Achja, wenn ich im folgenden von großen Systemen rede, meine ich damit solche mit Grundregelwerk und einem Haufen Module: Weltbeschreibungen, Abenteuer, Splatbooks usw. Am bekanntesten sind wohl DSA und D&D, aber auch Shadowrun, Degenesis und Spherechild gehören in dieselbe Liga.
Zunächst zu Fertigkeiten. Fähigkeiten, Talente oder wie auch immer. Man hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten: a) mit Fertigkeitenliste, b) ohne Fertigkeitenliste. Praktisch alle großen Systeme haben eine Fertigkeitenliste. Aber es gibt auch einen Haufen kleiner Systeme, die zeigen, dass es auch ohne geht. Aber wenn es die großen Systeme alle haben, muss es doch unschlagbare Vorteile geben, oder?
Mal überlegen und beim Junkyard abschreiben.
a) Fertigkeitenlisten geben den Spielern Hilfen bei der Charaktererschaffung. Dadurch geht es schneller, weil man sich nicht selber was ausdenken muss sondern nachschauen kann.
b) Sie lenken den Spielfokus in die gewünschte Richtung. Wenn es „Meuchelmorden“ gibt, wird es wohl auch Meuchelmörder als Charaktere geben.
c) Genauso wird man mit vorgegeben Fertigkeitslisten auch Nischenschutz betrieben, weil sich die Gruppe überlegt, insgesamt die vorgegebene Bandbreite abzudecken.
d) Der Fokus des Spiels kann gelenkt werden. Wenn es eine große Bandbreite in Kampf-Fertigkeiten gibt, mit Spezialisierungen usw., so beschäftigen sich die Spieler auch leicht mit diesem Thema.
e) Es gibt eine gemeinsame Basis, d.h. Autoren von Modulen können sich auf die Liste beziehen und bestimmte Fertigkeiten nutzen.
f) Zuletzt geben sie auch Anregungen für Charakterideen: „Wow, cool, Töpfern. Auf die Idee wäre ich ja nie gekommen.“
Aber es gibt auch Vorteile von Spielen ohne eine Fertigkeitsliste.
g) Spieler werden nicht in der Wahl ihrer Charaktrere eingeschränkt.
h) Spieler können einfacher Flaggen hissen und zeigen, was sie vom Spiel erwarten.
i) Der Spielfokus ist frei wählbar.
j) Das Regelbuch ist kürzer.
Ich glaube ja, dass vor allem e) und b) den Ausschlag dafür geben, dass Rollenspiele wie D&D, DSA usw. fest vorgegebene Fertigkeitslisten gibt. Dagegen sprechen i) und j) aus der Sicht von kleinen Rollenspielen vor allem gegen feste Fertigkeitslisten.
Interessant finde ich darüber hinaus noch folgende Frage: Gibt es Beschreibungen, was man mit den Fertigkeiten anfangen kann?
Klar, dabei denkt zunächst jeder an eine feste Fertigkeitsliste. Gibt es Beschreibungen zu den Fertigkeiten, so spricht auch das für a)-f); gibt es keine Beschreibung, so geht das in Richtung g)-j). Gemeinsame, klare Basis aller Spieler des Systems gegen Flexibilität und Verhandlungen am Spieltisch. Außerdem kommen durch ausgefeilte Beschreibungen oft spezielle Regeln ins Spiel, die dann am Spieltisch den Spielfluss bremsen.
Interessant finde ich aber die Möglichkeit, von den Spielern zu verlangen, ihre selbst ausgedachten Fertigkeiten näher zu definieren. Keine Ahnung, ob das gut klappt, ich kenne das von keinem Spiel. Vorteil wäre, dass es im Spiel dann seltener Diskussionen über die Anwendbarkeit gibt, da die Fertigkeit ja definiert und beschrieben ist. Auch hier kann natürlich durch zusätzliche Regeln das ganze System verkompliziert werden. Und die Charaktererschaffung wird gebremst, da jeder Spieler die Fertigkeiten nicht nur wählen, sondern auch definieren muss. Aber ansonsten schlagen selbst beschriebene Fertigkeiten nochmals in Richtung g)-j).
