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30.10.2012, 21:14
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Dom
Moin.

Diesmal möchte ich über Dimensionen schreiben. Warum? Weil ich in letzter Zeit häufiger mal was von wegen „aus einer anderen Dimension“, „Dimensionsreisende“ oder ähnliche Formulierungen gehört und gelesen habe. (Und mich macht das irgendwie total fertig.)

Was mit der Formulierung gemeint ist, ist recht einfach: Irgendwelche anderen, geheimnisvolle Welten, die in gewisser Weise „parallel“ zu unserer liegen. Hinter einer Art Wand, gar nicht so weit weg, und doch unerreichbar. Dimensionstore sind ein möglicher Reiseweg. Tatsächlich sind die Formulierungen aber in etwa so sinnlos, als würde man sagen, der Reisende stamme aus einer anderen Analyse. Denn eine Dimension ist keinesfalls etwas, was man betreten kann oder in dem man verschwinden kann. Denn eine Dimension ist kein Raum oder ähnliches. Wenn ich so etwas beschreiben wollen würde, beinhalteten meine Formulierung wahrscheinlich „Parallelwelt“, „Spiegeluniversum“ oder „Ebene“. Und hier will ich erklären, wieso.

Was ist eine Dimension? Wikipedia zählt neben Eigennamen (Band, Filmstudio) im wesentlichen zwei Möglichkeiten auf: Erstens in Bezug auf ein Größensystem und zweitens eine Anzahl an Freiheitsgraden. Schauen wir uns beides mal an.

Ein Größensystem besteht aus irgendwelchen Größen und zugehörigen Dimensionen. Grob kann man sagen: Jede Größe, die man in einer Einheit misst, hat eine Dimension. Dabei beschreiben unterschiedliche (Maß-)Einheiten eventuell dieselbe Dimension. Beispielsweise sind Meter und Meile zwei Einheiten derselben Dimension, nämlich „Länge“.

Das mit den Freiheitsgraden ist etwas schwieriger, ist aber eng mit den Größensystemen verwandt. Misst man unterschiedliche Größen einer Sache, so kann man diese der Sache zuordnen. So kann ich beispielsweise von Leuten Größe und Gewicht messen und ihnen zuordnen. Das sind zwei Größen, die ich jeder Person zuordne. Jetzt stellen wir uns vor, das wäre die gesamte Wahrheit. Die Welt der Menschen mit Größe und Gewicht. Sonst nichts. Keine Namen, kein Bauchumfang, kein Sex. In dieser Welt kann jede Person a) ihre Größe und b) ihr Gewicht verändern, d.h. jeder hat genau zwei Freiheitsgrade, sich zu bewegen. Es ist ein zweidimensionaler Raum.
Mit dem Begriff Dimension wurde dieses Konzept dann auf die Spitze getrieben: Wann immer es eine oder mehrere Möglichkeiten gibt, Werte einzustellen, redet man von Dimensionen. Daher kommt es natürlich, dass man in der Mathematik gerne von mehr als drei Dimensionen spricht, denn ich kann ja mal locker mehr als drei Größen messen (die drei angesprochenen Größen sind natürlich Breite, Höhe, Tiefe).
Um das Ganze anschaulich darzustellen wird alles auf die Raumrichtungen abgebildet. So kann man beispielsweise das Gewicht auf der x-Achse auftragen, die Größe auf der y-Achse. Und dann da für jeden Menschen einen Punkt reinmalen. Naja, ihr kennt das ja sicher.
Umgekehrt kann man nun aber auch versuchen, sich zu überlegen, wie eine Geometrie mit mehr als drei Dimensionen aussieht. Wie man also das Konzept der einen Dimension auf zwei und drei erweitert und wie man das sinnvoll auf vier, fünf, sechs usw. Dimensionen hochtreiben kann. Das lernt man dann in der Schule als Vektorrechnung.

Eine Dimension ist also anschaulich so etwas wie eine Richtung — eigentlich sogar zwei gegenüberliegende Richtungen gleichzeitig (denn man kann sich hin- und herbewegen). Aber keine andere Welt. Und ich brauche auch keine Tore in eine andere Dimension aufmachen. Es reicht, wenn ich mich auf die richtige Weise drehe und in eine andere Richtung gehe: Dann bewege ich mich in eine andere Dimension. Ist gar nicht so schwierig :-)

Okay, ich habe nur drei Dimensionen für meine Bewegung zur Verfügung (und das mit dem rauf und runter gestaltet sich mitunter auch nicht gerade einfach) und ich kann die Zeit noch als eine Dimension auffassen, in der ich mich immer geradeaus bewege. Und wenn ich tatsächlich eine weitere Dimension finde, dann verschwinde ich vielleicht sogar aus dieser Welt, wenn ich mich in diese neue Richtung bewege.

Vielleicht kann ich mich ja so mit dem Begriff nähern: „Aus einer anderen Dimension kommen“ bedeutet, dass ich mich aus Richtung einer anderen Dimension nähere, die jetzt weder unseren drei Raumrichtungen noch der Zeit entspricht (aber trotzdem eine Richtungsdimension ist). Dass quasi mehrere Welten nebeneinander liegen, durch einen Weg entlang einer weiteren Dimension (oder mehrere?) verbunden. Dann gruselt es mich zwar immer noch bei vielen Formulierungen ("Ein Wesen aus der fünften Dimension"), aber ich habe wenigstens eine Erklärung. Dafür, wie die Formulierungen zustande kommen, die von Leuten geschaffen wurden, die das Konzept von Dimensionen nicht verstanden haben.

