziale Interaktion in Reinform ist das Gespräch, die Diskussion. Rollenspiel ist auch „Einigung auf die Fiktion“ (eine umständliche Beschreibung, wie ich finde), weil man gemeinsam Fiktion entstehen lässt.
Aber halt: „gemeinsam“? Ist das nicht auch schon wieder „soziale Interaktion“? Schließlich muss man sich einigen, was ich auf jeden Fall als soziale Interaktion bezeichnen würde.

Wer hat nun Recht? Und wie unterscheidet man das Rollenspiel von anderen Diskussionen zum Thema Fiktion (Dein G-8-Gipfel-Beispiel). Oder ist selbiges etwa auch Rollenspiel? „Stell Dir mal vor, was passiert…“, ist das nicht etwa auch schon Rollenspiel?

Ich neige zu der Meinung, dass es noch mindestens ein Charakteristikum braucht, um „Rollenspiel“ so zu definieren, dass einige allgemeine Fälle wie das obige Gedankenspiel klar ausgeschlossen werden. Und ich glaube, dass dieses Charakteristikum aus dem Bereich des „Spiels“ kommen muss. Denn es ist nun mal ein Spiel bzw. „roleplaying GAME“ und das muss auch irgendwie berücksichtigt werden. Mit den bisherigen Charakteristika „soziale Interaktion“ und „Einigung auf die Fiktion“ ist das nämlich noch nicht getan.

Gruß
Chris
25.5.2007, 22:06
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Dom

Zitat:

Rollenspiel ist auch „Einigung auf die Fiktion“ (eine umständliche Beschreibung, wie ich finde), weil man gemeinsam Fiktion entstehen lässt.
Ja, umständlich schon. Aber einfacher geht es mMn nicht, denn es geht ja tatsächlich um das gemeinsame Erstellen. Und wenn man jetzt als zentralen Kern das nimmt, wofür die Regeln sind, dann ist es die Einigung auf die fiktionalen Inhalte.

Das (Gesellschafts-)Spiel muss man zur Definition von Rollenspiel natürlich dazu nehmen, klar. Für die Untersuchung des Kerns braucht man „Game“ aber nicht, denn die Frage ist ja: „Worum geht es eigentlich bei dem Spiel?“, d.h. das Spiel ist schon im Rahmen drin.
25.5.2007, 22:43
Elwin
Dann ist es also eher ein Babuschka-Prinzip. Die äußerste Hülle ist das Spiel. Man nimmt sie ab und guckt, was darunter ist. Das heißt, man betrachten den ominösen „Kern“ im Grunde nur als das zweitwichtigste Charakteristikum, denn das wichtigste ist schon vorher entfernt worden: das Spiel.
Ich meine, klar geht es um ein Spiel, die ganze RPG-Theorie befasst sich mit Spielen, während z.B. die soziale Interaktion nicht notwendigerweise bei allen Spielen dazugehören muss (man kann auch alleine spielen).

Dieser Umstand scheint mir jedoch in den Kommentaren — vor allem in Vincents — zu wenig beachtet zu werden. Um im Bild zu bleiben: Wenn das Rollenspiel ein Turm ist, dann ist das Game der Felsen, auf dem der Turm errichtet worden ist.

Vorbehaltlich der Frage, ob es ein real existierendes Rollenspiel-System für einzelne Spieler gibt, scheint mir Vincent näher dran zu sein als Ben. Mit der „Einigung auf die Fiktion“ ist nämlich die Komponente der „sozialen Interaktion“ durchaus mit abgedeckt, aber nicht notwendigerweise erforderlich. Wenn man alleine spielt, gibt es keine soziale Interaktion, wohl aber eine Einigung auf die Fiktion: Was man selbst beschließt, wird umgehend zum Stand der Dinge.

Gruß
Chris
26.5.2007, 09:33
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Purzel
Ich habe etwas nachgedacht und mir überlegt, ob diese Unterscheidung tatsächlich auch für einen Spiele-Autor wichtig ist. Ob er gezielt Spiele erfinden kann, die entweder das eine oder das andere mehr fördern. Ich setzte mich also vor mein Regal mit Spielen und habe es mal durchgesehen.