Im Spiel selbst werden Fertigkeiten häufig verbessert. Entweder „fließend“ in kleinen Schritten, etwa durch den Zukauf von einzelnen Punkten. Oder im Wortsinn stufenweise nach einer bestimmten Spielzeit. Aber bei praktisch allen Spielen mit einer mechanischen Entwicklung handelt es sich um eine Verbesserung des Charakters. Auch bei Spielen wie Dogs in the Vineyard: Hier können zwar auch schlechte Eigenschaften dazu kommen, dennoch sind es mechanische Verbesserungen, weil man Würfel dazu bekommt, die man im Konflikt für sich einsetzen kann.
Aber wozu dient die Steigerei überhaupt? Auch hier kann man wieder sehen, dass alle großen Systeme damit aufwarten – viele kleine aber auch (sogar The Pool und Risus). Aus Designersicht dient Steigerung dazu, das Spiel interessant zu halten. Neue Optionen eröffnen sich, der SL kann bzw. muss die Inhalte variieren, der Spieler bekommt neue mechanische Möglichkeiten. Aber auch im Spiel ändert sich was: Der Charakter lernt etwas hinzu und kann z.B. seinen Erzfeind überflügeln. Letztendlich kommen nur kurze Spiele ohne Steigerung aus. Insbesondere die großen Systeme wollen die Spieler natürlich langfristig binden und haben daher eine flache Steigerungskurve, so dass die Spieler lange mit einem Charakter beschäftigt sind. Das geht meist mit ausführlichen mechanischen Charaktererschaffungen einher.
Schwierigkeiten bei der Steigerung sind auch hinreichend bekannt: Das Spielgleichgewicht geht leicht verloren. Hat man als Designer das Gleichgewicht bei frisch erschaffenen Charakteren noch relativ gut im Griff, wackelt das nach ein paar Steigerungen gehörig. Und das umso mehr, je größer die Freiheiten bei der Steigerung sind. Hier sieht man den Vorteil von der Stufen-Steigerung: Es gibt meist strenge Vorgaben, was wie gesteigert werden kann. Hier kann ein Designer relativ gut steuern, so dass auch in höheren Levels das Balancing nicht verloren geht. Dass das aber selbst beim Primus D&D nicht der Fall ist, kann man gerade wieder in einem Thread im Tanelorn nachlesen. (Warum Balancing nicht total überschätzt wird, schreibe ich noch mal was zu.)
Und hier sind wir schon wieder am Berühr- und Überlappungspunkt vorbeigeschlittert, denn Alkohol und Sex haben doch was miteinander zu tun. Also, stellen wir uns die Frage: Wie wirkt sich die unterschiedliche Struktur der Fertigkeiten auf die Steigerung aus?
Vorgegebene Fertigkeiten erlauben dem Designer, bei der Steigerung eine recht gute Kontrolle. Insbesondere, wenn es zu jeder Fertigkeit ausführliche Beschreibungen und Sonderregelungen gibt. Denn dann ist es möglich, an jeder Stelle regelnd einzugreifen. In Kombination mit Stufenaufstieg und entsprechenden Regelungen kann man relativ gut abschätzen, was ein Charakter kann und was nicht. Bei frei wählbaren Fertigkeiten ist das natürlich nicht möglich. Da ich nicht weiß, was sich der Spieler ausdenkt, gerät das Ganze leicht aus dem Gleichgewicht – oder endet im Powertelling. Das heißt, das System erlaubt den Spielern, ihre Fertigkeiten an allen möglichen Stellen einzubringen, wenn sie es glaubhaft rüberbringen. DitV ist dafür so ein Kandidat. Das Balancing ist gegeben, weil die Regeln alles irgendwie gleich machen; egal ob mein Hund nun Backen oder Schießen kann. Aber man muss die Dinge einbringen. Und das führt zur absurden Idee, einen Backofen mit Schießpulver zu erhitzen.
Interessant ist jetzt wieder die Frage, wie es in einem System ist, bei dem die Spieler ihren frei wählbaren Fertigkeiten explizite Beschreibungen zur Anwendung geben müssen. Kann man dann sowas wie ein Stufensystem und Balancing aufrecht erhalten? Irgendwie führt das zu einem Meta-RPG :)