Gewalt im Rollenspiel ist natürlich eine wichtige Komponente, gerade wenn es um physische Gewalt zur Durchsetzung der eigenen Interessen geht. Allerdings habe ich in bisher keiner Gruppe erlebt, dass Spieler sich eine realistische Darstellung der Gewalt wünschten. Wenn jemand erschlagen/erschossen wird, ist diese Person auch ziemlich flott tot und nicht, wie man es als Abschreckung in diversen Antikriegsfilmen serviert bekommt, erst in einer Stunde nach großen Schmerzen (ich erinnere mich da an das Buch „Im Westen nichts Neues“, wo der Protagonist mit dem von ihm mit dem Bajonett tödlich verwundeten Franzosen im Mörserkrater liegt und der Bursche stirbt seeehr langsam). Im Rollenspiel ist es wie in vielen Filmen, die Leute fallen um und gut ist's.
Gewalt kann man auch zur Abschreckung nutzen, v.a. wenn sie von Bösewichten ausgeübt wird. Ein Ritualplatz der Bösewichte soll ruhig etwas ausführlicher beschrieben werden, da Ekel und Abscheu vor dem Geschehenen eine Motivation für die Spieler sein kann, gegen den Bösewicht vorzugehen. Wie weit man die Schilderungen ausdehnt, ist Fingerspitzengefühl, man gerät nämlich als SL dann leicht in den „Rausch der eigenen Worte“ und bewirkt eher das Gegenteil, nämlich eine „aufgeilende“ Darstellung der ekligen Gewaltszene.
Sexuelle Gewalt ist in meinen Augen noch eine Klasse stärker, ruft stärkere Reaktionen hervor. Warum das so ist, da überlasse ich gerne Psychologen das Feld (ich tippe auf die Abscheu vor der Kombination Brutalität und Lüsternheit und der Demütigung durch sexuelle Gewalt)
Aber das bedeutet auch, dass die Schilderung von Sexueller Gewalt im Rollenspiel noch schneller die Toleranzgrenze bei den Mitspielern überschreitet.
So, und jetzt komme ich zu dem Punkt, der im ersten Posting schon angerissen wurde: Gewalt wird von Spielercharakteren ausgeübt.
Dies ist bei physischer (Waffen-)Gewalt in den meisten Rollenspielen üblich, die Kampfregeln stellen ein Kernelement vieler Rollenspiele dar und daher kann man schon formulieren, dass die Bereitschaft zur Gewaltausübung bei vielen Rollenspielen vorausgesetzt wird.
Aber natürlich üben manche Charaktere ein größeres Maß an Gewalt aus als andere, das ist ja die Entscheidung der Spieler. Und hier können manche Spieler den Bogen überdehnen, indem sie ein Maß an Gewalt ausüben, das für die anderen Spieler nicht hinnehmbar ist.
Das Problem ist sehr komplex und ist mMn durchaus eine Abbildung der „echten Welt“. Gewalt zur Verteidigung gegen Bösewichte wird üblicherweise akzeptiert, aber je weniger man dem Opfer der Gewalt eine Schuld zuweisen kann, desto eher empören sich Beobachter. Wenn eine grobe Person einen offenbar schwächeren Menschen belästigt, dürften viele Menschen akzeptieren, wenn der Grobian ordentlich einen aufs Maul bekommt.
Aber wenn man zum Grobian hingeht und ihm ein Messer dreimal in den Bauch sticht, werden sich garantiert schon einige Leute melden, für die das nicht mehr in Ordnung war.
Und um diese Verhältnismäßigkeit geht es mMn auch im eingangs geschilderten Fall. Ein „kaltblütiger Mord“ ist für JensN/Eran weit jenseits der Toleranzgrenze (fürs Rollenspiel) und die Vergewaltigung ebenfalls. Ich bin mir bezüglich meiner Grenze (im Rollenspiel) nicht ganz sicher — Mord oder zumindest billigend in Kauf genommene Tötung von NSCs, die Hindernisse auf dem Weg zum Ziel sind, ist schon vorgekommen (jeder Shadowrunner, der mit echter Munition schießt, nimmt billigend den Tod etwaiger Gegner in Kauf, selbst wenn sie nur abgehalfterte Nachtwächter auf einem abgelegenen Parkplatz sind). Vergewaltigung geht gar nicht! Aber gut, meine Charaktere haben eh selten eine sexuelle Dimension und haben daher auch keinen Sexualtrieb, den sie ausleben müssten. Und bei Folter ist bei mir die Grenze bei „dem Delinquenten die Instrumente zeigen“.
Um zu einem Ende zu kommen, will ich Erans Frage aufgreifen:
Zitat:
Ist der Grad zwischen Heldentum und brutaler Gewalt im Rollenspiel schmal oder doch eine recht klare Linie?
Es ist vor allem eine unsichtbare Linie. Während sich der Eine noch auf der sicheren Seite wähnt, glaubt der Andere, die Linie sei bereits überschritten.
Definitiv ist die Frage nach dem „Gore-Level“ einer Spielrunde eins der Kernthemen eines Gruppenvertrages. Eine Spielrunde sollte sich echt Gedanken machen, wie weit sie bei der Darstellung von Gewalt gehen will, so dass die unsichtbare Linie noch bei allen Mitspielern nicht überschritten wird.
Und das gilt auch für eher düstere Systeme. Ein Vampir, der mordend durch die Gegend zieht, darf nicht damit rechnen, dass sein Verhalten belohnt wird (es wird eher bestraft durch Humanity Checks, wenn ich mal von dem alten Vampire-System ausgehen), genausowenig wie ein Shadowrunner, der sich einen Namen als Mörder macht (das gibt nach dem neuen System Schlechter Ruf, man ist als Totschläger berüchtigt und bekommt von einigen Johnsons keine Aufträge mehr und die Polizei kennt auch keine Gnade mehr).
Gruß
Chris