Ich denke, es gibt einen Haufen Spiele, die primär die soziale Interaktion zum Ziel haben:
  • Ninja Burgers
  • Paranoia
  • TWERPS
  • Drowning and Falling
  • Risus
  • Die Schlümpfe
Das sind Fun-Rollenspiele, „Beer & Pretzel“-Rollenspiele, wie man im Amerikanischen sagt, die sich selbst nicht besonders ernst nehmen. Sie sind meist recht einfach gestrickt, gut für One-Shots.
Die entstehende Fiktion ist recht beliebig, hat meist die Aufgabe die Leute zum Lachen zu bringen, besonders harte Regeln zum Verhandeln gibt es eher nicht.

Spiele, die sich mehr auf die Fiktion konzentrieren:
  • Das Schwarze Auge
  • Primetime Adventures
  • My Life with Master
  • Unknown Armies
  • World of Darkness
Diese sind besser für langes Kampagnen-Spiel ausgelegt, haben ausgefeilte Hintergründe und komplexere Regeln.
Die Fiktion wird meist durch massiv aufwendige Regeln verhandelt. So sind viele Hintergrundbände nichts weiter als Regeln, die bestimmen, was in die Fiktion kommt. Und Spiele wie PtA oder MLWM haben komplexe Regeln zum Verhandeln der Inhalte, was im Spiel geschehen soll wird viel deutlicher gesteuert.

Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass man mit der „Beer & Pretzel“-Gruppe plötzlich anfängt lange Kampagnen zu spielen und vice versa (da fällt mir spontan meine schreckliche Ex-DSA-Runde ein, die wahrscheinlich noch bis zum heutigen Tag Aventurien mit Beer&Pretzel-Style spielen). Ich denke, hier wird dann das jeweilige Regelsystem den Umständen angepasst und viel gehausregelt.

Ich denke daher, die Unterscheidung ist praktisch sehr nützlich, da eine Gruppe sich hier gezielt ein Spiel aussuchen kann, je nachdem, welcher Aspekt ihnen am Rollenspiel wichtiger ist.
26.5.2007, 22:50
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Purzel
Ist soziale Interaktion nicht schon eine Eigenschaft jeder Art von Spiel, das man mindestens zu zweit betreibt?

Wenn zwei Leute sich gegenüber sitzen und Schach spielen, und dabei miteinander reden oder sonstwie kommunizieren (über die Augen, über die Körpersprache), dann ist das sozial.

Wenn 50 junge Mongolen auf Pferden eine tote Ziege durch die Gegend schleifen, um sie in irgendein Ziel zu werfen, dann ist das sozial — wenn auch eine äusserst ruppige Form der Interaktion ;)

Von daher ist soziale Interaktion nichts, das für das Rollenspiel besonders charakteristisch oder identifizierend wäre. Aber wirklich „Kern des Spiels“?
Ich denke, es gibt viele Freizeitbeschäftigungen (u.a. Spiele, aber auch Sport zum Beispiel), die soziale Interaktion stärker und vielleicht besser ermöglichen als Rollenspiel.

Die soziale Interaktion eines Rollenspiels hat natürlich eine besondere Qualität und spricht uns vielleicht daher mehr an als z.B. Judo, Pferdepolo, Lesezirkel oder Kampftrinken.

Ich denke, die Regeln eines Spiels dienen zunächst direkt erstmal der Schaffung von Fiktion, der besonderen Qualität, die die soziale Interaktion dieses Hobby ausmacht.

Die Regelung von Fiktion ist der direkte Zweck der Regeln. Die soziale Interaktion ist dann der darüberliegende Zweck.

Erst durch die besondere Eigenart/Qualität der Tätigkeit der Fiktionserschaffung ist es möglich, dass sich Leute, die an dieser Tätigkeit besonders gefallen finden (muss ja ne Geschmackssache sein, spielt ja nicht jeder Rollenspiel), dafür zusammenfinden und sozial interagieren.