Also, liebe Autoren: Überdenkt bitte eure Formulierungen und wählt weise. Damit so kleinkarierte Mathematiker (wie ich) ihre flache Hand auch mal wieder aus den Gesicht nehmen können.
zuletzt geändert: 30.10.2012, 21:51
30.10.2012, 23:32
rillenmanni
Vielen Dank für den aufklärerischen Exkurs!

Dimensionsschlurfer!

Ich zitiere: „(niedere, unabhängige Rasse) Diese Wesen sind riesige schwarze Wesen, halb Affe, halb Insekt, die zwischen den Existenzebenen und Welten hin und her reisen. Von Zeit zu Zeit sind sie dabei einem Äußeren Gott oder einem Großen Alten zu Diensten. Sie können beim Wechseln der Dimension Gegenstände und Wesen mit sich nehmen, die danach nie mehr gesehen werden.“

Sicherlich, im Alltagsgebrauch hat die Fehlverwendung lange Einzug gehalten. Ich selbst bin damit groß geworden, Commander Perkins und so. In der Zeitgruft auf Ferrol bei Perry Rhodan lautet ein Teil des Rätselspruchs glaube ich auch „Raum, Zeit, Dimension“. Derlei Indoktrination bekommt man wahrscheinlich nicht mehr aus den Köpfen. Aber Dein Koordinatenbeispiel ist wirklich gut. Ich werde zukünftig gut auf meine Wortwahl achten können.
31.10.2012, 02:03
Elch
Dann beantrage ich, dass das Wort „Kopf“ bitte wieder entsprechend seiner eigentlich richtigen Bedeutung „Becher“, mit der es vor ca. 2000 Jahren als „cuppa“ aus dem Lateinischen entlehnt wurde, verwendet wird. Die Fehlverwendung mit der Bedeutung „Haupt“ sollte endlich getilgt werden.

Ganz ehrlich: Die Diskusion um ursprüngliche Fachtermini, die dann außerhalb der Fachsprache zusätzliche Bedeutungen entwickeln, die die ursprünglichen Bedeutungen langsam verdrängen, hat einen Bart, der mindestens bis ins vorletzte Jahrhundert zurück reicht. Fachliche Richtigkeit und Übereinstimmung mit Definitionen sind für die Alltagssprache vollkommen unerheblich.
31.10.2012, 07:25
Der Mönch
Also persönlich fand ich das jetzt schon hilfreich, vor allem als jemand, der sich gerne mit SciFi und Cyberpunk usw. beschäftigt. Danke Dom für den Exkurs und wie immer wenn du mir Mathe erklärst, verstehe ich was davon! :-)

Manni hat außerdem durch seine Perry-Rhodan-Referenz mein Herz erwärmt ;-)

Grüße vom südafrikanischen Schreibtisch

PS: Elch, da ich gerade damit beschäftigt bin, mich in einer neuen Sprache zurecht zu finden, würde ich dir wiedersprechen. Ich erlebe und erfahre, daß es sehr wichtig sein kann, die richtige Bedeutung und den angemessenen Gebrauch von Wörtern zu kennen. Ansonsten führt das schnell zu (oft unangenehmen) Missverständnissen…
31.10.2012, 09:12
Elch
@Der Mönch: Ich hätte vielleicht dazu sagen sollen, dass ich mich auf Muttersprachler beziehe, der Spracherwerb abgeschlossen ist.
31.10.2012, 10:17
Der Mönch
@Elch

Selbstverständlich :) In dem Zusammenhang verstehe ich natürlich deinen Einwurf auch gut. Spannend wäre ja dann aber die Frage, wie man Fachsprache und Alltagssprache zusammenbringt, wenn beide Sprachen so weit auseinander liegen und zB bei dem Begriff „Dimension“ zwei ganz unterschiedliche Vorstellungen beinhaltet.

Als Theologe stellt sich mir diese Frage natürlich andauernd, ähnlich wie vermutlich allen Professionen, die eine Fachsprache entwickelt haben.

Das wunderbare an Sprache ist einerseits, daß sie sich dynamisch entwickelt, andererseits ergeben sich dadurch Komplikationen.

Ist das dann Aufgabe der Didaktik / Pädagogik?

Oder sollte man ganz auf Fachsprachen verzichten?

31.10.2012, 16:10
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Dom
Es geht mir nicht um irgendwelche ursprünglichen Fachtermini, die vor hundert Jahren mal gegolten haben. Nein, es geht um die einzige mir bekannte, gerade jetzt gültige Definition. Auch wenn man beispielsweise von 2D-Grafik, 3D-Drucker, 3D-Kino o.ä. redet, wird genau der von mir angesprochene Begriff auf die Raumdimensionen angewendet. Fachsprache und Allgemeinsprache liegen also meiner Erfahrung nach nicht weit auseinander, siehe meine Beispiele oben. In mener Wahrnehmung wird nur in den Bereichen SciFi/Fantasy und Esoterik der Begriff Dimension seltsam verwendet. Und dort auch nur genau in diesem angesprochenen Zusammenhang (dass beispielsweise Hologramme dreidimensionale Darstellungen ermöglichen, entspricht wieder dem normalen Verständnis von Dimension).

@Elch: Zeige mir doch einfach eine (relevante *g*) Stelle, an der Dimension umgangssprachlich so definiert ist, dass „Fremde Wesen aus der fünften Dimension“ eine sinnvolle Aussage ergibt.
4.11.2012, 08:41
Jan
Ich finde das albern: „Dimension“ im Sinne von Parallelwelt ist ein Standardbegriff der Science Fiction.

Siehe z.B. TV Tropes
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