Die Frage ist mMn nicht was von beiden wichtiger ist, was der Kern ist, sondern es ist eine Frage der Reihenfolge. So ne Art Henne-Ei Problem. Was ist zuerst da: Schaffung von Fiktion oder soziale Interaktion?
zuletzt geändert: 26.5.2007, 23:01
26.5.2007, 23:52
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Dom

Zitat von Purzel:

Die Frage ist mMn nicht was von beiden wichtiger ist, was der Kern ist, sondern es ist eine Frage der Reihenfolge. So ne Art Henne-Ei Problem. Was ist zuerst da: Schaffung von Fiktion oder soziale Interaktion?
Hm, nee. Die Frage in diesem Fall hier ist doch: Wofür muss ich als Designer meine Regeln auslegen? In erster Linie für die soziale Interaktion oder in erster Linie für die Fiktion?

Nehmen wir Schach. Die Schach-Regeln drehen sich mMn nicht wirklich um soziale Interaktion: Es geht einzig um das Spielbrett, das Wort Spieler kommt kaum vor. Schach kann man auch gegeneinander spielen, ohne einen anderen Kommunikationskanal außer dem Schachbrett zu haben.

Nehmen wir Flaschendrehen. Bei diesen Regeln gehts wohl praktisch nur um soziale Interaktion: Die Spieler müssen zwangsläufig anwesend sein, sie müssen miteinander kommunizieren, sie baggern sich an und schauen, wer wie weit geht und ob sie ihre Grenzen überschreiten.

Dom
27.5.2007, 09:47
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Purzel

Zitat von Dom:

Wofür muss ich als Designer meine Regeln auslegen?
Ich denke, man muss die Regeln zuvörderst für die Fiktion auslegen.

Auch bei einem Rollenspiel, das primär für eine sorgenfreie, zurückgelehnte, sozial stark betonte Spielweise gedacht ist (B&P, die Beer & Pretzels Marke), muss mindestens eine bestimmte Art von Fiktion vorhanden sein. Geben die fiktionsschaffenden Regeln keine Geschichte der entsprechenden Stimmung her, dann wird das Spiel abgebrochen, weil sich die Leute, die eigentlich was anderes erwarteten, sich langweilen oder frustriert sind.

z.B. Ninja Burger würde nicht so gut klappen, wenn die Regeln versuchen würden eine realistische^(TM) Athmosphäre zu schaffen. Oder wenn man den Abschnitt weglassen würde, dass Kunden keinesfalls getötet werden dürfen, dann wäre die entstehende Fiktion so unsinnig, dass es keiner mehr spielen wollte.
28.5.2007, 16:51
Georgios
Ich würde Interaktion auf keinen Fall mit „beer&pretzel“ zusammenlegen. Auch sind Gewichtung auf Interaktion oder Fiktionsverhandlung nicht am Spiel festzumachen, wie ich finde, sondern liegen allein an den Interessen der Spieler bzw. den Vorlieben der Gruppe.

Ich selbst habe meist wenig Interesse an der Fiktion. Dogs in the Vineyard hat mir nicht wegen der Westerngeschichten mit unvorhersehbaren Gewalttaten gefallen, sondern weil die Interaktion zwischen den Spielern durch die Fiktion so interessant aufgeladen war. Das Spiel würde mir genausogut mit Star Trek Mod, Jedi Mod oder 1930er Mafia Mod gefallen. Anderen geht es womöglich sehr viel stärker um das Erschaffen oder Geniessen einer ganz bestimmten Fiktion.

PtA ist, denke ich, ein sehr gutes Beispiel für das was ich meine. Es erlaubt sowohl den Interaktionsfreunden (wie mir) als auch den Fiktionsenthusiasten das Spiel in die eine oder andere Richtung zu verlagern, ohne dabei das Spiel dabei neu auszulegen. Der Text benachteiligt weder den einen noch den anderen Ansatz. Das ist weniger Ei-und-Henne Problem, als eine nicht weiter ergründbare Entscheidung der Gruppe.
28.5.2007, 17:52
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Purzel
@ Georgios:
Nicht weiter ergründbar? Wie schade. :-)

Beer&Pretzels erwähnte ich nur als Beispiel für eine Art von Spielen und Spielrunden, die einen besonderen Fokus auf bestimmte Art der Interaktion legen. B&P ist einfach nur eine Art, der ich besonders häufig begegnet bin.
  • Quatsch machen und sich schlapp lachen, dabei Sushi essen und Sake trinken
  • Diskussionen über ein zwiespältiges Thema führen
  • in Immersionen einen Charakter durchleben, so zu sprechen und sich so zu benehmen (auch wenn dabei die Story garnicht voran kommt)
  • Unterhaltungen über mittelalterliche Belagerungstechnik oder echte reale Schusswaffen
… könnte ich mir alle als Fokus von Spielern oder ganzen Spielrunden vorstellen, die ausserhalb der Fiktion stattfinden.

Aber ich denke schon, dass man mit den Regeln steuern kann, welche Art von Interaktion bei einem Spiel rauskommt.

Natürlich kann eine bestimmte Runde auch Interaktion hervorbringen, die der Spiele-Autor nicht im Sinn hatte, aber
z.B. bei Ninja Burgers dürften die meisten Leute sich die Schenkel klopfen und Klischees aus allen möglichen Kung Fu Filmen einbringen und sie werden mit den Armen fuchteln.
Bei Dogs dürfte immer eine aufgeladene Athmosphäre entstehen, weil die Spieler von den NSCs in der Stadt unter Druck gesetzt werden, aber die Spieler werden wohl kaum auf die Idee kommen und Spagetti-Western oder Lucky Luke Comics imitieren wollen.
28.5.2007, 18:06
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Dom
@Georgios: Du sagst, dir kommt es nicht so auf die Fiktion an; sie ist ersetzbar. Könntest du sie auch weglassen?

Dom
28.5.2007, 23:10
Georgios
@Dom:
Weglassen? Auf keinen Fall. Sie ist jedoch für mich dahingehend austauschbar, als das sie der Interaktion lediglich einen anderen Ausdruck verleiht. Am Reiz des Rollenspiels (der Interaktion) ändert sie für mich nichts Grundlegendes. Ein Westernrollenspiel sehe ich nicht als grundlegend anders als ein Science-Fiction-Rollenspiel. Iron Heroes ist dahingehend für mich mit Star Wars vergleichbar. Einzelne Regeln mögen sich unterscheiden, aber die Art der Interaktion zwischen den Spielern verändert sich kaum. Zwischen Dogs in the Vineyard und Deadlands hingegen sehe ich einen himmelweiten Unterschied. Selbst wenn die Art der Fiktion recht ähnlich ist, interagiert man gänzlich anders miteinander.

@Purzel:
Nagut, solltest du dann nicht auch nur von einer bestimmten Art der Fiktionsverhandlung sprechen, z.B. heroische Fantasy á la Tolkien? Denn so bekommt man den Eindruck dass es „beer&pretzel“-Interaktion gibt und in der anderen Ecke eine nahezu endlose Bandbreite an Fiktion. Mehr noch, dass die Fülle an unterschiedlicher Fiktion erst unterschiedliche Interaktion ermöglicht. Das halte ich jedoch für falsch. Vielmehr ist es so, dass ein Spieler — je nach frei gewählter Vorliebe — das Rollenspiel über die Fiktion oder über die Interaktion für sich definiert und damit auch so wahrnimmt. Daher auch „nicht weiter ergründbar“: es ist eine völlig individuelle Entscheidung.

(Am Rande: ich halte es für müssig sich über den „Kern“ eines Rollenspiels Gedanken zu machen. Man muss dabei dermassen stark abstrahieren, das weder Rollenspielautoren noch Rollenspieler damit irgendetwas anfangen können. Es ist ein nettes Gedankenexperiment, dessen Nutzen ich für sehr begrenzt halte. Dann lieber konkrete Rollenspieltexte oder Spielerinteressen betrachten.)
28.5.2007, 23:39
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Purzel
@ Georgios:
Das ist der „Kern des Rollenspiels aus der Sicht eines Spielers“. Ich denke, da hast du Recht, wenn du sagst, dass das individuell verschieden ist. Damit ist diese Sichtweise auf das Problem soweit komplett abgeschlossen.

@ Alle:
In den oben genannten Diskussionen hingegen ging es um die Existenz eines wesentlich allgemeineren „Kerns“. Hat dazu noch jemand was zu sagen?

Mein Standpunkt dazu war ja, dass soziale Interaktion und Fiktion miteinander sehr verwoben sind, aber dass mMn die Fiktion bildlich zugleich das Brennholz und der Zündfunke eines jeden Rollenspielabends ist. Und dass erst die verlockende Aussicht auf einen grossen Haufen des richtigen Holzes die Leute zusammen an den Tisch bringt.
29.5.2007, 00:17
Georgios
Welche andere Sichtweise auf den Kern des Rollenspiels gibt es denn noch außer die der Spielenden? Was soll das denn für ein „wesentlich allgemeinerer“ Kern des Rollenspiels sein? Wie bildet sich dieser Kern, wenn nicht durch die Handlungen und damit auch durch die Sichtweise der Spielenden?

Du räumst der Fiktion einen großen Stellenwert beim Rollenspiel ein; daher auch deine Sichtweise das die Fiktion „Brennholz und Zündfunke“ für das Rollenspiel ist. Ich sehe das genau umgekehrt. Für mich ist die Aussicht auf eine bestimmte Form der Interaktion bei weitem verlockender als eine bestimmte Fiktion. Ich spiele (mit vielleicht einer einzigen Ausnahme) kein Rollenspiel wegen des Hintergrundes oder wegen der Fiktion.


29.5.2007, 08:38
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Purzel
Klar muss die Betrachtung die Spieler einbeziehen. Allgemeiner wäre es, wenn man statt nur darüber nachzudenken, was nicht nur ein einzelner Spieler macht, sondern was nun eine bestimmte Gruppe von Individuen in einem Spiel treibt und wieso.

Und vielleicht noch einen Schritt zurück zu gehen und die Beobachtungen mehrerer Spielabende zusammenzufassen und zu überlegen, was nun der Kern des Rollenspiels dieser Gruppe ist.

Oder noch weiter, man versucht die Erfahrungen mit unterschiedlichen, wechselnden Gruppen auf einen Nenner zu bringen und herauszufinden, was allen gemein ist.

Ich räume der Fiktion nicht deswegen einen grossen Stellenwert ein, weil ich besonders auf Fiktion stehe. Man hat mir nicht im GroFaFo den Beinamen „Spielt jeden Scheiss!“ gegeben, weil ich besonders zimperlich oder wählerisch wäre ;-)

Fiktion scheint mir der allgemein wichtigere Teil zu sein, weil es mir einfach schlüssiger erscheint:
  • Jedes Spiel beginnt mit der Fiktion
  • Die entstehende Fiktion fördert eine bestimmte Form der Interaktion und löst diese im Spiel aus
  • Aber umgekehrt sind beliebige Interaktionen nicht unbedingt zur Fiktion kompatibel

Es ist wichtiger eine Regel zu haben, die einem Spieler erlaubt eine ziemlich coole und gewagte Aktion mit seinem SC zu machen, als in das Regelwerk zu schreiben, dass wenn so eine coole Aktion stattfindet, dass man dann dem Mann (oder der Frau) anerkennend zugrunzen und ihm die Tüte mit den Chips reichen soll.
zuletzt geändert: 29.5.2007, 08:42
29.5.2007, 09:22
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Purzel
Hmm, ich versuche mir gerade ein Extrembeispiel vorzustellen, was bei einer Runde passiert, deren benutzten Spielregeln eine eigentlich langweilige, bizarre oder widersprüchliche Fiktion vorgibt (landläufig auch bekannt als „schlechtes System“ oder „Für diese Gruppe das falsche System"), die aber irgendwas mit ihrem System anstellen, dass sie trotzdem Spass und Interaktion haben.

Mehr dazu später, wenn ich fertig nachgedacht habe.
zuletzt geändert: 29.5.2007, 09:25
29.5.2007, 11:12
Georgios
@Purzel

Du scheinst hier die Creative Agenda der Forge neu greifen zu wollen. Bedenke aber, dass diese häufig wegen ihrer äußerst vagen Formulierung und Abstraktheit, die sehr viel Raum zur Variation ließ, kritisiert wurde und deshalb von vielen nicht mehr ernsthaft gebraucht wird. Siehst du da noch Potential?

Was den Stellenwert der Fiktion angeht, so muss ich dir in jedem deiner Punkte widersprechen. Spiele müssen nicht mit der Fiktion beginnen. Viele Forge-Spiele, aber auch einige D&D-Runden, bilden die Fiktion aus der (reglementierten) Interaktion heraus. Für mich gilt das für beinahe jedes Spiel, das ich spiele.

Die Fiktion bestimmt auch nur dann die Interaktion, wenn das von der Gruppe so gewollt ist. Wer der Fiktion großen Stellenwert einräumt, der wird sich an sie halten und die eigene Handlungen daran anpassen. Diese Einstellung ist jedoch nicht zwingend. Der Begriff Munchkin (oder die abfällige Deutung von Powergamer) kommt nicht von irgendwoher.

Selbstverständlich sind beliebige Interaktionen zur Fiktion kompatibel. Oder denkst du, dass jedes Kaufabenteuer, in der gleichen Art der Interaktion resultiert?

Warum lehnst du die Vorstellung ab, dass Interaktion genauso zentral für das Spiel sein kann, wie du die Fiktion siehst?
29.5.2007, 12:21
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Purzel
Verdammtes Henne-Ei-Problem! Irgendwie hast du auch recht. Bleibt wirklich nur der Rückzug auf die Aussage:

„Allgemein spielen soziale Interaktion und Einigung auf die Fiktion beide eine gleich wichtige Rolle; ausser man betrachtet das einzelne spielende Individuum, wo man eine deutliche Präferenz vorfinden kann“

???

Ist dann die Unterscheidung zwischen Regeln, die soziale Interaktion fördern oder die Einigung auf Fiktion erleichtern, für jeden, der Regeln macht (RPG-Autor, Abenteuer-Autor, Hausregler und Regelimprovisierer) völlig nutzlos?

Ich diskutiere hier, weil ich mich ungerne mit Aussagen zufrieden gebe wie „das ist von Fall zu Fall unterschiedlich“ oder „das ist nicht ergründbar“ oder „ein eindeutiges klares JEIN“.
Ich habe mir absichtlich die Position „Fiktion steht über Interaktion“ zu eigen gemacht (obwohl ich mich wahrscheinlich im Spiel selbst mehr auf interessante Interaktionen einlasse und mich weniger an der Fiktion festbeisse), um zu sehen, wie weit ich damit komme und welche Gegenpositionen eingenommen werden. Ich habe nicht erwartet die Diskussion zu gewinnen, noch einen Blumentopf dafür zu bekommen — allerhöchstens würde mein Horizont erweitert.

Genausogut hätte ich auch „Interaktion steht über Fiktion“ machen können. Allerdings konnte ich mir die andere Position etwas besser vorstellen: immerhin ist Einigung auf Fiktion ein identifizierende Merkmal, das RPGs von anderen Spielen unterscheidet, während soziale Interaktion auch in anderen Spielen oder Beschäftigungen vorkommt.

Bisher ist aber keine der beiden gegensätzlichen Positionen das Gelbe vom Ei. So muss ich wohl oder übel hinnehmen, dass es hier einen Graubereich gibt, den man nicht allgemein nutzen kann. Die Frage, was nun der Kern des Rollenspiels ist, taugt nicht viel für jemanden, der Regeln macht oder über den Sinn und Zweck von Regeln nachdenkt.
29.5.2007, 14:20
Georgios
Ich diskutiere hier, weil ich mich ungerne mit Aussagen zufrieden gebe wie „das ist von Fall zu Fall unterschiedlich” oder „das ist nicht ergründbar” oder „ein eindeutiges klares JEIN”.

Ich denke du übersiehst da was. Fiktion oder Interaktion ist weniger eine Frage auf die es keine eindeutige Antwort gibt, als eine grundlegende Entscheidung, die die Betrachtungsweise auf Regeln, Spiel und Gruppendynamik maßgeblich beeinflußt. Je nach Gewichtung gelten andere Maßstäbe und es werden unterschiedliche Aspekte des Spiels hervorgehoben oder nach hinten gestellt.

Man muss diese Entscheidung treffen um Rollenspiel zu begreifen und macht in der Regel Fiktion oder Interaktion fortan zur Grundlage des gesamten Hobbies. Ich denke, dass diese Unterscheidung auf ähnlicher Ebene existiert wie die Creative Agendas der Forge, aber wohl besser auf die deutsche Rollenspiellandschaft passt. Denn ich würde die zwei einflußreichsten Rollenspiele auf genau diese Unterscheidungen hinarbeiten sehen.

DSA stellt eher die Fiktion nach vorne. Shadowrun eher die Interaktion. D&D ist ein Zwischending, dass je nach Edition zum einen oder anderen tendiert.
29.5.2007, 14:39
Purzel
Ich stimme überein, dass DSA sehr auf Fiktion abfährt. Allerdings kenne ich SR nur eher notdürftig, weder von den aktuellen Regeln her, noch ist meine letzte SR-Spielerfahrung besonders frisch.

Was macht SR so interaktionär?
29.5.2007, 15:34
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Dom
Die Nähe zu den CAs ist mir ganz am Anfang auch mal aufgefallen… die sind von der Definition her ähnlich schwierig. Ich hatte auch mal drüber nachgedacht, ob nicht NAR="Interkation steht im Vordergrund“ gilt und SIM="Fiktion steht im Vordergrund“. GAM wäre dann ungeklärt; ist vielleicht der ungeklärte Status von D&D und die Frage, auf welcher Ebene der Wettbewerb im Wesentlichen stattfindet.

Dom

EDIT: Spontane Korrektur: Es gilt eher NAR=>Interaktion und SIM=>Fiktion. Die Umkehrung ist nicht zwingend. Wenn man andersrum auf die Sache schaut, kann man vielleicht neue CAs finden: Interaktion=>{NAR, iGAM}, Fiktion=>{SIM, fGAM}, wobei iGAM ein Wettbewerb zwischen den Spielern beschreibt, fGAM dagegen ein Wettbewerb der Charaktere gegen die Fiktion. Führt das weiter?
zuletzt geändert: 29.5.2007, 15:44
29.5.2007, 18:51
Georgios
@Purzel

Ich denke die Missionstruktur von SR und die damit eingehenden Sieg- und Niederlagebedingung legen eine Gewichtung auf Interaktion sehr nahe. SR hat weit mehr klassischen Spielcharakter als es DSA mMn hat. Allerdings hält sich meine Erfahrung mit DSA in Grenzen. Wenn jemand mit mehr DSA-Erfahrung das Spiel vollkommen anders wahrgenommen hat, dann würde ich meine Sichtweise nicht auf Teufel komm raus verteidigen wollen.

(Aber auch hier natürlich die Einschränkung, dass die Gruppe in der Regel selbst diese Gewichtung ausübt und das Regelwerk bestenfalls suggerieren oder empfehlen kann.)

@Dom

Ich würde Parallelen zu den CAs eher vermeiden. Ich denke die Unterscheidung hier ist nur im Geiste mit CAs verwandt, wenn wir versuchen CAs und Fiktion/Interaktion zu vereinbaren, dann wird das mehr schaden als nutzen.
29.5.2007, 19:26
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Purzel
Ich warf bezüglich Interaktion und Fiktion einen Blick in die alten Forge-Artikel über NAR und SIM ("Story Now“ und „The Right to Dream") und habe erstaunlich schnell Textstellen gefunden, die Doms Interpretation stützen würden.

Allerdings will niemand mehr ernsthaft über CAs sprechen.

Ich für meinen Teil werde die Idee im Hinterkopf behalten.

@ SR:

Ein Kumpel von mir spielt relativ häufig Shadowrun, und wenn ich den über seine Runden reden höre, dann habe ich mehr den Eindruck von Storytelling als von „klassischen Charakter“.
zuletzt geändert: 29.5.2007, 19:29
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